Caritas Ukraine fordert internationale Hilfe

Als „vergessenen Krieg inmitten von Europa“ und als humanitäre Katastrophe hat der Präsident der Caritas Ukraine, Anrij Waskowycz, den Konflikt im Osten seines Landes bezeichnet.

Der seit 2014 andauernde Krieg sei verfahren, eine nachhaltige Lösung nur nach einer Analyse der wahren Ursachen möglich, wofür sich auch die internationale Gemeinschaft einsetzen müsse, sagte der gebürtige Münchner und Sohn ukrainischer Immigranten im Interview mit der Kooperationsredaktion der heimischen Kirchenzeitungen.

Die Minsker Friedensabkommen hätten offenbar keine Grundlage für die Beendigung des Kriegs geschaffen, so Waskowyczs Einschätzung. Kaum berücksichtigt werde, dass der Konflikt um den Donbass nicht von lokaler, sondern geopolitischer Bedeutung sei, auch aufgrund der Schnittstellen-Funktion der Ukraine zwischen Europa und Asien. „Es geht um ein Machtstreben, es geht um eine Aufteilung der Einflusssphären in der Welt“, beurteilte der Caritas-Präsident.

Machtverhältnisse Grund für Krieg

Nicht zutreffen würden laut dem NGO-Chef die vornehmlichen Argumente, mit denen der Krieg losgetreten worden sei - dass die Rechte der russischsprachigen Bevölkerung in der äußersten Ostukraine nicht gewährleistet wären. In Wahrheit werde jedoch in allen Teilen des Donbass - auch in den von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebieten - bis heute hauptsächlich Russisch gesprochen. „Verstöße der Rechte von nationalen Minderheiten gibt es nicht und gab es nicht. Das ist nicht die Ursache für diesen Krieg.“

In der Ukraine sehe man vielmehr das Vormachtsstreben Russlands als Hauptursache: Der übermächtige Nachbar wolle als Großmacht anerkannt werden und Recht und Einfluss auf die Staaten haben, die einst zur Sowjetunion gehörten.

„Merkwürdige Diskrepanz“ in der Wahrnehmung

Zugleich sei auch eine „merkwürdige Diskrepanz“ zu beobachten, da ein Teil des Landes ganz normal lebe und den Krieg nicht sehe, „so wie auch der Rest Europas diesen Krieg nicht sieht“. Bezeichnend dafür seien auch die Bilder vom Eurovision Song Contest in der Hauptstadt Kiew, die als friedliche europäische Metropole gezeigt wurde, während es jedoch im Osten starken Beschuss in der Stadt Awdijiwka mit vier getöteten Zivilisten gab.

Land gelähmt

Derzeit kämpfe das Land mit der Herausforderung, transparente Systeme zu schaffen durch Korruptionsbekämpfung, Offenlegung von Einkommen und Vermögen von Beamten und Politikern und Reformen im Justizwesen, sowie auch mit der Entwicklung der Wirtschaftspolitik, erklärte Waskowycz. „Langsame Fortschritte“ gebe es bislang bei der Gesundheitsversorgung, bei der man aktuell die Einführung eines Krankenhaus-Versicherungssystems überlege.

Weiterhin bestehe jedoch das System der mächtigen Oligarchen fort, sichere durch „starke Spieler“ sein Überleben und trage durch Reformverweigerung ebenso wie der Krieg zu einer „Lähmung“ des Landes bei.

Heimliche Flüchtlingswelle

„Sehr leise“ finde eine große Migrationswelle von Ukrainern statt, die in ihrer Heimat keine Perspektive mehr hätten, mahnte der Caritas-Präsident. 1,7 Millionen Binnenflüchtlinge würden „irgendwo auf das Land verteilt“ nur durch die Solidarität anderer Menschen überleben, 1,1 Millionen hätten das Land bereits verlassen, der Großteil davon Richtung Russland.

Angaben der katholischen Bischöfe in Polen zufolge gibt es jedoch auch beim nordwestlichen Nachbarn bereits zwischen 1,1 und 1,5 Millionen ukrainische Migranten, ein großer Teil von ihnen sind Arbeitsmigranten.

Mangel an Perspektiven für Bevölkerung

Besonders machte Waskowycz auf die Situation der Menschen in der „Pufferzone“ 50 Kilometer auf beiden Seiten der Demarkationslinie aufmerksam. Hunderttausende lebten hier unter teils sehr schwierigen Verhältnissen. „Es gibt Dörfer, die beinahe ausgestorben sind. Zurückgeblieben sind sehr viele alte Leute, teilweise auch Kinder, die keine Perspektiven haben, woanders hinzugehen.“ Die Caritas habe ihre Strukturen in dieser Zone ausgebaut und betreue etwa in eigenen Einrichtungen traumatisierte Kinder durch Psychologen.

Die Kämpfe in der prorussischen Region Donbass in der Ostukraine dauern bereits seit April 2014 an und lodern ungeachtet der beiden Minsker Friedensabkommen weiter immer wieder auf. 10.000 Tote, 23.000 Verletzte und insgesamt 4,4 Millionen Betroffene sind die traurige Zwischenbilanz.

religion.ORF.at/KAP

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