Dompfarrer: Mehr Interesse an Kirche durch Islam

Der Wiener Dompfarrer Toni Faber hat am Mittwoch zu den leichten Anstiegen der Eintrittszahlen Stellung genommen. Er vermutet als Ursache die verstärkte Präsenz des Islam.

„In den letzten Monaten hat die verstärkte Präsenz der muslimischen Religion vermehrt Menschen dazu bewogen, den Weg zurück zur Kirche zu finden“, so Faber im „Kurier“ (Mittwochausgabe). Dabei seien aber nicht die öffentlich kritisierten Ausformungen des islamischen Glaubens wie das Kopftuch ein Wiedereintrittsgrund.

Vielmehr könne das Vorleben einer anderen Religion zu einer „Rückbesinnung zum eigenen Glauben führen“, erläuterte der Dompfarrer: „Viele Muslime zeigen, wie wichtig Familie ist, wie viel Halt der Glaube schenken kann, wie erfüllend Traditionen wie der Ramadan sein können.“ Zudem habe Papst Franziskus kraft seiner Persönlichkeit und seines Wirkens eine Anziehungskraft, die sich natürlich auch auf die Kirche auswirke.

Toni Faber

APA/Herbert Neubauer

Toni Faber, Dompfarrer der Domkirche St. Stephan in Wien

Am Dienstag war die aktuelle Kirchenstatistik bekanntgegebenen worden. Für 2016 meldete die Erzdiözese Wien 1,210.828 Katholiken (2015: 1,223.131). 15.149 Personen traten aus der Kirche aus (2015: 16.103). Zugleich konnten bislang 1.226 Neu-und Wiedereintritte verzeichnet werden (2015: 1.182). 140 Personen widerriefen ihren Austritt (2015: 170).

Diskussion: „Comeback nach dem Austritt“

Faber nahm Dienstagabend zusammen mit der Pastoraltheologin Regina Polak und dem Franziskaner Benno Mikocki auch an einer Podiumsdiskussion mit dem Thema „Comeback nach dem Austritt“ teil. Sie waren sich einig, dass bei Ausgetretenen, die in die Kirche zurückkehren, der Wunsch nach spiritueller Verankerung und Gemeinschaft im Vordergrund steht.

Die Kirche müsse „keine Angst haben, dass sie verschwindet“, konstatierte der Wiener Dompfarrer Anton Faber, der für einen differenzierten Blick auf Ausgetretene plädierte. Die allermeisten von ihnen seien weiterhin gläubig, nur ein ganz kleiner Teil sei explizit atheistisch. Die Kirche sei von daher gefordert, auf diese Menschen zuzugehen und sie willkommen zu heißen, wie es Papst Franziskus selbst vorlebe.

„Wiedereintritte haben Vorrang und die Gelegenheit dafür ist großartig“, betonte der Seelsorger, der im vergangenen Jahr 100 ausgetreten Katholiken wieder in die Dompfarre aufnehmen konnte.

„Ausgetretene sind Kirchensympathisanten“

„Ausgetretene sind Kirchensympathisanten“, dies könne er nach 25-jähriger Erfahrung im intensiven Umgang mit Wiedereintretenden sagen, so Faber. Es gelte im Umgang mit latent Eintrittswilligen auf die je individuelle Situation menschlich einzugehen. Oft spielten dabei persönliche Krisen eine Rolle. Bei vielen anderen sei es der an einen Ausgetretenen herangetragenen Wunsch, als Tauf- oder Firmpate zu fungieren. Nicht selten würden diese Menschen gleichzeitig dabei die Erfahrung machen, „dass Gott sie dazu berufen hat“.

Andere hätten die „Ursehnsucht, wieder Frieden zu finden“. Der Dompfarrer nannte als Beispiel dafür den Schauspieler Götz Kaufmann, den Faber drei Wochen vor seinem Ableben wieder in die Kirche aufnehmen konnte. Bei allen Begegnungen mit Ausgetretenen gelte es offen für den Glauben zu sein, „das Gottesgerücht am Leben zu halten“, so der Dompfarrer.

