Religiöse Symbole: Experten mahnen zu Seriosität

Für mehr Sachlichkeit plädieren Juristen und Religionswissenschaftler in der aktuellen Debatte um Kopftuch und andere religiöse Symbole im öffentlichen Dienst.

Eine differenzierte Betrachtung der viele Aspekte umfassenden Thematik sei „unerlässlich“, betonen etwa die Wiener Religionsrechtler Brigitte Schinkele und Richard Potz am Donnerstag in einem Beitrag für die neue Ausgabe der Wochenzeitung „Die Furche“.

Wie andere Experten sehen sie dabei durchaus berechtigte Argumente für das Aufhängen von Schulkreuzen - nicht jedoch bei der gleichzeitigen Einführung eines Kopftuchverbots, wie es zuletzt u. a. vom Integrationsministerium vorgeschlagen wurde. Religiös motivierte Kleidung von Richtern und auch das Kreuz im Gerichtssaal werden hingegen von den Rechtswissenschaftlern abgelehnt.

Spannungsfeld zwischen Staat und Religion

Die Beachtung religiöser Bekleidungsvorschriften, sei es für Kopftuch, Talar, Habit, Kippa oder Turban, werde vom Grundrecht auf freie Religionsausübung umfasst, schreiben die an der Universität Wien lehrenden Juristen Schinkele und Potz in der „Furche“. Das Tragen religiöser Symbole im öffentlichen Dienst stehe dabei in einem Spannungsfeld zur Verpflichtung des Staates zu religiös-weltanschaulicher Neutralität.

Das Innere eines Gerichtssaals

ORF.at/Zita Klimek

Gerichtssaal: Richterinnen und Richter als Vertreter des Staates

Während aber in hoheitlichen Kernbereichen, wie insbesondere der Rechtsprechung, eine die religiöse Dimension „ausgrenzende“ Form der staatlichen Neutralität geboten sei, komme in sozial-, leistungs- und kulturstaatlichen Bereichen eine diese Dimension „hereinnehmende“ Ausprägung der religiösen Neutralität des Staates zum Tragen.

Richterinnen repräsentieren Staat

Die Position von Richterinnen und Lehrerinnen müsse im auch in Österreich praktizierten „System kooperierender Neutralität“ unterschiedlich beurteilt werden. Beide seien zwar Repräsentanten des Staates, jedoch in unterschiedlicher Intensität, so Potz und Schinkele. Während daher ein Kopftuchverbot für den Richterberuf aus verfassungs- bzw. grundrechtlicher Sicht gut argumentiert werden könne, sei ein Kopftuch bei Lehrerinnen grundsätzlich zulässig.

Wesentlich bei Lehrerinnen sei die von ihnen ausgehende Vorbildwirkung. Die rechtliche Betrachtung eines von Lehrkräften getragenen Kopftuchs müsse daher weniger das Tuch, sondern deren sonstiges Verhalten und ihre Unterrichtsgestaltung beachten.

Kreuz „stilles Symbol“

Für verfassungsrechtlich vertretbar halten Potz und Schinkele die in Österreich bestehenden Regelungen zum Kreuz im Klassenzimmer. Weil der Staat in dieser Frage nicht Grundrechtsträger sondern Grundrechtsadressat sei, gehe es nicht um eine Eingriff in die Religionsfreiheit. Zwar könne das Anbringen eines Kreuzes als Maßnahme positiver Religionsförderung gesehen werden, so die Religionsrechtler. Darüber hinaus stelle das Kreuz jedoch auch „ein säkulares, die abendländische Geistesgeschichte vergegenwärtigendes Symbol“ dar.

Im Schulkreuz sehen die Experten daher im bestehenden österreichischen System „kooperierender Neutralität“ keinen Widerspruch. Das Kreuz liege sowohl im Hinblick auf die staatliche Neutralitätsverpflichtung im Bildungs- und Erziehungsbereich, als auch aus grundrechtlicher Sicht gegenüber jenen Schülern, die das Kreuz ablehnen, im rechtspolitischen Spielraum des Staates, so Potz und Schinkele.

Sie zitieren dazu aus einem 2011 ergangenen Urteil des Verfassungsgerichtshofs, wonach das Kreuz „kein starkes äußeres Zeichen in dem Sinne, dass es einen Bekehrungseffekt oder sonstigen nachhaltigen Einfluss auf die Kinder haben könnte“.

