Deutschland verbietet islamistische Koranverteilungen

Deutschland hat die islamistische Vereinigung „Die wahre Religion“ verboten, die durch umstrittene Koranverteilungsaktionen bekannt geworden ist. Das Vorgehen wird auch in Österreich „aufmerksam verfolgt“.

Mit Razzien in zehn deutschen Bundesländern sind die Behörden Dienstag Früh gegen mutmaßliche Islamisten vorgegangen. Wie eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums sagte, soll mit den Einsätzen ein Verbot der islamistischen Gruppierung „Die wahre Religion“ (DWR) durchgesetzt werden, die Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) am Dienstag verboten hat. Die Razzien fanden unter anderem in Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Hessen und Baden-Württemberg statt. Polizisten durchsuchten rund 200 Ziele, darunter Moscheen, Wohnungen, Büros und Lagerhallen.

„Eindeutige Botschaft“ an radikal-islamistische Szene

Bekannt ist die Gruppe DWR unter anderem wegen ihrer umstrittenen Koran-Verteilaktionen mit dem Slogan „Lies!“. Es bestehe der Verdacht, dass die Organisation „Hassbotschaften“ verbreite und verfassungsfeindlich agiere, sagte die Ministeriumssprecherin. So habe eine Vielzahl der Menschen, die nach Syrien und in den Irak ausgereist sind, vorher Kontakt mit der Gruppe gehabt.

Zwei Polizistinnen gehen zwischen einem Lager der "Lies! Verlag Gesellschaft" und einem bereitstehenden Lastwagen der Polizei vorbei.

APA/dpa/Wolfram Kastl

Razzia Dienstag Früh bei einem Lager der „Lies! Verlag Gesellschaft“ in Nordrhein-Westfalen

Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) sprach von einer „eindeutigen Botschaft“ an die „radikal-islamistische Szene“. Mit dem Verbot der salafistischen Organisation werde bundesweit ein „wesentlicher Radikalisierungsfaktor ausgelöscht“, erklärte Beuth am Morgen. Demnach wurde das Verbot auf Anregung des Bundeslands Hessen vorangetrieben.

Österreich beobachtet

Das Vorgehen der deutschen Sicherheitsbehörden gegen den auch in Österreich aktiven salafistischen Koranverteilerverein „Die wahre Religion“ wird auch im Wiener Innenministerium „aufmerksam verfolgt“. Man sei in Kontakt mit den deutschen Behörden, sagte Ministeriumssprecher Karl-Heinz Grundböck der APA am Dienstag. Das Verteilen religiöser Schriften an sich sei nicht strafbar, fügte er hinzu.

Die Verteilaktionen seien vom Verfassungsschutz „aufmerksam beobachtet“ worden. „Strafbare Handlungen in direktem Zusammenhang mit den Verteilaktionen sind in Österreich nicht festgestellt worden“, betonte der Ministeriumssprecher. Die Frage, ob der Verein in Österreich verboten wird, müsse man „auf Grundlage der österreichischen Rechtslage“ beurteilen, sagte Grundböck auf eine entsprechende Frage.

„Mobilisierungsnetzwerk“ für „IS“

Bei der Vereinigung „Die wahre Religion“ handle es sich um ein „Mobilisierungsnetzwerk“, dass der Extremistengruppe „Islamischer Staat“ zuarbeite und für diese Kämpfer in Syrien zu gewinnen versuche, sagte die Sprecherin des deutschen Bundesinnenministeriums. Die Vorlaufzeit für das Verbot der Vereinigung habe etwa ein Jahr betragen. De Maiziere werfe ihr den Verstoß gegen die verfassungsmäßige Ordnung und Volksverhetzung in Deutschland vor. Dem Salafisten-Netzwerk sollen mehrere hundert Personen angehören.

Der salafistische Prediger Ibrahim Abou-Nagie

APA/dpa/Henning Kaiser

Hassprediger Abou-Nagie

Hassprediger im Visier

Hinter der nunmehr verbotenen Vereinigung steht der Hassprediger Abou-Nagie, der eine Ausweitung seiner mutmaßlichen Anwerbeaktionen für die Terrormiliz „Islamischer Staat“ plante. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur (dpa) aus Sicherheitskreisen soll das von dem 52-Jährigen in Deutschland organisierte Koran-Verteilprojekt „Lies!“ demnächst auch in Malaysia beginnen.

Abou-Nagie war nach Informationen aus Sicherheitskreisen vom Dienstag während der Durchsuchungsaktionen nicht in Deutschland. Ermittler vermuteten den gebürtigen Palästinenser zuletzt in Malaysia. Die von ihm initiierten Koran-Verteilaktionen unter dem Motto „Lies!“ gab es demnach zuletzt nicht nur in Deutschland, sondern in insgesamt 15 Ländern, darunter auch Österreich. Weitere Staaten sind etwa Frankreich, Großbritannien, Schweden, Bahrain und seit Juni 2016 auch in Brasilien.

3,5 Millionen Koran-Übersetzungen verteilt

Seit Jahren sorgt die islamistische Vereinigung „Die wahre Religion“ für Schlagzeilen in Deutschland - vor allem wegen ihrer Koran-Verteilaktionen. Erklärtes Ziel der Kampagne „Lies!“ ist es, jedem Haushalt in Deutschland eine Koran-Übersetzung zur Verfügung zu stellen. Laut dem Gründer, dem gebürtigen Palästinenser Ibrahim Abou-Nagie, sind bis Mitte 2016 rund 3,5 Millionen Exemplare verteilt worden. Doch für den deutschen Verfassungsschutz ist die Koran-Verteilung in Fußgängerzonen nur Fassade, um für eine verfassungsfeindliche Ideologie zu werben.

Koran-Verteilaktion in Berlin

APA/dpa/Britta Pedersen

Koran-Verteil-Aktion in Berlin

Das Predigernetzwerk wurde laut den Behörden 2005 gegründet und konzentrierte sich zunächst auf Vorträge und Seminare, bevor es mit den Koran-Verteilaktionen mehr Aufmerksamkeit erlangte. Netzwerkgründer und Laienprediger Abou-Nagie wurde in Köln im Februar verurteilt - allerdings wegen gewerbsmäßigen Betrugs. Zuletzt forderte der nordrhein-westfälische Landtag alle staatlichen Institutionen auf, die Aktivitäten des Netzwerks unverzüglich zu unterbinden. Ein Vereinsverbot liege allerdings in der Zuständigkeit des Bundesinnenministers, befand der NRW-Landtag noch im Oktober.

Ziel: Islamistischer Gottesstaat

Salafisten wollen Staat, Rechtsordnung und Gesellschaft nach mittelalterlichen Regeln umgestalten. Sie sehen sich als Verfechter eines unverfälschten Islams, lehnen Reformen ab und betreiben die Errichtung eines islamistischen Gottesstaates. Das Bundesamt für Verfassungsschutz bezifferte die Zahl radikal-islamistischer Salafisten in Deutschland bis Ende Oktober auf 9.200.

Es radikalisieren sich dabei immer mehr junge Menschen. Motor der Radikalisierung ist oft das Internet. Eine autoritäre Erziehung, innerfamiliäre Gewalt und soziale Unsicherheit verstärken Studien zufolge die Bereitschaft junger Menschen, selbst gewalttätig zu werden und sich von Islamisten vereinnahmen zu lassen.

religion.ORF.at/APA/dpa/Reuters/AFP