Streit um Klagemauer spitzt sich zu

Der Streit um einen gemeinsamen Gebetsbereich für Männer und Frauen an der Jerusalemer Klagemauer nimmt an Schärfe zu. Die Forderung wird von vielen Juden in den USA unterstützt. Die meisten der dort lebenden fünf Millionen Juden sind nicht orthodox.

Die Entscheidung des israelischen Regierungschefs Benjamin Netanjahu, den Plan für einen gemischtgeschlechtlichen Bereich einzufrieren, rief am Montag heftige Kritik hervor. Gemäß einer strengen Auslegung des jüdischen Glaubens dürfen Männer und Frauen nur in voneinander getrennten Bereichen an der Klagemauer beten.

Progressive für Ende der Geschlechtertrennung

Progressive Jüdinnen und Juden kämpfen hingegen seit Jahren für die Aufhebung der Geschlechtertrennung, allen voran die „Frauen von der Mauer“ (Women of the Wall), jüdische Feministinnen, die auch für das Frauenrecht eintreten, laut zu beten und aus der Thora vorzulesen. Die Klagemauer wird allerdings von einer ultraorthodoxen Einrichtung verwaltet. Der Streit um ihre Nutzung hatte in den vergangenen Jahren immer wieder zu Handgreiflichkeiten und Beschimpfungen zwischen moderner eingestellten und strenggläubigen Juden geführt.

"Frauen an der Mauer" mit Thorarollen an der Klagemauer in Jerusalem

Reuters/Michal Fattal

Anat Hoffman, die Vorsitzende der Women of the Wall, und andere Aktivistinnen und Aktivisten an der Klagemauer

„Schlechter Tag für Frauen in Israel“

Anat Hoffman, die Vorsitzende der Women of the Wall, beschuldigte Netanjahu am Montag, ein „historisches“ Übereinkommen mit den liberalen jüdischen Konfessionen abzusagen. „Das ist ein schlechter Tag für Frauen in Israel“, schrieb Hoffman im Sozialen Medium Facebook. „Die Frauen an der Mauer werden weiter im Frauenbereich der Westmauer mit der Thora-Rolle, Gebetsschals und Gebetsriemen beten, bis es auch an der Mauer Gerechtigkeit gibt.“

„Einzige Demokratie ohne Gleichheit“

Die öffentlich-rechtliche Jüdische Agentur (Jewish Agency), die sich ebenfalls für die Einrichtung eines gemeinsamen Bereichs an der Klagemauer ausspricht, sagte ein für Montag geplantes Treffen mit Netanjahu ab. Der Oppositionspolitiker Jair Lapid von der Jesh-Atid-Partei sagte, Israel sei „die einzige Demokratie der Welt ohne Gleichheit für die Juden“.

Frauenabschnitt der Jerusalemer Klagemauer

APA/AFP/Thomas Coex

Frauenabschnitt der Jerusalemer Klagemauer

„Beleidigung“ für Mehrheit der Juden

Auf Facebook erläuterte Lapid, Netanjahu habe seine Entscheidung unter „politischem Druck“ und nicht aus Überzeugung getroffen. Die Entscheidung sei eine „Beleidigung“ für die Mehrheit der Juden auf der Welt, erklärte der Leiter der Union für das Reformjudentum in den USA, Rabbi Rick Jacobs. Die Entscheidung könne nur als Betrug bezeichnet werden.

Die Klagemauer

Die Klagemauer (auch: Westmauer, hebräisch: Kotel) ist eine aus großen Steinquadern bestehende Stützmauer des Hochplateaus, auf dem der vor 2.000 Jahren zerstörte Zweite Jüdische Tempel stand. Sie ist ein Nationalsymbol Israels und Touristenattraktion, aber auch der heiligste Ort für Juden.

Netanjahus Büro ließ am Montagabend verlauten, es gebe bereits „Arrangements für gleichberechtigte Gebete“. „Es ist für Premierminister Netanjahu wichtig, dass jeder Jude an der Klagemauer beten kann“, sagte Kabinettssekretär Tzachi Braverman. Der Dialog werde weitergeführt werden, um eine Lösung zu erreichen.

Ein hochgestellter ultraorthodoxer Politiker meldete sich am Dienstag mit dem Argument zu Wort, die Proteste liberaler Juden seien lediglich Provokationen - sie würden nicht einmal an die Heiligkeit des Ortes glauben. Yitzhak Cohen, stellvertretender Finanzminister von der religiösen Shas-Partei, sagte, die Gebetspraktiken an diesem Ort existierten seit Jahrhunderten und „nicht jeder kann kommen und die Regeln ändern“.

Ultraorthodoxe mit Einfluss

Netanjahus Regierung verfügt im Parlament über 66 von 120 Sitzen. 13 Abgeordnete gehören ultraorthodoxen Parteien an, in der Bevölkerung liegt der Anteil der Ultraorthodoxen bei zehn Prozent. Allerdings wächst dieser Bevölkerungsanteil durch die große Zahl an Kindern in strengreligiösen Familien rapide.

Der Plan für den gemeinsamen Gebetsbereich wurde im Jänner 2016 vom israelischen Kabinett befürwortet, aber wegen Einwänden der ultraorthodoxen Parteien nicht umgesetzt. Der Oberste Gerichtshof Israels ist derzeit mit einer Klage in dieser Sache befasst. „Wenn wir wollen, dass Juden aus dem Ausland Israel unterstützen, müssen wir für religiöse Gleichheit sorgen“, sagte Johanan Plesner vom israelischen Demokratieinstitut.

religion.ORF.at/APA/AFP/AP

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