Wie Luther das Christkind erfand

Am Heiligen Abend kommt zu vielen Kindern in Österreich und Süddeutschland das Christkind. Martin Luther, Reformator und Theologe, soll es „erfunden“ haben. Was uns heute ein herziger Brauch für kleine Kinder ist, hat einen handfesten theologischen Kern.

Denn natürlich ging es Luther mit seiner Schöpfung nicht nur darum, seine „Kindlin“ zu erfreuen. Christian Danz, Professor für Systematische Theologie A. B. an der Universität Wien, erkennt hinter der Schöpfung des Christkinds, das am 24. oder 25. Dezember Geschenke bringt, verschiedene Motive.

Die Entmachtung der Heiligen

Zum einen, so der Theologe im Gespräch mit religion.ORF.at, sei es um die Entmachtung des Nikolaus als Gabenbringer gegangen: „Das hängt damit zusammen, dass für das reformatorische Christentum die Heiligen keine Bedeutung haben.“ Dahinter stehe der Glaube, „dass das Heil von Gott allein gegeben wird und es da keine Mittler mehr gibt. Damit treten die Heiligen, die in der christlichen Tradition und in der mittelalterlichen Kirche eine sehr zentrale Vermittlerrolle haben, zurück, und Luther nimmt eine Umbesetzung vor.“

Gustav König: Luthers Winterfreuden im Kreise seiner Familie, Stahlradierung, 1851 (Ausschnitt)

Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt

Gustav König: Luthers Winterfreuden im Kreise seiner Familie, Stahlradierung, 1851 (Ausschnitt)

„Christkindlin odder Sanct Nicolas“

Dabei hatte Luther selbst vor der Reformation einen starken Glauben an die Heiligen gehabt - überliefert ist etwa seine Anrufung der heiligen Anna während eines Gewitters. Auch den Nikolaus-Brauch habe der Reformator wohl bis in die 1530er Jahre beibehalten, so Danz. „Gleichwie man die kindlin gewenet, das sie fasten und beten und jr kleiderlin des nachtes ausbreiten, das jn das Christkindlin odder Sanct Nicolas bescheren sol“, schrieb Luther noch 1532. Eine Zeit lang wurde der Nikolaus also auch im Hause Luther noch geduldet.

Während Luthers Aufenthalt auf der Wartburg - er war nach dem Reichstag zu Worms mit der Reichsacht geschlagen und musste sich verstecken - hätten die anderen Reformatoren in seiner Abwesenheit versucht, ziemlich radikale Reformationen durchzudrücken, sagt Luther-Experte Danz. „Stichwort Bildersturm, auch die Heiligenverehrung sollte abgeschafft werden. Da hat Luther gebremst und jeglichen Radikalismus untersagt.“

Behutsame Reformen

„Er argumentierte, man müsse auf die Schwachen Rücksicht nehmen, auf diejenigen, die ihre Heiligen brauchen, man sollte sie ihnen nicht von einem Tag auf den anderen wegnehmen. Dieser Gedanke geht auf Paulus (Röm 15,1-6) zurück.“ Luther sei vorsichtig und behutsam mit Reformen umgegangen. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, weshalb an bestimmten Bräuchen, wie auch den Nikolaus-Brauch, sehr lange festgehalten wurde. Die Ausschaltung der Heiligen in den evangelischen Kirchen habe sich erst allmählich etabliert, zwischen 1525 und 1530 wurden sämtliche Kirchenstrukturen neu geordnet.

Christkind-Puppe in einer Krippe

APA/dpa/Nico Pointner

Das Christkind: Manifestation der Realpräsenz Christi

„Es braucht Zeit, bis sich ein neues Verständnis des Christentums etabliert“, so Danz. Der Brauch des Schenkens am Nikolaus-Tag sei dann „vermutlich“ mehr oder weniger von Luther selbst ersetzt worden. Er selbst und die Familie, die er mit Katharina von Bora gründete, hätten als „Vorbild für protestantische Familien“ gewirkt. Das zeigten auch „rückwirkende Stilisierungen und Bilder, die sich das Bürgertum im 19. Jahrhundert von Luther gemacht hat“.

Ein sechsfacher Vater

Vielleicht ist es kein Zufall, dass Luther gerade um das Jahr 1530 herum über Bräuche nachdachte, die mit Schenken und Kindern zu tun haben: Zwischen 1526 und 1534 wurde Luther sechsmal Vater. Wie das Weihnachtsfest damals gefeiert wurde, lässt sich heute nicht mehr genau sagen. Kinder, wohl auch die der Luthers, hätten an Festtagen etwas Besonderes zu essen bekommen, so Danz, Süßigkeiten und vielleicht andere Kleinigkeiten und Gewand.