Sprecher: Gründe für Aus- und Eintritte erforschen

Michael Prüller, Sprecher der Erzdiözese Wien sagte gegenüber der „Wiener Zeitung“ (Mittwochausgabe), dass in Zukunft die Gründe für Kirchenaustritte und auch für Wiedereintritte intensiver erforscht werden sollen, um wieder mehr Mitglieder zu gewinnen. „Wir schauen immer auf die Austritte, aber das eigentliche Problem ist, dass wir in der Stadt Wien nur noch 34 Prozent Katholiken-Anteil haben, das heißt: 66 Prozent der Wiener sind keine Katholiken, wir sind also eine Minderheit in einer Missionssituation“, so Prüller.

Michael Prüller

kathbild/Franz Josef Rupprecht

Michael Prüller, Sprecher der Erzdiözese Wien

Das Problem sei nicht, „dass jemand, der schon in der vierten Generation kirchenfern ist, irgendwann austritt, sondern dass wir von all den rund 1,4 Millionen Menschen, die in der Erzdiözese leben und nicht katholisch sind, nur 1.500 dazu bringen, sich uns zu nähern“, so Prüller. Er sei überzeugt, „dass die Sehnsucht nach einer Heimat bei mehr Menschen da ist, als tatsächlich wieder eintreten. Und dass sie oft einfach nicht wissen, dass es für diese Sehnsucht ein Zuhause gäbe: nämlich die Kirche.“

Mit fast sechs Prozent weniger Austritten als 2015 hält die Erzdiözese Wien österreichweit den besten Wert. Ein Detail: Der Rückgang der Austritte betrifft vor allem das Wiener Stadtgebiet (minus 9 Prozent), während die Austritte im Weinviertel (Vikariat Nord) weit weniger stark zurückgingen und im Industrieviertel (Vikariat Süd) sogar gestiegen sind.

„Normalmaß der Kirchlichkeit“

Eine mögliche Erklärung für den Diözesansprecher: "Die Austrittswelle hat in der Stadt früher begonnen, nämlich in den späten 1970ern, und erst in den 1990ern die ländlichen Gegenden ergriffen. Es kann sein, dass man in der Stadt jetzt langsam zum Normalmaß der Kirchlichkeit kommt. Freilich: In der Stadt gebe es immer noch mehr Austritte als auf dem Land, „nur wird dieses Mehr jetzt eben ein bisschen weniger“.

Die Gründe für den Austritt seien vielfältig: „Oft ist es bloß der Vollzug einer schon viel früheren Entfremdung“, so Prüller. Und nicht wenige junge Leute würden auch aus der Kirche austreten, weil ihnen der Kirchenbeitrag zu teuer erscheint: „Es ist sicher auch eine Frage der Kosten-Nutzen-Relation. Und in der Stadt ist nicht nur das Leben tendenziell weniger traditionell geprägt als auf dem Land, man tut sich auch leichter mit dem Austritt, weil ihn sonst kaum jemand bemerkt.“

Treuegrad der Katholiken „außerordentlich“

Ein interessantes Detail: Gerade in Dekanaten mit hohen Ausländeranteilen würden weniger Katholiken aus der Kirche austreten. Prüller liest daraus ab, dass offenbar austrittswillige Österreicher, die vielleicht schon in der dritten oder vierten Generation nicht mehr wirklich in ihrer Pfarre verwurzelt sind, allmählich durch Katholiken aus dem Ausland ersetzt werden, die oft in ihrer jeweiligen fremdsprachigen Gemeinde sehr stark eine Heimat und damit weniger Kirchenaustrittsneigung haben.

Trotzdem schrecken ihn die Zahlen nicht, im Gegenteil: Er findet den Treuegrad der Katholiken sogar ganz außerordentlich: „Die durchschnittlich 1,2 Prozent Austritte pro Jahr sind für eine Organisation mit lauter freiwilligen Mitgliedern eigentlich ein toller Wert. Kaum ein Verein behält 98,8 Prozent seiner Mitglieder.“

religion.ORF.at/KAP

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