Der „Boom“ der Reformation in Österreich

Die Reformation hat im 16. Jahrhundert in Österreich wie eine Bombe eingeschlagen. Besonders der Gedanke Luthers von der „gratis Gnade“ war ausschlaggebend für den Erfolg, aber auch ihre demokratisierende Wirkung.

Schon 1530 – 13 Jahre nach dem Thesenanschlag Luthers in Wittenberg – sei das Gebiet des heutigen Österreich stark evangelisch gewesen, sagte die evangelische Pfarrerin von Wien-Währing und Hernals, Barbara Heyse-Schaefer gegenüber religion.ORF.at. Beinahe alle Gebiete des heute österreichischen Territoriums haben sich in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts mehrheitlich dem Protestantismus zugewandt.

90 bis 95 Prozent aller Niederösterreicher waren im 16. Jahrhundert protestantisch, Oberösterreich war 1525 in dem Maß lutherisch wie es heute römisch-katholisch ist, die Kärntner nennen die Zeit zwischen 1525 und 1627 das „protestantische Jahrhundert“ und im Wiener Stephansdom predigte am 12. Jänner 1522 Paul Speratus, ein katholischer Priester und späterer evangelischer Prediger.

Die evangelische Pfarrerin Barbara Heyse Schäfer

Markus Andorf

Pfarrerin Barbara Heyse-Schaefer

Adelige als Träger der Reformation

Diese Prozentangaben sind für den Militärsuperintendenten und Historiker Karl-Reinhart Trauner „nur Schätzungen“. Die Adeligen – die Träger der Reformation – seien davon ausgegangen, dass auch die Leibeigenen evangelisch geworden sind: „Aber woher weiß man heute, ob diese wirklich bekennend waren?“ Klar ist für Trauner, dass „die Masse“ mit der reformatorischen Bewegung sympathisiert hat.

Dass vor allem die östlichen Gebiete des heutigen Österreich beinahe flächendeckend evangelisch waren, liegt laut Trauner daran, dass der Adel im Westen „nicht so stark“ war. Im heutigen Tirol beschränkte sich die reformatorische Ausbreitung auf regionale Zentren, wie beispielsweise Hall in Tirol oder die Bergbaugebiete. Auch auf dem Gebiet des heutigen Vorarlberg geschah die Verbreitung des lutherischen Gedankenguts nur „punktuell“. Frühindustrielle seien dort aktiv gewesen, jedoch nicht so stark vernetzt, so Trauner.

Mehrere reformatorische Bewegungen

Bereits in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts habe es auch in Österreich verschiedene reformatorische Strömungen gegeben. Die lutherische Bewegung setzte sich am stärksten durch, sagte der Superintendent. Eine andere große Gruppierung, die aber zahlenmäßig nicht an die lutherische herankam, war die Täuferbewegung, der sogenannte linke Flügel der Reformation. Im heutigen Kärnten war die Gruppe der Flatianer verbreitet, eine radikale lutherische Gruppierung, die nur von manchen Lutheranern akzeptiert wurde. Die Schweizer Reformation setzte sich in Österreich bis auf einige wenige Personen nicht durch.

Welt im Umbruch

Wie kam es zu der rasanten Ausbreitung der Reformation? „Die Reformation war eine Widerstandsbewegung, die auch ihre Vorläufer hatte. Jan Hus wurde noch verbrannt, aber die protestantische Bewegung war nicht mehr niederzuhalten“, so Heyse-Schaefer. Flugblätter mit den Lehren Luthers konnten durch den Buchdruck schnell nachgedruckt werden und viele katholische Priester begannen, in ihren Predigten reformatorisches Gedankengut zu verbreiten.

Die Einführung des Buchdrucks und die große Unzufriedenheit der Menschen mit dem katholischen Klerus habe die schnelle Ausbreitung besonders begünstigt. Die Menschen des frühen 16. Jahrhunderts strebten nach Unabhängigkeit, wollten sich von der Obrigkeit lossagen. Sie spürten, dass die Welt im Umbruch lag: Die Entdeckung Amerikas, der Humanismus und vor allem die Innovation des modernen Buchdrucks mit beweglichen Metalllettern waren nur einige Anzeichen dafür.

Lust auf „gratis Gnade“

Was die Menschen gerade auch in den Habsburger Landen besonders ansprach, sei Luthers Gedanke von der „gratis Gnade“ gewesen, sagte Heyse-Schaefer. Das sei im Gegensatz zu den katholischen Ablassgeschäften gestanden, bei denen man sich Gnade gegen Geld kaufen konnte. Bahnbrechend sei für die Menschen auch der Gedanke des „allgemeinen Priestertums der Gläubigen“ gewesen und damit verbunden der Gedanke, dass jeder die Bibel lesen könne und solle: „Menschen ließen sich sogar zu illegalen Machenschaften, wie Bibelschmuggel, hinreißen“, erzählte Heyse-Schaefer.

