Voodoo: Mit Besessenheit zur Heilung

Voodoo-Rituale sind mehr als nur Show. Zu diesem Ergebnis kommt die Kultur- und Sozialanthropologin Yvonne Schaffler. Das Konzept der Besessenheit gebe es in vielen Religionen, es werde nur unterschiedlich damit umgegangen.

„Während christliche oder muslimische Geistliche besitzergreifende Geister verbannen wollen, geht es im Voodoo um deren Akzeptanz und die Integration in das Leben“, schrieben die Autorin und der Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) am Montag in einer Aussendung. Die österreichische Kultur- und Sozialanthropologin erforschte Praktiken von Besessenheit in der Karibik.

Voodoo bedeutet Gott oder Geist. Im dominikanischen Voodoo, den Schaffler mehrere Jahre erforschte, spricht man von „misterios“. Besessenheit durch derartige Wesen sei die Essenz der Voodoo-Religion. Diese hat sich aus traditionellen afrikanischen Religionen mit meist christlichen Elementen entwickelt und kam mit Sklaven aus Westafrika in die Karibik und nach Südamerika.

Voodoo-Verehrer tanzt bei einem Ritual in Benin

APA/AFP/Stefan Heunis

Besessenheit kennen viele Religionen. Im Voodoo wird dagegen nicht angekämpft, sondern versucht, die Geister zu integrieren

Angeheizt durch Hollywood-Klischees würden damit geheimnisvolle Riten und schaurige Geschichten verbunden, so Schaffler. „Doch das Konzept, von Geistern besessen zu sein, gibt es in vielen Religionen und Varianten bis heute. Nur der Umgang damit ist unterschiedlich.“

Altäre wie in katholischen Kapellen

Die Voodoo-Rituale erfüllen laut Schaffler wichtige soziale und therapeutische Funktionen. „Viele Voodoo-Zentren erinnern etwa an katholische Kapellen: Zahlreiche Heiligenbilder, Blumen, Kerzen und andere Devotionalien formieren sich zu kleinen Altären. Oft sind diese allerdings in Privaträumen untergebracht“, erzählte sie von ihrer Feldforschung in der Dominikanischen Republik.

Voodoo

Voodoo ist eine synkretistische Religion aus Westafrika, die sich zur Zeit der Kolonialisierung und durch Sklaven mit christlichen, aber auch mit anderen Religionen verband und ausbreitete.

Mit einem Hertha-Firnberg-Stipendium, das der Wissenschaftsfonds FWF an Nachwuchswissenschaftlerinnen vergibt, erforschte Schaffler über mehrere Jahre den Prozess der Sozialisierung von Besessenheit. Ziel war, herauszufinden, welche Arten von Besessenheit es gibt und in welchen Lebensphasen sie auftritt.

Soziale Funktion

Besessenheit ist ein zeitlich begrenzter Trancezustand, währenddessen Personen fühlen, dass externe Mächte wie Ahnen oder Gottheiten ihre Körper kontrollieren. Das kann bereits im Kindesalter auftreten. Danach können sich die „Besessenen“ oft nicht erinnern, was sie während der Trance (Dissoziation) gesagt oder getan haben.

Teilnehmerinnen bei einer Voodoo-Zeremonie

APA/AFP/Hector Retamal

Voodoo-Zeremonien haben eine starke soziale Komponente

Schaffler zeichnete mehr als 100 Rituale auf und analysierte Lebensgeschichten von 19 Personen, die entweder als Voodoo-Praktizierende tätig sind oder ungewollt Besessenheit erleben. Die Praktizierenden erfüllen der Anthropologin zufolge wichtige soziale Funktionen.

Freiwillig oder unfreiwillig besessen

Sie haben als „Heiler“ und „Heilerinnen“ besondere Stellungen inne und bieten in spirituellen Zentren Dienstleistungen wie etwa Beratungssitzungen im Zustand von Besessenheit an. „Diese Position ermöglicht ihnen einen Zugewinn an (ökonomischer) Autonomie, an Status und sozialer Absicherung“, so Schaffler.

Die Gruppe der unfreiwillig Besessenen empfinde die tranceartigen Zustände allerdings als Stress, da die Geister sie spontan und gegen ihren Willen kontaktieren würden. Aggressivität sei oft die Folge. Betroffene hätten häufig leidvolle Erfahrungen, wie etwa häusliche Gewalt, Verlust von Bezugspersonen oder Diskriminierung hinter sich.

Voodoo als Bewältigungsstrategie

Versuche, die „Dämonen“ rituell auszutreiben, verstärken den Beobachtungen der Forscherin zufolge das Leiden und den Stress der Betroffenen. „Ein sogenannter Initiationsprozess hingegen kann als Bewältigungsstrategie dienen.“ Dabei werden wiederholt und unter professioneller Anleitung Zustände von Besessenheit eingeübt. „Dadurch wird zuvor unkontrollierte Trance strukturiert und kontrollierbar“, so Schaffler.

Auf dem Boden aufgemalte Symbole und Schalen mit Flüssigkeiten bei einer Voodoo-Zeremonie zu Weihnachten

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Haitianische Voodoo-Zeremonie zu Weihnachten

Fokus auf positive Energien und Kräfte

Schaffler vergleicht Voodoo-Rituale mit der Therapieform des „Psychodramas“, bei dem die Klientinnen und Klienten in Form einer Art psychodramatischer „Aufführung“ ihr Thema bearbeiten. So werden im Voodoo-Kult körperliche Erfahrungen immer wieder durchlebt und dadurch aufgearbeitet. Besessenheit wird vermutlich auch deshalb in Afrika oder der Karibik nicht grundsätzlich als etwas gesehen, das verhindert werden muss.

Sie ist vielmehr als Form des Kontakts zu den Geistern erwünscht und eröffnet verbesserte Möglichkeiten des Selbstausdrucks. Voodoo-Rituale konzentrieren sich grundsätzlich auf positive Energien und heilende Kräfte. „Man will mit den Geistern nicht auf schlechtem Fuß stehen“, so die Forscherin.

Spirituelle Praktiken gegen schwierige Zeiten

„Viele Rituale sind dementsprechend unterhaltsam, lustig und haben geradezu Partycharakter“, schildert Schaffler. Insbesondere in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, wie sie die Dominikanische Republik - besonders Haiti - aktuell erlebt, seien spirituelle Praktiken im Aufwind. Rituale zur Heilung, zum Schutz oder anderen Anliegen sind demnach auch kein Phänomen von Randgruppen.

„Viele Praktizierende haben Klienten in New York“, so Schaffler. Auch New Orleans sei beispielsweise ein „Hotspot“ des Voodoo-Kults. Die populären Stoffpuppen gelten in der Stadt als Schutzgeister. „Die mit Nadeln bestückte Gruselpuppe, die einem Widersacher Schmerzen zufügen soll, ist eher die Ausnahme und vor allem ein Hollywood-Produkt.“ Es gebe in der Karibik zwar auch eine „schadensmagische“ Ausrichtung. Man spreche dann davon, dass jemand „mit beiden Händen arbeitet“, mit einer, die heilt, und mit einer, die verhext. Diese Praxis werde aber alleine ausgeführt, an Orten fernab der Heimat.

gold, religion.ORF.at

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