Orthodoxe Bischöfe fordern Ende von „Lenin-Kult“

Im russischen Kolomenskoje hat am Mittwoch ein Gedenkgottesdienst zum 100. Jahrestag der Abdankung von Zar Nikolaus II., der 1918 erschossen wurde, stattgefunden. Die Liturgie wurde von Patriarch Kyrill I. geleitet.

Die Marienikone von Kolomenskoje gilt als Beschützerin Russlands in schwierigen Zeiten; insbesondere im Revolutionsjahr 1917, im anschließenden Bürgerkrieg und in der Zeit der Kirchenverfolgung Lenins und Stalins. Unterdessen fordern russische Bischöfe in der Diaspora vehement die Entfernung des Leichnams Lenins aus dem Mausoleum am Roten Platz in Moskau und dessen Umwidmung.

Lenin-Statue nahe St. Petersburg, Russland

APA/AP/Dmitri Lovetsky

Lenin-Statue nahe St. Petersburg, Russland

Es wäre „ein Zeichen der Versöhnung des russischen Volkes mit Christus“, wenn der Leichnam Lenins, „des größten Christenverfolgers des 20. Jahrhunderts“, vom Roten Platz verschwinden würde, heißt es in einem Schreiben der mit dem Moskauer Patriarchat in voller Kirchengemeinschaft stehenden Russischen Auslandskirche (ROCOR).

In allen Gottesdiensten verlesen

Es wurde in allen Gottesdiensten am vergangenen Sonntag in mehr als 450 russisch-orthodoxen Kirchen in 43 Ländern verlesen. Die ROCOR-Bischöfe fordern weiter, dass auch alle Lenin-Denkmäler zerstört werden sollen. Städte, Provinzen und Straßen in Russland sollten auch ihre historischen vorrevolutionären Namen zurückerhalten.

Weiter beklagt die ROCOR-Synode den moralischen und wirtschaftlichen Niedergang Russlands, den die sowjetische Herrschaft zu verantworten habe, sowie eine „fortwährende Verunglimpfung“ Russlands seitens des Westens, die heute wie vor hundert Jahren herrschen würde. Die Bischöfe fordern die Gläubigen „im Vaterland und in der Diaspora“ auf, den orthodoxen Glauben als Geschenk Gottes „wie den eigenen Augapfel“ zu bewahren.

Stalins Leichnam bereits entfernt

Die Russische Orthodoxe Kirche im Ausland wurde nach der Oktoberrevolution 1917 von russisch-orthodoxen Gläubigen gegründet, die vor religiöser Verfolgung durch die Bolschewiken aus der Sowjetunion geflohen waren. 1927 erklärte sie sich für unabhängig vom Moskauer Patriarchat, nachdem Patriarch Sergius I. eine Loyalitätserklärung gegenüber der Sowjetunion abgegeben hatte.

Seit 2007 bestehen wieder kanonische Verbindungen mit dem Moskauer Patriarchat, dem die Auslandskirche mittlerweile als autonome Kirche verbunden ist. Heute umfasst die Auslandskirche etwa 450 Gemeinden in Amerika und Europa. Der Sitz des Metropoliten und der obersten Kirchenverwaltung ist seit 1957 New York.

Entfernung immer wieder diskutiert

Zwischen 1953 und 1961 war im Lenin-Mausoleum auch der Leichnam Stalins aufgebahrt, bis er im Zuge der Entstalinisierung auf den Ehrenfriedhof dahinter umgebettet wurde. Die Entfernung des Leichnams Lenins aus dem Mausoleum am Roten Platz wird bereits seit der Endphase der UdSSR immer wieder diskutiert. Bisher einzige Konsequenz war 1993 der Abzug der Ehrenwache unter Präsident Boris Jelzin.

In der Sendereihe „Kirche und Welt“ des TV-Senders „Rossija-24“ trat der Leiter des Außenamts des Moskauer Patriarchats, Metropolit Hilarion, ebenfalls dafür ein, dass Straßennamen, die an sowjetische Funktionäre erinnern, geändert werden sollen. Aber man dürfe nichts übereilen, denn die Umbenennungen müssten von der Bevölkerung akzeptiert werden.

„Terroristen, Mörder, Henker“

Er hoffe aber - so Hilarion-, dass „früher oder später alle einsehen werden“, dass viele jener Namen Terroristen, Mörder und Henker bezeichneten, die „mit negativem Vorzeichen in die Geschichte eingegangen“ seien. Derzeit gebe es aber zur Frage der Umbenennungen noch unterschiedliche Auffassungen in der Bevölkerung, ebenso im Hinblick auf die Entfernung des Leichnams Lenins auf dem Roten Platz.

Der Moskauer Metropolit Hilarion

Reuters/Maxim Shemetov

Der Moskauer Metropolit Hilarion

Als „demagogisch“ bezeichnete der Metropolit das von den Gegnern der Umbenennung oft herangezogene Argument, neue Straßentafeln würden die Steuerzahler viel Geld kosten. Freilich müsse man auch die Macht der Gewohnheit in Rechnung stellen. Er selbst habe sich auch erst an die neuen Bezeichnungen der wichtigen Metro-Stationen in Moskau gewöhnen müssen. Das sei eine geringfügige Belastung, wenn dafür „die Namen der Mörder und Kriminellen von unseren Straßen, Plätzen und Metro-Stationen verschwinden“.

Hilarion hatte vor einem Monat in der Moskauer Erlöser-Kathedrale eine Ausstellung zum Gedenken an die Märtyrer aus der Zeit des Bolschewismus und Stalinismus eröffnet. Bestimmte Namen dürften nicht aus dem Gedächtnis schwinden, betonte der Metropolit: „Es gab Repressionen, Millionen schuldloser Menschen wurden ermordet. Die Kirche hat ihre Meinung über das 20. Jahrhundert zum Ausdruck gebracht, als sie im Jahr 2000 mehr als 1.700 neue Märtyrer und Bekenner, deren Namen bekannt waren, und viele tausende, deren Namen niemand mehr kennt, heilig sprach.“

religion.ORF.at/KAP

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