FPÖ-Boykott: Kirchenvertreter stellen sich hinter IKG

Kirchenvertreter haben im Vorfeld des Holocaustgedenktages Antisemitismus eine Absage erteilt. Der evangelisch-lutherische Bischof Michael Bünker stellte sich hinter die Israelitische Kultusgemeinde (IKG), die Gedenkveranstaltungen mit FPÖ-Beteiligung boykottiert.

Man müsse „jedem gesellschaftlichen und persönlichen Antisemitismus entgegentreten“, erklärte Bünker in seiner Stellungnahme am Donnerstag anlässlich des Holocaust-Gedenkens am 27. Jänner. Die Evangelische Kirche sei wie alle, die in der Gesellschaft Verantwortung tragen, verpflichtet, gegen Antisemitismus aufzutreten und daraus auch die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen, so der Bischof.

Solidarisch mit IKG

Dazu erklärte Bünker dem Evangelischen Pressedienst am Donnerstag: „In unserem Einsatz gegen Antisemitismus möchte ich meine Solidarität mit der besonderen Situation der Kultusgemeinde und mein Verständnis zu ihrer Haltung ausdrücken.“ Hintergrund ist: Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka hatte zu einer Gedenkveranstaltung mit Zeitzeugengespräch und einer Podiumsdiskussion am Donnerstagnachmittag ins Palais Epstein geladen, an der neben Staatssekretärin Karoline Edtstadler und Danielle Spera, Direktorin des Jüdischen Museums Wien, auch Vertreter von Religionsgemeinschaften teilnehmen sollten.

Die IKG nahm an der Veranstaltung allerdings nicht teil; sie hatte bereits davor angekündigt, an keinen Gedenkveranstaltungen teilzunehmen, bei denen FPÖ-Minister anwesend sind - wegen des Gedankenguts deutschnationaler Burschenschafter und deren antisemitischen Tendenzen.

Zeit zur Umkehr

Bünker erinnerte zudem an die Erklärung „Zeit zur Umkehr“ der Generalsynode, dem höchsten Gremium der Evangelischen Kirche A.u.H.B. in Österreich, von 1998. „Mit Scham stellen wir fest, dass sich unsere Kirchen für das Schicksal der Juden und ungezählter anderer Verfolgter unempfindlich zeigten“, heißt es dort.

Auch die eigene Lehre und kirchliche Praxis sei auf Antisemitismen zu überprüfen und Vorurteilen entgegenzutreten. Die antisemitischen Schriften Luthers hatte die evangelische Kirche in dieser Erklärung „verworfen“.

Scharfe Kritik von Katholiken

Auch Persönlichkeiten aus dem Bereich der katholischen Kirche haben sich gegen Antisemitismus ausgesprochen. Der Präsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit, Martin Jäggle, warnte vor „Dammbrüchen“ und stellte sich wie Bünker auf die Seite der Israelitischen Kultusgemeinde.

„Wo sind wir hingekommen, dass es eine Gedenkveranstaltung zu Auschwitz im Parlament gibt, an der die Kultusgemeinde nicht teilnehmen kann?“, sagte er im Interview mit der Nachrichtenagentur „Kathpress“ am Donnerstag. Die Kultusgemeinde weise zurecht darauf hin, dass jede Distanzierung von antisemitischem Gedankengut nicht glaubwürdig ist, wenn dem kein „schmerzlicher, aber heilsamer Prozess der Reue“ voranging. Von den Burschenschaften - 33 Prozent der FPÖ-Nationalrats-Abgeordneten und die Mehrheit des FPÖ-Parteivorstandes ist Mitglied einer solchen - könne erwartet werden, dass sie sich ernsthaft mit ihrer Geschichte auseinandersetzen und dafür Verantwortung übernehmen, betonte Jäggle.

„Antisemitismus zudecken“

Antisemitische Texte in einem Liederbuch zu schwärzen und damit lediglich „zuzudecken“ sei das Gegenteil dieses notwendigen Prozesses. Das zeige auch die jetzt vom niederösterreichischen FPÖ-Spitzenkandidaten Udo Landbauer - der seine „Germania“-Mitgliedschaft nach dem Öffentlichwerden des Skandals „ruhend stellte“ - im Wahlkampf verwendete „Jetzt erst recht“-Parole, so der Wiener Theologe. (Damit hatte auch der ehemalige Bundespräsident Kurt Waldheim gegen Vorwürfe, er habe seine SA-Vergangenheit verschwiegen, erfolgreich kampagnisiert.)

