Londoner Angriff war „Attacke auf Muslime“

Der Angriff mit einem Lieferwagen im Norden Londons war „ganz klar eine Attacke auf Muslime“. Das sagte Scotland-Yard-Chefin Cressida Dick am Montag in London. Spitzenvertreter aller Religionen verurteilten den Anschlag.

„Wir nehmen jede Art von Hasskriminalität sehr ernst“, sagte die Londoner Polizeichefin weiter. Die Täter würden die Gesellschaft nicht spalten. Vielmehr würden sie die Entschlossenheit der Polizei stärken, gegen solche Verbrechen vorzugehen, so Dick.

In der Nacht auf Montag war ein Mann mit einem Lieferwagen nahe einer Moschee in eine Menschenmenge gefahren. Der 48-Jährige wurde unter dem Verdacht auf versuchten Mord festgenommen. Bei dem Verdächtigen soll es sich um einen Weißen handeln.

Religionsvertreter verurteilen Anschlag

Spitzenvertreter aller Religionen verurteilten den islamfeindlichen Anschlag auf Moscheebesucher im Londoner Stadtteil Finsbury Park. Ein Kleinbus war am Montag kurz nach Mitternacht in eine Menschengruppe vor der Moschee gerast, die zum Abendgebet im Fastenmonat Ramadan zusammengekommen war und sich gerade um einen bewusstlos gewordenen Mitgläubigen kümmerte.

Ein Mensch kam ums Leben, zehn weitere wurden verletzt. Bei allen Opfern handelt es sich um Muslime. Ob der Tote durch den Aufprall ums Leben kam oder schon vor dem Anschlag verstarb, konnte noch nicht geklärt werden.

Blumen Und Plakate an Moscheemauer

APA/AP/Alastair Grant

Religionsvertreter aller Religionen verurteilten den Anschlag auf Muslime

Angreifer: „Ich will alle Muslime töten“

Augenzeugen berichteten, der 48-jährige Fahrer des gemieteten Kleinbusses habe gerufen: „Ich will alle Muslime töten.“ Bei seiner Verhaftung durch die Polizei rief er angeblich, er bereue seine Tat nicht und würde es wieder tun. Zuvor soll ihn ein Imam vor den wütenden Menschen geschützt haben. Mohammed Mahmoud hat sich Augenzeugenberichten zufolge vor den Terrorverdächtigen gestellt, der aus dem Lieferwagen gezerrt worden war. „Fasst ihn nicht an“, habe er demnach Menschen entgegengerufen, die sich wütend auf den Mann gestürzt hatten. Der 48-jährige war von dem Iman und anderen Umstehenden festgehalten worden. Sie übergaben ihn später der Polizei.

Toufik Kacimi, der Vorsitzende des Moscheevereins des Muslim Welfare House, vor dem der Anschlag stattfand, nannte den Imam später „Held des Tages.“ Der Generalsekretär des britischen Islamrates, Harin Khan, forderte eine Verstärkung der Sicherheitsvorkehrungen rund um Moscheen. Seit den jüngsten Terroranschlägen in Manchester und London hätten Muslime verstärkt unter Islamophobie und Diskriminierung zu leiden.

Welby: „Anschlag auf uns alle“

Der Primas der anglikanischen Kirche von England, Erzbischof Justin Welby, nannte den Anschlag „verabscheuungswürdig“ und betonte seine Solidarität mit der muslimischen Gemeinde. Der Angriff sei ein „Anschlag auf uns alle, unsere Kultur und unsere Werte“.

Der katholische Erzbischof von Westminster, Kardinal Vincent Nichols, zeigte sich „zutiefst schockiert“. Gewalt generiere nur mehr Gewalt; der einzige Weg aus dieser Spirale sei die tägliche Vergegenwärtigung, dass „wir alle Erzeuger von Verständnis, Mitgefühl und Frieden“ sein müssen.

