Mythos kontra Wirklichkeit: Galilei und die Kirche

Er gilt als Begründer der modernen Naturwissenschaft, sein Konflikt mit der katholischen Kirche ist geradezu legendär. Der Prozess vor dem Inquisitionsgericht in Rom machte Galileo Galilei für Jahrhunderte zum Symbol: Freiheit der Wissenschaft kontra Fortschrittsfeindlichkeit der Kirche.

Doch heute sieht man den Konflikt wesentlich differenzierter. Der historische Galilei unterscheidet sich vom Mythos doch recht deutlich. Der italienische Universalgelehrte wurde vor rund 450 Jahren, am 15. Februar 1564, in Pisa geboren. Einfach war Galilei wohl nicht. Als „richtigen Querdenker“ und „bunte, schillernde Persönlichkeit“ mit „vielleicht einigen charakterlichen Schwächen“ bezeichnet ihn denn auch Franz Kerschbaum, Astronom an der Universität Wien.

Porträt von Galileo Galilei, Justus Sustermans, 1636

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Galileo Galilei, Porträt von Justus Sustermans, 1636

Doch sein Lebensweg brachte ihn weit: In eine verarmte Patrizierfamilie geboren, wurde er als Universalgelehrter zu einem „Superstar“ seiner Zeit und konnte - als Hofmathematiker der Medici in Florenz - seine vielfältigen Forschungen betreiben.

Astronomie mit dem Teleskop

In der Astronomie sollte vor allem eine Entwicklung Galileis Wirken beeinflussen: 1608 wurde das erste Fernrohr entwickelt. Galilei nutzte das Gerät rasch für seine Forschung. Mit Hilfe des Teleskops gelang ihm unter anderem die Beobachtung der Jupiter-Monde. Galilei habe erkannt, so Kerschbaum, dass neben Jupiter kleine Himmelskörper zu sehen waren, die Nacht für Nacht anders angeordnet waren. Hier habe sich bereits ein erster „Bruch“ mit dem geozentrischen Weltbild abgezeichnet, weil klar wurde: „Nicht nur die Erde kann im Zentrum von Himmelsbewegung stehen.“

Das kopernikanische Weltsystem

Gemäß geozentrischem Weltbild stand die Erde im Zentrum des gesamten Universums, umkreist von Sonne, Mond und Planeten. Das stand im Einklang mit der Bibel und wurde daher von der Kirche vertreten. Zwar gab es längst alternative Modelle – unter anderem hatte Nikolaus Kopernikus bereits sein Modell eines heliozentrischen Systems beschrieben, in dem die Sonne im Mittelpunkt stand. Doch echte Beweise fehlten.

Und, wie Astronom Kerschbaum betont: Bedacht werden müsse auch, dass das geozentrische Weltbild völlig im Einklang mit der Alltagserfahrung stand und steht. „Wenn man auf der Erde steht, hat man ja nicht das Gefühl, dass der Planet mit Tausenden Kilometern pro Stunde durch das All fliegt oder dass die Erde schnell rotiert. Diese Dinge sind der Alltagserfahrung ziemlich fern.“

Der Astronom und Universitätsprofessor Franz Kerschbaum mit dem Nachbau eines Galilei-Fernrohres

Sabine Aßmann

Astronom Franz Kerschbaum mit dem Nachbau eines Galilei-Fernrohrs

Experiment und Beobachtung im Fokus

Das Beispiel Fernrohr macht Galileis neuen Zugang zur Physik und Astronomie deutlich. „Galilei hat in der Physik das Experiment eingeführt und dem ein neues Gewicht gegeben“, sagt Kerschbaum. „In der Astronomie entspricht dem Experiment die Beobachtung. Galilei hat beobachtet und gesagt: Aus der Beobachtung kann man etwas lernen. Das war vorher nicht so, das war Handwerk und wurde abschätzig behandelt. Man stand noch ganz in der scholastischen Tradition von Aristoteles.“

Galileis Konflikt mit der Kirche

Galileis quasi empirischer Zugang ebnete also den Weg für die modernen Naturwissenschaften. Doch genau hier wurde es auch kritisch für ihn: Denn Galilei stellte eben diese zentralen Aspekte seines Wirkens – Experiment und Beobachtung – noch vor die Offenbarung. Zum großen Streitpunkt im Konflikt mit der Kirche sollte zumindest vordergründig die Frage werden, welches Gestirn denn nun letztgültig das „Zentrum des Universums“ bildete: klassisch geozentrisch die Erde oder doch die Sonne, wie im heliozentrischen System angenommen?

Die Geschichte des Konflikts war allerdings wesentlich komplizierter, wie Thomas Prügl, Professor für Kirchengeschichte an der Universität Wien, erzählt. Denn Galilei hatte ursprünglich sehr gute Beziehungen zur römischen Kurie. Seine größten Bewunderer saßen in Rom, und „der spätere Papst Urban VIII. war einer seiner glühendsten Verehrer und Unterstützer“, so Prügl.

Illustration zum heliozentrischen System (Atlas des Instituts für Astronomie)

Sabine Aßmann

Illustration zum heliozentrischen System (Atlas des Instituts für Astronomie)

Doch bereits 1616 geriet Galilei durch sein Eintreten für das heliozentrische Weltsystem erstmals in Konflikt mit der Kirche: Man klagte ihn der falschen Bibelauslegung an, und Galilei musste vor der römischen Indexkongregation erscheinen. Die Sache ging sehr glimpflich aus für den berühmten Angeklagten: Ihm wurde lediglich aufgetragen, das heliozentrische Weltsystem als Hypothese zu betrachten statt als Tatsache. Gegen seine mathematischen Modelle hatte die Kirche also gar nichts, solange er sie nicht als absolute Wahrheit verkaufte.