Der evangelische Dogmatiker Christian Danz

Barbara Mair

Dogmatiker Christian Danz

Reformation bringt Demokratie

Als „signifikantes“ Merkmal der Thesen Luthers bezeichnete der evangelische Dogmatiker Christian Danz die „Einebnung der Hierarchie in der Kirche“. „Äußerliche Vermittlungen“ seien im Gedankengut Luthers in den Hintergrund getreten. Religion habe sich nun mehr auf die „Innerlichkeit des frommen Gemüts vor Gott“ konzentriert. Die Kirche sei nicht mehr die zentrale Vermittlungsinstanz gewesen, die „stellvertretend für den Einzelnen glaubt“. Das Abendmahl wurde in beiderlei Gestalt gereicht, auch Laien bekamen sowohl Brot als auch Wein. Das alles sei besonders auch in Österreich auf „fruchtbaren Boden“ gefallen, so Danz.

Für den evangelischen Theologen zeigen sich in der Reformation „demokratisierende Tendenzen“. Der Gottesdienst sei in Österreich auf Deutsch gefeiert worden und auch in den anderen Ländern in den jeweiligen Landessprachen. Die slowenische Nationalsprache beispielsweise habe sich vor allem durch die Übersetzung der Bibel entwickelt, sagte Danz.

Von Bibelschmugglern und Auswanderern

Der Bruder einer Vorfahrin von Heyse-Schaefer war der bekannte Kaufmann Tobias Kiesling. Er hat Waren nach Österreich geliefert und bei dieser Gelegenheit in Weinfässern Bibeln versteckt. Der „Bischof im Kaufmannsgewand“, wie Kiesling von den Menschen genannt wurde, habe die Bibeln unter die Leute gebracht und mit den Menschen Gottesdienst gefeiert.

Ein vierfacher Urgroßvater der evangelischen Wiener Pfarrerin sei sogar bereit gewesen, für seine Überzeugung und den Besitz einer Bibel auszuwandern: „Für mich sind das beeindruckende Menschen, die so felsenfest an den reformatorischen Ideen festgehalten haben.“ Auswandern sei nämlich oft auch damit verbunden gewesen, die Kinder über 12 zurückzulassen und den Hof zum halben Preis zu verkaufen.

Bis heute sind in Wien einige Erinnerungen an die frühe Ausbreitung der Reformation zu finden. Unweit der Lutherkirche Wien Währing und Hernals in der Martinsstraße erinnert die beim Gürtel beginnende Jörgerstraße im 17. Bezirk an das oberösterreichische Adelsgeschlecht der Jörger von Tollet. Sie waren vehemente Befürworter der Reformation und ermöglichten den Menschen, gemeinsam Gottesdienst zu feiern: „Hernals war damals ein Luthernest“, so Pfarrerin Heyse-Schaefer.

Relief an einer Hauswand im 17.Bezirk

Markus Andorf

Das Adelsgeschlecht der Jörger von Tollet waren vehemente Befürworter der Reformation

Gewaltvolle Gegenreformation

Das hat sich aber schnell geändert, spätestens mit dem Augsburger Religionsfrieden 1555, durch den die Landesherrn das Recht bekamen, die Konfession in ihrem Territorium selbst zu bestimmen: „cuius regio, eius religio“ – „wessen die Herrschaft, dessen die Religion“. Die Mehrheit der Habsburger sei römisch-katholisch gewesen, nur einige wenige hätten „Sympathie für die Reformation“ gezeigt, erklärte Heyse-Schaefer: „Die Gegenreformation wurde dann oft mit Gewalt durchgesetzt.“

Diejenigen, die dennoch protestantisch bleiben wollten, wanderten entweder aus oder wurden Geheimprotestanten und lebten somit nach außen als Katholiken, „zelebrierten aber innerlich die wahre Religion“. Viele Geheimprotestanten gab es gerade in Österreich, da die Alpen für evangelische Christen ein gutes Versteck boten. Eine flächendeckende Überprüfung durch die Habsburger in den gebirgigen Regionen war nicht möglich. Die meisten Protestanten in Österreich hielten sich somit bis zum Toleranzpatent von Joseph II. in den Alpen und in ländlichen Gebieten auf.

Im dreißigjährigen Krieg (1618-1648) kam mit der Schlacht am Weißen Berg 1620 bei Prag schließlich das Ende der Reformation in den Donauländern. Mit dem Sieg der katholischen Seite hat sich die Gegenreformation durchgesetzt. Über 100 Jahre hatte somit das Gedankengut Luthers Österreich geprägt. Geblieben sind einige wenige Erinnerungen in Straßen- und Ortsbezeichnungen und rund 295.000 evangelische Christinnen und Christen in Österreich.

Markus Andorf, für religion.ORF.at

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