„Sternenkinder“: Wenn das Leben mit dem Tod beginnt

Eine der schlimmsten Erfahrungen für Eltern ist es, ein Kind zu verlieren. Bei „Sternenkindern“ fallen Lebensanfang und -ende zusammen. Wiegen sie noch kein halbes Kilo, existieren sie vor den Behörden praktisch nicht.

Als „Sternenkinder“ werden Kinder bezeichnet, die vor, während oder kurz nach der Geburt sterben - also noch nicht in der Welt angekommen sind. Haben sie ein Geburtsgewicht von weniger als 500 Gramm, gelten sie - nach erfolgter Totenbeschau - als Fehlgeburt und werden nach derzeitiger Gesetzeslage nicht ins Personenstandsregister eingetragen, bekommen somit keinen offiziellen Namen.

Am zweiten November endet die Begutachtungsfrist für eine 2014 im Parlament beschlossene Gesetzesnovelle, die das ändern soll. Die Änderung des Personenstandsgesetzes sieht vor, dass die Beurkundung (das heißt eine Namensgebung und Registrierung beim Standesamt) nicht lebensfähiger Kinder mit einem Gewicht von weniger als 500 Gramm möglich wird.

Eintragung mit Hindernissen

Der Katholische Familienverband Österreichs (KFÖ) unterstützt das, denn auch diese „Sternenkinder“ seien für die Eltern geliebte Kinder, so der KFÖ. Das bestätigt die Grazer Psychotherapeutin und Familienberaterin Anja Gutmann. Sie begleitet in ihrer Praxis unter anderem Sternenkind-Eltern und sieht die Möglichkeit, so früh verstorbene Kinder zu registrieren, „sehr positiv“ - unter der Voraussetzung, dass die Eintragung freiwillig ist, wie sie im Gespräch mit religion.ORF.at betont.

An dieser Freiwilligkeit zweifelt Gunnhild Fenia Tegenthoff, sie ist betroffene „Sternenmutter“ und gibt zu bedenken, dass die geplante Eintragung automatisch erfolgen soll. Die Mutter habe zwar eine Einspruchsfrist, beantragt sie in dieser keine Löschung, werde von ihrem Einverständnis ausgegangen. „Da für die Mutter eine Fehlgeburt eine traumatische Erfahrung sein kann, ist sicherzustellen, dass die Eintragung der Fehlgeburt nicht gegen den Willen der Mutter erfolgen kann“, heißt es dazu im Gesetzesentwurf. Das Personenstandsrecht hat jedenfalls keine Auswirkungen beispielsweise auf den Anspruch auf Mutterschutz oder das Bestattungsrecht.

Grabstein mit Blumenstock, brennender Kerze und Engel aus Stein

APA/Barbara Gindl

Künftig soll es die Möglichkeit geben, „Sternenkinder“ ins Personenstandsregister eintragen zu lassen

Erlaubnis zu trauern

Wichtig sei die offizielle „Anerkennung der Elternschaft“ und damit die „Erlaubnis zu trauern“, beziehungsweise krank zu sein, so Gutmann. Im derzeitigen, aber auch im künftigen Recht - denn an der 500-Gramm-Grenze wurde nicht gerüttelt - wird bei einer „stillen Geburt“ mit weniger als 500 Gramm kein Mutterschutz gewährt. Der körperliche und seelische Schmerz sei allerdings nicht mit zwei Tagen Krankenstand erledigt, sagt die Therapeutin. Vielfach entstünden Versagensgefühle nach einer „stillen Geburt“, für die es Zeit brauche, sie zu verarbeiten. Ein gesetzlicher Anspruch auf Krankenstand nach einer Fehlgeburt ist allerdings noch nicht vorgesehen.

Im Personenstandsgesetz soll auch dem Unterschied zwischen Tot- und Fehlgeburt Rechnung getragen werden - bisher war nur von Fehlgeburten die Rede. Als Totgeburt gilt, wenn ein Kind nach der Entbindung keine Lebenszeichen wie Atmung oder Herzschlag aufweist und mehr als 500 Gramm wiegt. Liegt das Gewicht darunter, spricht man von einer Fehlgeburt. Die Bezeichnungen „Fehlgeburt“ oder „Totgeburt“ empfinden allerdings manche betroffene Eltern als unzutreffend, weil für sie ihr Kind gestorben ist.

