Jesuit: Entwicklung in US-Kirche voller Widersprüche

Die römisch-katholische Kirche in den USA erlebt in extremer Form eine Gleichzeitigkeit von Niedergang und Expansion, so der Leiter des Washingtoner „Center for Applied Research in the Apostolate“ (CARA), der Jesuit P. Thomas Gaunt.

Gaunt gab Kathpress am Rande einer Veranstaltung des Pfarrberatungsteams „Pastoralinnovation“ am Dienstag in Graz ein Interview. Aktuell sei die Kirche aber auch durch die Flüchtlings- und Migrationspolitik der neuen Regierung herausgefordert, weil diese der Linie der Bischöfe widerspricht.

Rückgang im Norden, Zuwachs im Süden

Ehemals katholisch geprägte Regionen im amerikanischen Nordosten und Mittleren Westen sehen sich einem massiven Katholikenrückgang gegenüber, während der Süden eine rasante Katholikenzunahme erlebe. Im Norden blieben Diözesan- und Pfarrstrukturen zurück, die viel zu groß und zunehmend zu teuer seien, nachdem die sie finanzierenden Mitglieder fortgezogen seien, sagte der Wissenschaftler.

Zur gleichen Zeit, und trotz der massiven gemeldeten Mitgliederverluste in den sterbenden Regionen, wachse die katholische Bevölkerung in realen Zahlen weiter. Ihr Anteil bleibe mit etwa 25 Prozent an der US-Bevölkerung (330 Millionen) stabil. Grund dafür sei die Migration, und zwar hauptsächlich jene in den Süden.

Pfarren sehr unterschiedlich

In ethnischer und sozialer Hinsicht seien die wachsenden Pfarren sehr unterschiedlich. Auch innerhalb der lateinamerikanischen Gruppe ("Hispanics) gebe es Extreme: Junge, dynamische Aufsteiger in Vorstadtpfarren und arme Unterschichts-Immigranten in den Problemvierteln - „viele ohne Job und verzweifelt“. Am anderen Ende des Spektrums stünden jene Pfarren, wo Aufsteiger aus Hispanics-Familien lebten. Viele dieser Gemeinden seien einmal spanischsprachig gewesen, heute, mit der jüngeren Generation, seien sie englischsprachig.

Politisch gibt es im US-Katholizismus zwei etwa gleich starke Lager. 52 Prozent der Katholiken hatten im November Trump gewählt, 48 Prozent Clinton. Die große Mehrheit der Hispanics habe Clinton gewählt, so Gaunt.

Bischöfe gegen Mauerbau

Die Bischöfe seien zurückhaltend in ihren Stellungnahmen, resümierte der Jesuit. Kritik gebe es aber an den Erlässen zu Migration, am geplanten Bau der Grenzmauer und an den Einreiseverboten für Bürger mehrerer Staaten.

Bei der Änderung der Gesundheitsreform („Obamacare“) positionierten sich die Bischöfe Trump-freundlicher. Sie begrüßten, dass keine Abtreibungen mehr finanziert werden sollten, aber sie hätten schwere Bedenken geäußert, dass viele Ärmere nach der Reform unversichert blieben.

Widersprüchlicher Vizepräsident Pence

Gaunt zeigte die Widersprüchlichkeit der neuen Regierung an der Person von Vizepräsident Mike Pence auf. Pence, der sich heute als Beschützer religiös verfolgter Minderheiten gebärdet, habe als Gouverneur von Indiana das vom damaligen Erzbischof von Indianapolis, Joseph Tobin - jetzt Kardinal und Erzbischof von Newark - geleitete Resettlementment für Syrien-Flüchtlinge boykottiert.

Der Gouverneur habe erfolglos verhindern wollen, dass syrische Flüchtlinge nach Indiana umgesiedelt würden. Im Februar 2016 habe ein Bundesgericht jedoch entschieden, dass der Erlass von Pence, den Träger des Resettlements - eine kirchlich NGO mit kirchlicher Beteiligung - die Bundesmittel abzuschneiden, verfassungswidrig sei. Pence habe dies angefochten, aber verloren.

religion.ORF.at/KAP

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