Schönborn: NS-Liederbuch „menschenverachtend“

Kardinal Christoph Schönborn hat anlässlich des Holocaust-Gedenktages am 27. Jänner einen Brief an die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) geschrieben. Darin bekennt er sich zur Verpflichtung der Christen, dafür einzutreten, dass Juden nie wieder verfolgt werden.

Das jüngst bekanntgewordene antisemitische Liedgut einer Burschenschaft zeigt für Kardinal Schönborn, dass das während der Tragödie der Schoah zugefügte Leid „noch keinen Abschluss gefunden“ habe. In dem am Freitag veröffentlichten Brief heißt es wörtlich: „Der spöttische Applaus für die Mordtaten des Holocaust offenbart ein Ausmaß an Menschenverachtung, dem sich unsere Gesellschaft entschieden entgegenstellen muss.“

Schuld der Christen eingestanden

Auch die katholische Kirche in Österreich gedenke am Samstag der Opfer der Schoah. „Wir wissen um unsere eigene Schuld am Entstehen des Antisemitismus in diesem Land“, die in den vergangenen Jahrzehnten gewachsene Freundschaft mit dem Judentum als „unseren älteren Brüdern und Schwestern im Glauben“ solle am Holocaust-Gedenktag bekräftigt werden, schrieb Schönborn.

Christoph Schönborn anl. eines Treffen der gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften bei BP Alexander Van der Bellen

APA/Hans Punz

Kardinal Christoph Schönborn

Namens der Katholiken in Österreich bekannte er sich zur „Verpflichtung, tatkräftig dafür einzutreten, dass unsere jüdischen Brüder und Schwestern nie wieder in diesem Land verfolgt werden und überall auf der Welt jene Achtung genießen, die allen Mitgliedern der Menschheitsfamilie zusteht“.

Kardinal mit Hoffnung

Hoffnung mache ihm, dass sich alle - bis hin zur Burschenschaft selbst - eindeutig von den antisemitischen, an den Nationalsozialismus anknüpfenden Texten distanziert hätten, so der Kardinal weiter. Trotzdem müsse es zu denken geben, „dass sie zumindest bis 1997 zur Tradition dieser Burschenschaft gehörten“.

Der Wiener Erzbischof blickte in seinem Schreiben „mit großer Erschütterung“ auf eine Reise zurück, die ihn in Vertretung von Papst Franziskus vor zwei Jahren nach Maly Trostinec in Weißrussland führte. Beim dortigen Massenmord an Juden im Jahr 1942 habe es sowohl unter den Opfern wie auch Tätern sehr viele Österreicher gegeben. „Mein Besuch hat mich daran erinnert, wie untrennbar die Tragödie der Schoah Teil unserer Geschichte ist und das heutige und das morgige Österreich und damit auch die katholische Kirche berührt und in die Pflicht nimmt“, so Schönborn.

Freundschaft mit Juden „große Ehre“

„So verneige ich mich am Gedenktag der Opfer des Holocaust vor dem Judentum und seinem Leid“, schrieb der Kardinal und dankte allen heutigen jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, „dass sie in vollem Bewusstsein dessen, was vor zwei Generationen hier geschehen ist, ein vitaler Teil dieses Landes sind und es auf vielfältige Weise bereichern“. Ihre Freundschaft sei der katholischen Kirche eine „große Ehre“, sie „erfüllt uns mit tiefer Dankbarkeit“.

Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg und Kardinal Christoph Schönborn anlässlich einer Mahnmal-Enthüllung im März 2008

APA/Helmut Fohringer

Pensionierter Rabbi Chaim Eisenberg und Kardinal Schönborn

Antisemitisches Liederbuch

Der Vorsitzende der Österreichischen Bischofskonferenz, der derzeit Exerzitien im französischen Wallfahrtsort Lourdes leitet, nahm in seinem Brief an die Kultusgemeinde Bezug auf die aktuelle Debatte über Texte in Liederbüchern der Wiener Neustädter Burschenschaft „Germania“, die nun Anlass für Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen Verstößen gegen das NS-Verbotsgesetz sind.

Ausgelöst hatte die Debatte die Wiener Stadtzeitung „Falter“ mit Auszügen aus dem Liedgut der Burschenschaft, das bis 1997 verwendet wurde. Die Zeitung verwies auf die Verantwortung des FPÖ-Politikers Udo Landbauer, der in der Burschenschaft leitend tätig war.

Mitgliedschaft „ruhend gestellt“

Der freiheitliche Spitzenkandidat bei den am Sonntag in Niederösterreich stattfindenden Landtagswahlen erklärte daraufhin mehrfach, von den inkriminierten Liedern keine Kenntnis gehabt zu haben und dass er seine Mitgliedschaft in der Burschenschaft „ruhend gestellt“ habe.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und zahlreiche Personen des öffentlichen Lebens haben inzwischen die Liedtexte verurteilt und das Verhalten Landbauers kritisiert, der seinen Wahlkampf nun mit der Parole „Jetzt erst recht!“ führt.

Kritik von vielen Seiten

Kritik kam aber auch von vielen katholischen und evangelischen Kirchenvertretern - mehr dazu in FPÖ-Boykott: Kirchenvertreter stellen sich hinter IKG. So stellte sich etwa der evangelisch-lutherische Bischof Michael Bünker am Donnerstag hinter die IKG, die Gedenkveranstaltungen mit FPÖ-Beteiligung boykottiert.

Evangelischer Bischof Michael Bünker

APA/Roland Schlager

Der evangelisch-lutherische Bischof Michael Bünker

„Kirche muss aufschreien“

Der Präsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit, Martin Jäggle, IKG. „Wo sind wir hingekommen, dass es eine Gedenkveranstaltung zu Auschwitz im Parlament gibt, an der die Kultusgemeinde nicht teilnehmen kann?“, sagte er im Interview mit der Nachrichtenagentur Kathpress am Donnerstag. Die Kultusgemeinde weise zu Recht darauf hin, dass jede Distanzierung von antisemitischem Gedankengut nicht glaubwürdig ist, wenn dem kein „schmerzlicher, aber heilsamer Prozess der Reue“ voranging.

In einer Predigt meldete sich auch der Vorsitzende des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ), Thomas Hennefeld, zu der Causa zu Wort: „Wo sich das Haupt des widerwärtigen antisemitischen Ungeistes erhebt, wie im Fall des Liederbuches bei der Burschenschaft Germania, müssen die Kirchen aufschreien.“

religion.ORF.at/KAP

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