Bischof: Brasiliens Regierung für Indigene Desaster

Die Politik des brasilianischen Staatspräsidenten Michel Temer sei für die indigene Bevölkerung „desaströs und ungerecht“, so Roque Paloschi, katholischer Erzbischof von Porto Velho.

Brasiliens Indigene hätten keinen Grund, an diesem Mittwoch, dem „Internationalen Tag der indigenen Völker“, zu feiern, sagte Paloschi der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Er ist seit September 2015 der Nachfolger von Bischof Erwin Kräutler Präsident des Indigenen-Missionsrates der Brasilianischen Bischofskonferenz (CIMI).

Ökonomische Interessen im Vordergrund

Temer, der seit Mai 2016 im Amt ist, agiere „total respektlos gegenüber den indigenen Völkern, attackiert ihre Rechte und dient dabei ausschließlich den politischen und ökonomischen Interessen des Agro-Business“, so Paloschi. Die der Agrarlobby zugeneigten Abgeordneten bestimmten die Politik der Regierung, im Gegenzug unterstützten sie den angeschlagenen Präsidenten im Kongress. Am 2. August hatte sich der Kongress mit den Stimmen aus den Agrarregionen geweigert, die Immunität des Präsidenten aufzuheben.

Indigene protestieren gegen das Wasserkraftwerk Sao Manoel im Azazonas

Reuters/Lunae Parracho

Indigene protestieren gegen das Wasserkraftwerk Sao Manoel im Amazonas

Korruptionsvorwürfe gegen Präsidenten

Temer steht seit Wochen wegen Korruptionsvorwürfen unter Druck. Die Aufhebung seiner Immunität hätte den Weg zu einem Prozess freigemacht und so automatisch zu seiner zumindest vorübergehenden Suspendierung geführt. Vor der entscheidenden Abstimmung soll der Präsident die Abgeordneten aus den Agrarregionen mit Subventionen und Einschnitten in die Umweltgesetzgebung gelockt haben.

Dazu zählt laut Beobachtern auch eine massive Mittelkürzung für die staatliche Indigenenbehörde „Funai“. Hunderte Experten, darunter für die Demarkierung von Gebieten zuständige Anthropologen, wurden seit Jahresbeginn entlassen. Insgesamt wurden die Mittel für die „Funai“ um rund 45 Prozent gekürzt; die riesigen Indigenengebiete können so nicht mehr effektiv kontrolliert werden. Die Regierung erklärte, die Haushaltskürzungen beträfen alle staatlichen Stellen, nicht nur die „Funai“.

Indigenen-Behörde funktioniert nicht

„Die ‚Funai‘ ist bankrott und komplett zerstört“, so Erzbischof Paloschi: „Damit hat sie sich von den indigenen Gemeinschaften entfernt und kommt nicht mehr ihrer eigentlichen Aufgabe nach, die indigenen Territorien zu demarkieren und zu beschützen.“ Derzeit seien sämtliche anhängenden Demarkierungen gestoppt, während die bereits als Indigenenland ausgeschriebenen Gebiete von Nichtindigenen illegal in Besitz genommen, verkauft und kommerzialisiert würden.

Laut der Verfassung von 1988 hätten sämtliche Indigenengebiete bis 1993 demarkiert und an die Indigenen übergeben werden müssen. Laut CIMI ist dies bislang nur mit rund 400 von etwa 1.100 Gebieten geschehen. Dies sind meist großflächige Reservate in der Amazonasregion. Die noch ausstehenden Demarkierungen betreffen kleine Territorien in dichter besiedelten Gebieten, in denen weiße Siedler oft seit Generationen ansässig sind und sich gegen ihre Enteignung wehren.

Agrarlobby will Land

Insgesamt leben rund 500.000 der 820.000 Indigenen Brasiliens in Schutzgebieten. Diese haben eine Gesamtfläche von 13 Prozent des Staatsgebietes. Zu viel Land für zu wenige Menschen, meint die Agrarlobby, die auf dem Land lieber Getreide und Fleisch produzieren will. Deshalb setzen sie auf den im Kongress vorliegenden Verfassungszusatz „PEC 215“. Er sieht vor, dass für zukünftige Demarkierungen statt der „Funai“ der Kongress zuständig sein soll.

Zudem will PEC den „marco temporal 1988“ (Zeitmarke 1988) einführen: Er würde den Indigenen nur das Land zusprechen, das zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verfassung - 1988 - tatsächlich von ihnen besetzt war. Dies käme einer Amnestie sämtlicher Vertreibungen gleich. Besonders unter der Militärdiktatur (1964-1985) waren dutzende Völker zwangsumgesiedelt worden.

Zukunft ungewiss

„Die indigenen Völker wissen, dass sie derzeit besonders stark attackiert werden“, so Paloschi. Trotz der Gewalt wollten sie aber weiter für ihr Land und ihre Kultur kämpfen. Laut CIMI wurden in den vergangenen 13 Jahren mehr als 900 Indigene ermordet. In den wenigstens Fällen wurden die Täter - meist von Farmern angeheuerte Revolvermänner - vor Gericht gestellt. „Es sieht so aus, als ob Brasiliens Indigene auf ihrem Weg in die Zukunft noch große Hürden, Bedrohungen und Leid antreffen werden“, so Paloschi.

Bereits kommende Woche droht ein weiterer Rückschlag. Dann geht es vor dem Obersten Gericht um den Status von drei Indigenengebieten. Beruft sich das Gericht auf den „marco temporal 1988“, wäre dies ein Fanal für das Ende neuer indigener Schutzgebiete.

religion.ORF.at/KAP/KNA

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