Chaldäischer Patriarch besucht befreite Ninive-Ebene

Eine Delegation der chaldäisch-katholischen Kirche unter Leitung von Patriarch Mar Louis Raphael Sako hat die erst vor kurzem von der Regierungsarmee befreite Ninive-Ebene besucht.

Lokale Politiker empfingen den Patriarchen und seine Delegation Ende der Woche, wie die katholische Nachrichtenagentur „Fides“ berichtet. In der Herz-Jesu-Kirche in Tel Kaif (aramäisch: Tel Keppe), wo seit kurzem wieder das von den Dschihadisten entfernte Kreuz auf dem Kirchendach sichtbar ist, betete der Patriarch mit den Gläubigen für den Frieden in der Region und für die Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Häuser.

Patriarch Sako

Reuters/Alaa Al-Marjani

Patriarch Mar Louis Raphael Sako betete für die Rückkehr der vertriebenen Christen

Geld für Rückkehr der Flüchtlinge

Wie das chaldäische Patriarchat mitteilt, wurden auch erste Spenden der chaldäisch-katholischen Kirche im Umfang von insgesamt fast 500 Millionen Dinar (380.000 Euro) für den Wiederaufbau von Wohnungen und Kirchen bereitgestellt, die während der Herrschaft der IS-Terroristen beschädigt worden sind.

Damit soll auch die Rückkehr der Flüchtlinge erleichtert werden, die im August 2014 nach dem Vormarsch der Terroristen fliehen mussten. Die Verwüstung sei vor allem in der Stadt Batnaya besonders groß. In Tel Kaif sei das Ausmaß der Schäden geringer.

Irakische Christin bei muslimischen Nachbarn versteckt

In Tel Kaif hatten die Regierungstruppen nach der Befreiung die 60-jährige Christin Georgette Hanna gefunden, die von einer muslimischen Nachbarsfamilie versteckt gehalten wurde. Georgette war es im Juni 2014 nicht gelungen, mit anderen Christen aus Tel Kaif zu fliehen; seither war sie bei ihren muslimischen Nachbarn untergekommen, die sie in ihrer Wohnung versteckt hielten. Mit der Befreiung der Stadt aus der Hand der IS-Terroristen endete nach mehr als zweieinhalb Jahren auch die Isolation dieser irakischen Christin.

Am Donnerstag besuchte Patriarch Sako auch al-Nour, 15 Kilometer von Mossul entfernt. Er wollte u.a. die Heilig-Geist-Kirche ansehen; der für die Kirche zuständige Priester war ermordet worden.

Vor Journalisten nahm Mar Louis Raphael Sako auch zur Situation in Mossul Stellung. „Der nordöstliche Teil der Stadt, den die Armee jetzt befreit hat, ist der größere“, erklärte der chaldäische Patriarch. Der südöstliche Teil, der als nächstes befreit werden soll, sei kleiner, aber komplizierter. „Die Häuser dort sind alt, es leben mehr Menschen dort, es gibt keine Straßen, das sind eher Gässchen, nur für Fußgänger, Autos kommen dort nicht durch. Darum ist die Lage dort sehr schwierig.“

Bedrohlicher Winter

Besorgt äußerte sich der Patriarch über die widrigen Umstände, denen die Flüchtlinge aus Mossul ausgesetzt sind: "Es ist jetzt wirklich sehr kalt. Die Leute bräuchten eigentlich irgendwelche Wärmequellen, aber die gibt es nicht.

Viele dieser Menschen wohnen in Zelten. Es fehlt an Nahrungsmitteln, Medikamenten, Wasser. Eine sehr, sehr schwierige Situation." Viele entscheidende Fragen seien weiter offen - etwa, ob die christlichen Flüchtlinge wieder nach Mossul und in ihre Dörfer in die Ninive-Ebene zurückkehren würden. Dasselbe betreffe auch das Schicksal von Mossul: Ob es der Zentralregierung von Bagdad möglich sein werde, die zweitgrößten Stadt des Irak zu kontrollieren, oder ob die Stadt der kurdischen Region zugeschlagen werde.

Priorität hat für den Patriarchen momentan die Sicherheit, „dass alle in ihre Häuser zurückkehren können“, wofür die Hilfe der internationalen Gemeinschaft nötig sei. „Wiederaufbau der Häuser, der Infrastruktur, also Wasser, Strom, Schulen, Krankenhäuser - all das müsste bis zum Ende des Sommers über die Bühne sein, damit die Menschen in ihre Häuser zurückkehren können“, so Sako.

Im nächsten Schritt müsse der Staat eine „globale Politik für den Irak entwerfen, an der alle Gruppen teilhaben und wo alle integriert sind“. Sako sagte, er hoffe auf ein „einigermaßen neutrales Verhalten“ der Regierung, damit alle Bürger gleiche Rechte erhielten.

Alle Christen geflohen

Unter den christlichen Flüchtlingen aus Mossul und der Ninive-Ebene gibt es viele, die sich ein Zusammenleben Tür an Tür mit ihren früheren muslimischen Nachbarn kaum noch vorstellen können. Grund seien die Geschehnisse rund um den einstigen Triumph der IS-Terroristen, als sich Muslime am Eigentum ihrer christlichen Nachbarn vergriffen.

Sako: „Es gibt noch gar keine Christen in Mossul. Sie leben weiter als Flüchtlinge in der kurdischen Region, in Duhok, in Bagdad, in Kirkuk. Und auch viele Muslime haben alles verloren, sie leben in Lagern.“ Den Menschen hingegen, die in ihren Häusern geblieben sind, mangle es nun an fast allem.

Trotz allem sieht Mar Louis Raphael Sako Hoffnungszeichen: „Wir als Kirche werden jetzt bald damit anfangen, die Häuser derer, die zurückkehren wollen, wiederaufzubauen oder zu reparieren.“ Vor allem treffe dies auf den nördlichen Teil der Ebene zu, wo es eine ganze Kette von komplett chaldäischen Dörfern gebe und wohin eine Rückkehr der Christen möglich sei. In den Kirchen sei in den vergangenen Tagen eine Liste der sofort rückkehrwilligen Familien erstellt worden. Zur Unterstützung seien in allen chaldäischen Eparchien Spenden zur Reparatur der Häuser gesammelt worden.

„Wenn das erst einmal ins Rollen kommt, wird das auch andere zu einer Rückkehr ermutigen. Es ist ein Anfang - danach werden wir noch mehr tun“, kündigte der Patriarch an. Man werde die Gläubigen, jedoch auch die katholischen Hilfswerke wie „Kirche in Not“ oder die Caritas um Unterstützung der Rückkehr-Hilfen bitten. Ohne dieser würden sich viele Menschen wohl für immer von der Region verabschieden, so Sako.

religion.ORF.at/KAP