Sendungshinweis

Auch die Ö1-Radiosendung „Memo“ befasst sich mit dem Thema „Luther und das Christkind“. Sonntag, 25.12.2016, 19.05 Uhr, Ö1

Mit dem heutigen Konsum rund um Weihnachten könne man das nicht vergleichen. „Das war noch fern am Horizont, die Mehrheit der Leute in dieser noch mittelalterlichen, patriarchalischen Gesellschaft war bitterarm“, sagt Theologe Danz.

Ab 1535 habe Luther den Brauch geändert und an die Stelle des heiligen Nikolaus Christus selbst, das Christkind, gesetzt. Umbesetzt wurde dahingehend, „dass das Christuskind, Christus, die Gabe ist, die Gott den Menschen gegeben hat. Somit ist dieser Brauch des Schenkens im Sinne der protestantischen Neudeutung des Christentums umgeformt worden.“

Christus als Geschenk

Christus als Geschenk an die Menschheit, „bei Luther stark zugespitzt auf das Christkind als Gabe, die Gott umsonst gibt“ und die eigentlich keiner verdient, denn: „Alle sind Sünder. Gott erbarmt sich aller und sendet seinen Sohn, um die Menschen davon zu reinigen“, erläutert Danz.

„Das ist für das evangelische Christentum und für Luther der grundlegende Aspekt, dass im Verhältnis zu Gott der Mensch nichts tun muss (’sola fide‘ - ’allein durch den Glauben‘). Alles ist von Gott gegeben, es treten keine Mittler dazwischen, auch die Kirche nicht. Gottes Verhältnis ist unmittelbar. Jeder Christ ist ein Heiliger - und ein Sünder“, so der Experte.

Ausdruck in Weihnachtsliedern

Zum anderen sei es Luther um die Realpräsenz, die wahrhaftige Anwesenheit Christi beim Gottesdienst, gegangen, sagt Danz. „Luther hat ja sehr viele Weihnachtslieder geschrieben, etwa ’Vom Himmel hoch, da komm’ ich her‘. Da tritt das Christkind in den Fokus: Christus selbst. Das hängt auch mit theologischen Hintergrundannahmen von Luther zusammen: dass Mensch und Gott in einer Person zusammenkommen.“

"Vom Himmel hoch" von Martin Luther, Druck von 1567

Public Domain

„Vom Himmel hoch“ von Martin Luther, Druck von 1567

Luther habe die Frage nach den beiden Naturen Christi so zugespitzt, „dass die menschliche Natur Christi an den Eigenschaften der göttlichen Anteil hat. Das hängt wiederum mit der Abendmahlslehre zusammen“, erklärt Theologe Danz.

Die göttliche Natur in der menschlichen

Luther geht davon aus, dass Christus im Abendmahl präsent ist - ähnlich wie die Katholiken, aber ihre Transsubstantiationslehre (die der Wandlung während des Abendmahls) lehnte er ab. Dennoch glaubte er an die Realpräsenz von Jesus im Abendmahl.

„Um daran festhalten zu können, dass Christus leibhaftig in den Elementen präsent ist, hat er diese Lehre entwickelt, dass die menschliche Natur an dem Göttlichen Anteil hat und damit überall präsent sein kann. Weil die göttliche Natur die Eigenschaft hat, ubiquitär, überall anwesend zu sein - das gilt für Luther auch für die menschliche Natur Christi.“

Danz sieht hier einen „klassischen Inkarnationsgedanken“. Das habe sich vor allem gegen die reformierte Theologie etwa eines Huldrych Zwingli gerichtet und gegen die Auffassung der anderen reformierten Kirchen, die im Abendmahl ein reines Erinnerungsmahl und die göttliche Natur eben nicht als präsent sehen.

Gott selbst in Windeln

„In Luthers Christologie gibt es die Vorstellung, dass Gott selbst in Windeln liegt - das Christkind: da ist Gott selbst präsent. Derjenige, der die ganze Welt geschaffen hat, liegt selbst in den Windeln.“ Vor dem Hintergrund der Abendmahlskontroversen zwischen Luther und anderen, etwa den Schweizer Reformatoren, sei das ein wichtiges Symbol geworden.

Die Erscheinungsform des Christkinds als Engerl oder Mädchen in späterer Zeit stellt der Theologe in eine Linie mit „androgynen Christusdarstellungen, die es bis in das 16. Jahrhundert hinein gab, wo der Gekreuzigte gewissermaßen durch eine Frau ausgetauscht ist“.

„Die Christusgestalt hat androgyne Züge“, so Danz. Es sei in der Volksfrömmigkeit darum gegangen, Frauen und auch Kinder anzusprechen. Das spiegle sich auch im Christkind, etwa im Liedtext von „Stille Nacht“: „‚Holder Knabe im lockigen Haar‘ - diese Christusbilder sind ja immer Idealisierungen und, wenn man so möchte, Projektionsfolien, wo alles, was man sich erhofft und ersehnt, draufgelegt wird.“

Johanna Grillmayer, religion.ORF.at

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