Ethische Grenzlinien vor rechtlichen

Für Jäggle geht es in dieser Causa auch um politische Standards, die wie auch ethische Grenzlinien nicht über ein Strafgericht zu klären seien. „Für zu viele in Österreich ist alles politisch möglich und verantwortbar, solange es nicht von einem Gericht verurteilt ist“, kritisierte er. Dieses sei jedoch nur für „massivste Grenzverletzungen“ zuständig, Verantwortung für den Humanitäts-Level einer Gesellschaft beginne viel früher.

Das gelte auch für die christlichen Kirchen, die nach jahrhundertelangem Antijudaismus in den vergangenen Jahrzehnten einen Paradigmenwechsel vollzogen hätten: Der Fachmann für jüdisch-christlichen Dialog erinnerte an die wegweisende Rabbiner-Erklärung zum Christentum, in der hochrangige Vertreter des Judentums im Sommer 2017 diese Kehrtwendung ausdrücklich anerkannten und die Christen als „Partner, enge Verbündete und Brüder bei unserer gemeinsamen Suche nach einer besseren Welt“ bezeichneten. Diese „heilsame Erneuerung“ könne auch Vorbild für die Politik sein, meinte Jäggle.

Antisemitismus ist „Gotteslästerung“

Antisemitismus kommt einer „Gotteslästerung“ gleich. Das erklärte Ferenc Simon, Diözesanbeauftragter für christlich-jüdische Zusammenarbeit in der Erzdiözese Wien, am Donnerstag im Gespräch mit „Kathpress“. Gerade Christen müssten gegenüber jeder Form von Judenfeindlichkeit wachsam sein und ihr entgegentreten, die Äußerungen der Kirchenleitung ließen hier auch nichts an Klarheit vermissen, so der Dechant in Wien-Leopoldstadt.

Allerdings schwinde das Bewusstsein für die Gefahr des Antisemitismus, nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa, wies Simon hin: „Die Lage wird immer akuter.“ Er stoße immer wieder auf verdeckte judenfeindliche Aussagen, und öfters seien Stereotypen wie jene hörbar, wonach Juden die Finanzmärkte oder die Medien kontrollierten. Verbreitet sei auch die Meinung, es müsse „endlich Schluss sein mit den alten Geschichten“ rund um den Holocaust. Dem hielt der Wiener Diözesanbeauftragte entgegen: Die heutige Generation habe zwar keine Schuld an den Judenmorden des NS-Regimes, sehr wohl aber eine Verantwortung, dass in der Gegenwart Antisemitismus in keiner Form wieder salonfähig wird.

Zur aktuellen Antisemitismus-Debatte rund um den Wahlkampf in Niederösterreich meinte Dechant Simon: „Es ist gefährlich, mit den Gefühlen der Menschen zu spielen.“

„Rote Linie“ ist überschritten

Viele Beobachter würden nach der „unüberschreitbaren roten Linie“ fragen, für Berthold Brandstetter, Präsident der KA Oberösterreich, ist sie „spätestens mit dem Fall Landbauer überschritten“.

In die österreichische Politik seien „Personen eingezogen, die ihre Identität ziemlich genau dort zu haben scheinen, wo vor 70 Jahren ähnlich tickende Politiker ein 1000-jähriges Reich gründen wollten“, schrieb Brandstetter am Donnerstag in einem Blog. „Von verabscheuungswürdigen Liedtexten in ihren Kreisen wollen sie natürlich nichts gewusst haben“, so seine skeptische Anmerkung: „Augen zu und durch an die Spitze: das ist ihre Devise.“

Kritik an FPÖ

Dem KA-Präsidenten stelle sich die Frage, „wie denn die alte schwarze ÖVP mit ihrem türkisen Erfolgspflänzchen umgeht, das solche blaue Partner in die Regierung geholt hat“.

Gefragt seien aber auch Vertreter der christlichen Kirchen, denn viele der „angeblich kirchentreuen“ FPÖ-Politiker würden sich zu einem Kirchenbild bekennen, das spätestens seit dem 2. Vatikanischen Konzil nicht mehr der offiziellen Doktrin entspricht, „das heute durch Papst Franziskus eindrucksvoll repräsentiert wird“.

religion.ORF.at/KAP

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