Juden und Sikhs besorgt

Die jüdische Gemeinde verurteilte „den Versuch, die Spannungen in Großbritannien eskalieren zu lassen“, so der Präsident des Europäischen Jüdischen Kongresses, Moshe Kantor. „Ein Anschlag auf eine Religion ist ein Anschlag auf alle Religionen“, so Kantor weiter. Ebenso äußerte sich die britische Vereinigung der Sikhs. Man brauche „einen ehrlichen Dialog und einen Sinneswandel“ mit Blick darauf, wie die britische Regierung mit allen Formen von Hass und Terror umgehe, so der Vorsitzende der Vereinigung, Bhai Amrik Singh.

Al-Ashar-Universität: „terroristische Tat“

Die angesehene islamische Universität Al-Ashar in Kairo hat den Anschlag auf Muslime in London als „terroristischen“ Angriff verurteilt. Es handle sich um eine „terroristische, rassistische, sündhafte“ Tat, erklärte die Institution am Montag in der ägyptischen Hauptstadt. Zugleich appellierte sie an den Westen, „alle vorbeugenden“ Maßnahmen im Kampf gegen Islamophobie zu ergreifen.

Die Finsbury-Park-Moschee

Die Finsbury-Park-Moschee im Norden Londons galt jahrelang als Symbol für islamistischen Hass, jetzt ist sie Ziel eines Muslim-Hassers geworden. In den 1990er-Jahren wurde die Moschee nahe dem gleichnamigen Finsbury Park international bekannt. Seit 1995 war der Imam in dem roten Ziegelbau mit Minarett der frühere Afghanistan-Kämpfer Abu Hamza.

Der Einäugige machte nicht nur mit seiner Metallhaken-Prothese an der rechten Hand von sich reden, sondern vor allem mit Brandreden gegen den „amerikanischen Satan“. Unter Hamza spielte die Moschee bei der Radikalisierung junger Muslime eine wichtige Rolle. Zu ihren Besuchern gehörten etwa der britische „Schuhbomber“ Richard Reid sowie der Franzose Zacarias Moussaoui, der an den Vorbereitungen für die Terroranschläge vom 9. September 2001 beteiligt war.

Extremistisches Gedankengut

Bei einer nächtlichen Razzia im Jahr 2003 beschlagnahmten die Ermittler in der Moschee Waffen, rund hundert gestohlene oder gefälschte Pässe sowie Schutzanzüge gegen chemische Angriffe. Ein Jahr später wurde Hamza auf US-Antrag verhaftet.

In London wurde er wegen Aufrufs zum Rassenhass und zu Mordanschlägen 2006 zu einer siebenjährigen Haftstrafe verurteilt. 2012 wurde er in die USA ausgeliefert, wo er drei Jahre später zu lebenslanger Haft wegen Verwicklung in eine Geiselnahme im Jemen und Unterstützung des Terrorismus in Afghanistan verurteilt wurde.

Moschee bemüht um Öffnung

Inzwischen ist die neue Leitung der Moschee bemüht, den Ruf als Hort des Islamismus abzulegen und die Moschee auch für Andersgläubige zu öffnen. Wenige Wochen nach den Attentaten von Paris im Jänner 2015 nahm die Gemeinde an einem Tag der offenen Tür teil, der vom britischen Muslimrat MCB organisiert wurde.

„Wir arbeiten daran, unsere Moschee und unsere Aktivitäten für die Allgemeinheit zu öffnen“, sagte einer der Moschee-Verwalter, Khalid Oumar. Trotz aller Bemühungen erhielt die Gemeinde nach den islamistischen Anschlägen von Paris zahlreiche Drohbriefe und -Mails.

Nach dem mutmaßlichen Anschlag mitten im Fastenmonat Ramadan ist die Gemeinde nun „unter Schock“, wie der Vorsitzende des Moscheevereins, Mohammed Kozbar, sagt: „Unsere Gedanken und Gebete sind mit denen, die getroffen wurden.“

religion.ORF.at/KAP/KNA/APA/dpa/AFP

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