Bibelauslegung: Verengung auf den Wortlaut

Warum war die Kirche so empfindlich im Bezug auf die Bibelauslegung? In früheren Jahrhunderten war man wesentlich gelassener gewesen, hatte verschiedene Schriftsinne – auch einen übertragenen Sinn – angenommen. „Diese sehr tolerante und breite Bibelauslegung ist nach der Reformation eingeengt worden“, erklärt dazu Kirchenhistoriker Prügl. Durch das lutherische Prinzip „sola scriptura“ sei der unmittelbare Wortlaut der Bibel für theologische Bewertungen stärker in den Mittelpunkt gerückt und als „Wahrheit“ betont worden.

Das Konzil von Trient (1545 - 1563) erließ daher ein Dekret, worin gegen die Reformatoren festgehalten wurde, dass die Bibel „gemäß der Tradition“ auszulegen sei. Man argwöhnte nämlich, dass eine Auslegungsmethode, die den Wortlaut der Bibel zu großzügig als Bildersprache abtat, zu Irrtümern und damit zu einer Gefahr für die Kirche führen könnte. „Hätte Galilei im 13. Jahrhundert gelebt, wäre seine Interpretation kein Problem gewesen, weil die Bibelauslegung damals weitaus flexibler und aufgeschlossener war“, fasst Prügl zusammen.

Höhepunkt des Konflikts: Der Inquisitionsprozess

Galilei forschte weiter und arbeitete an einem großen Werk, das die beiden Weltsysteme vergleichen sollte. Schließlich wurde sein berühmter Dialog über die zwei Weltsysteme gedruckt – und die Bombe platzte: Im „Dialog“ propagierte Galilei offensiv das heliozentrische System. Und wagte es gar, darin die etwas dümmliche Figur des „Simplicio“ einzuführen, die naiv und unintelligent das geozentrische System verteidigte. Zeitgenossen erkannten in dieser Figur sehr schnell den amtierenden Papst, Urban VIII.

Es kam zum berühmten Inquisitionsprozess von 1633: Man forderte von Galilei Beweise für das heliozentrische System. Die jedoch konnte er nicht liefern: „Das Hauptproblem im Streit um Galileo und seine Lehren war eigentlich, dass es zu diesem Zeitpunkt noch keine ausreichend guten Beweise für das neue Weltbild gab“, sagt Astronom Kerschbaum. Detail am Rande: Galileo selbst habe das kopernikanische System „im Wesentlichen begründet mit den Gezeitenkräften. Später hat sich herausgestellt, dass seine Argumente falsch waren.“

Die Inquisition fällte schließlich ein „ambivalentes Urteil“, erzählt Kirchenhistoriker Thomas Prügl. Man hielt offiziell fest, dass Galilei „der Häresie verdächtig“ sei. Er musste abschwören und wurde zu lebenslanger Kerkerhaft verurteilt. De facto aber verbrachte er seine restlichen Jahre unter Hausarrest auf seinem Landgut nahe Florenz. Ein „typischer Winkelzug der Kurie“, sagt Prügl. „Man bleibt den Prinzipien treu, aber distanziert sich in einer milden Anwendung von der Härte des Urteils.“ Dazu passt auch, dass drei der zehn Kardinäle das Urteil ablehnten und der Schlussabstimmung fernblieben.

Legendenbildung nach dem Tod

Erst nach seinem Tod wurde Galileo schließlich zum Symbol verklärt und zum „Märtyrer der freien Wissenschaft“ stilisiert, der sich mutig gegen die fortschrittsfeindliche Kirche aufgelehnt habe. Doch das spätere Leben von Galilei zeige, dass dieser nie die Unterstützung der kirchlichen Kreise verloren habe, betont auch der Astronom Kerschbaum. Galilei konnte weiter forschen, publizieren und mit anderen Wissenschaftlern korrespondieren.

Und bereits 1741 genehmigte die Congregatio Romanae et universalis Inquisitionis, heute Kongregation für die Glaubenslehre, die erste Gesamtausgabe der Werke Galileis. Der Papst habe sogar ausdrücklich angeordnet, so Prügl, dass die kirchliche Druckerlaubnis nicht verweigert werde. Für den Kirchenhistoriker ist das bereits gleichbedeutend mit einer Rehabilitation Galileis. Wenn diese offiziell auch erst 1992 durch Papst Johannes Paul II. erfolgte.

Prügl sieht denn auch Galileis „Ungehorsam“ gegenüber dem Papst als eigentlichen Streitpunkt im Konflikt mit der Kirche. Galilei hat sich demnach schlicht verschätzt, könnte man sagen. Aufgrund seiner guten Beziehungen habe er wohl gedacht, dass ihm nichts passieren könne, so Prügl. Für Galilei ging die Sache im Grunde glimpflich aus. Für die katholische Kirche weniger – man könnte die „Galileo-Affäre“ auch etwas polemisch als eines der größten PR-Desaster ihrer Geschichte bezeichnen.

Sabine Aßmann, für religion.ORF.at