Unterschiede in der „Qualität der Trauer“

Gunnhild Fenia Tegenthoff hat im Jahr 2000 eine Plattform für Betroffene ins Leben gerufen. Sie sammelt dort alles, was für Sternenkind-Eltern interessant sein könnte und begleitet Eltern in dieser schwierigen Phase. Sie kennt den Unterschied zwischen einer Verabschiedung mit und ohne Begräbnis aus eigener Erfahrung, wie sie im Gespräch mit religion.ORF.at beschreibt. Sie musste sich von zwei „Sternenkindern“ und einem Kind, das mit zwei Monaten starb, verabschieden. Die „Qualität der Trauer“ sei eine ganz andere, wenn man sich von seinem Kind mit Namen verabschieden und ein Grab besuchen könne. Sonst gebe es „einfach nichts“, so Tegenthoff.

Derzeit gibt es in Österreich keine einheitlichen gesetzlichen Bestimmungen für Spitäler und Kliniken, die Bestattungsregeln unterliegen den Ländergesetzen der einzelnen Bundesländer. Es gibt daher Unterschiede bei Bestattungspflicht und -recht. Mehrere Bestattungsunternehmen in Österreich bieten Begräbnisse für „Sternenkinder“ an, mit speziellen, kleinen Särgen oder Urnen. Auch private Initiativen für winzige Sternenkinderbekleidung schaffen die Möglichkeit, sein Kind würdig zu verabschieden.

Himmel mit Wolken

APA/dpa/Boris Roessler/

Ein würdiger Abschied erleichtert die Trauerarbeit

Bestattung muss selbst organisiert werden

Aus ihrer Erfahrung mit Sternenkind-Eltern weiß Gunnhild Fennia Tegenthoff, dass es, trotz der Bemühungen von Ärzten und Spitälern, vielfach eines großen persönlichen Aufwands bedarf, um sein Sternenkind zu bestatten.

Der Wiener Krankenanstaltenverbund betont in einer schriftlichen Stellungnahme, dass auf Wunsch der Eltern schon jetzt ein Begräbnis für Frühgeborene mit weniger als 500 Gramm möglich ist. Besteht kein Wunsch oder aber keine finanzielle Möglichkeit seitens der Eltern, ihr Kind zu bestatten, werden seit 2001 die sterblichen Überreste vier Mal pro Jahr kremiert und in einem Sammelgrab in der „Babygruppe“ (Gruppe 35B) am Wiener Zentralfriedhof bestattet.

Diese Gräber werden von der Stadt Wien für zehn Jahre kostenlos zur Verfügung gestellt. Verlängerungsmöglichkeit gibt es keine. Auch andere Friedhöfe bieten Gräber für „Sternenkinder“ an, darunter auch der Friedhof der römisch-katholischen Pfarre Penzing in Wien; um Informationen müssen sich Eltern aber ebenfalls selbst kümmern.

„Raum für das Verlorene im Leben“

Wichtig für die Trauerarbeit ist ein Ort, an den man mit seiner Trauer gehen kann, weiß Therapeutin Gutmann. In der evangelischen Kapelle im Wiener AKH gibt es seit 2009 den „Ort der Erinnerung für verwaiste Eltern“, an dem Menschen ungeachtet ihrer Konfession, Religion oder Weltanschauung besonders um die, die keinen eigenen Ort wie ein Grab haben, trauern können. Hier können Trauernde im Gedenken an Verstorbene eine Perle an einer Wand anbringen. Angeboten wird hier auch katholische, evangelische, orthodoxe, altorientalische, buddhistische, islamische und jüdische Seelsorge.

Margit Leuthold, evangelische Pfarrerin und Seelsorgerin im AKH war an der Idee und Errichtung des „Orts der Erinnerung“ maßgeblich beteiligt und beschreibt ihn als Raum, in dem man „dem Verlorenen im Leben“ nachgehen kann - „das kann auch 30 Jahre her sein“. Es kämen nicht nur Frauen, die kürzlich ein Kind verloren haben, sondern auch ältere, die etwa um ein Kind trauern, wogegen sie sich in einer bestimmten Lebenssituation entschieden, also das sie abgetrieben haben. Es gehe viel um Versöhnungsarbeit, so Leuthold - auch mit sich selbst.

Die Religionszugehörigkeit ist im Falle eines Kindestodes letztlich unerheblich, die Erfahrung wird als mehr oder weniger traumatisch empfunden und die Reaktionen sind äußerst individuell. Sternenmutter Tegenthoff ist jedenfalls von dem Glauben getragen, dass es ein „Leben nach dem Tod gibt“, wohin im konkreten Fall ihre „Sternenkinder“ „nur vorausgegangen“ seien.

Nina Goldmann, religion.ORF.at

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