Kopftuchverbot brächte wohl Schulkreuzverbot

Gleichzeitig betonen die Juristen, dass ein unter Hinweis auf ein striktes Neutralitätsgebot verhängtes Kopftuchverbot für Lehrerinnen diese bestehende Rechtsauslegung verändern würde. Der Beschluss eines Kopftuchverbots würde „zwangsläufig auch die Abnahme des Schulkreuzes verlangen“, stellen Schinkele und Potz klar.

Letzteres betont auch der Staatskirchenrechtler Herbert Kalb. Die Zulässigkeit von Kreuzen in Klassenzimmern als „stilles Symbol“ sei höchstrichterlich bestätigt, wird er in der aktuellen Ausgabe der „Linzer Kirchenzeitung“ (Donnerstag-Ausgabe) zitiert.

Ein Kopftuchverbot für Lehrkräfte aber hätte Folgen: „Der Staat, der ja keine Religion ausübt, hängt ein Kreuz auf. Wenn er aber gleichzeitig mit einem Kopftuchverbot massiv in die Religionsfreiheit der Lehrerin eingreift, wird man unter anderen Vorzeichen wieder über das Kreuz diskutieren können“, so Kalb. Ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen halte er persönlich für „juristisch problematisch“. Die gegenteilige Ansicht hält der Staatskirchenrechtler allerdings auch für „schlüssig argumentiert“.

„Markantes“ Kopftuch

Für eine umfassende, aber mit „mehr Ruhe“ geführte Debatte plädiert in der „Linzer Kirchenzeitung“ auch der Soziologe Kenan Güngör. „Für mich ist nicht nur die Frage wichtig, ob es religiöse Symbole in staatlichen Institutionen gibt, sondern in welcher Sichtbarkeit und Dominanz“, so Güngor, der selbst Mitglied im Expertenrat des Integrationsministeriums ist: „Würde eine muslimische Richterin ein Kettchen mit einem Gebetsspruch tragen, wäre das wohl kein Problem. Auch ein kleines Kreuz in Klassenzimmern dominiert ja nicht den Raum, wohl aber ein lebensgroßes Kreuz.“

Das Kopftuch jedoch hält Güngör demgegenüber für ein „markantes“ und „sehr dominantes“ Symbol. Es gebe Frauen, die das Kopftuch als Zeichen der Emanzipation sehen, man müsse aber beachten, dass es einer patriarchalen Gesellschaft entstamme und diese sich in der Symbolik des Kopftuchs niederschlage. Sein Vorschlag daher: „Keine dominanten religiösen Zeichen in bestimmten, staatlichen Institutionen wie zum Beispiel der Pflichtschule - und das muss für alle Lehrenden wie auch Schüler aller Religionen gelten.“

Gleichzeitig spricht sich der Soziologe aus Gleichheitsgründen gegen ein Gesetz aus, das ausdrücklich ein Kopftuchverbot beinhaltet. „Das wäre die Zementierung einer Ungleichbehandlung in Gesetzesform“, betont er. Güngor warnt zudem davor, alle Musliminnen mit Kopftuchträgerinnen gleichzusetzen, weil ein Großteil das Tuch nicht trage. Werde die Debatte um das Kopftuch aber gehässig, könne das auch religiöse Gefühle von Nicht-Kopftuch-Trägerinnen verletzen, zeigt der Soziologe auf.

Gegen Kreuz im Gerichtssaal

Die Fragen nach religiöser Bekleidung oder Schulkreuzen seien aber anders zu beurteilen als das Thema „Kreuz im Gerichtssaal“. Dieses stelle einen „Verstoß gegen die in hoheitlichen Kernbereichen strikt zu handhabende Neutralitätsverpflichtung des Staates“ dar und wäre daher „jedenfalls zu entfernen“, schreiben die Religionsrechtler Schinkele und Potz in der „Furche“.

Das gelte umso mehr, als der religiöse Eid für Zeugen in vor Gericht verhandelten Strafverfahren bereits abgeschafft worden und in Zivilverfahren „weitgehend bedeutungslos geworden“ sei, so die beiden Juristen.

Auch der Linzer Staatskirchenrechtler Kalb ist in dieser Frage klar. Bei Gericht sei eine „distanzierende Neutralität“ des Staates notwendig, betont er in der „Linzer Kirchenzeitung": Deshalb unterstütze ich die Meinung, dass dort religiöse Symbole seitens der Justiz nichts zu suchen haben. Das gilt auch für das Kreuz im Gerichtssaal.“

religion.ORF.at/KAP

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