Ethikerin: Sterbehilfe wird schnell Fremdbestimmung

Eine Warnung vor Liberalisierung aktiver Sterbehilfe hat die Ethikerin Susanne Kummer ausgesprochen: In Ländern mit erlaubter Euthanasie drohe das „Töten auf Verlangen“ merklich in eine „neue Form des Paternalismus“ zu kippen.

Das sagte die Geschäftsführerin des Wiener Instituts für Medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE) am Montag in einer Stellungnahme gegenüber der katholischen Nachrichtenagentur Kathpress. Das Institut fördert laut eigenen Angaben „den Dialog von Medizin und Ethik in Forschung und Praxis auf Grundlage des christlich-humanistischen Menschenbildes“.

Zuerst werde suggeriert, dass die Entscheidung zum Suizid ein „geglückter Testfall von Autonomie“ sei, so Ethikerin Kummer. Wie man jedoch am Beispiel Niederlande mit den dort häufigen Tötungen ohne freie Willensäußerungen - zuletzt 431 pro Jahr - ablesen könne, sei das Ergebnis eine „eklatante Fremdbestimmung“.

Kritik auch vom Papst

Erst kürzlich hatte Papst Franziskus eine Zunahme von Anfragen nach aktiver Sterbehilfe in vielen Ländern beklagt. Er bezeichnete die Säkularisierung mit ihrer „Verabsolutierung von Selbstbestimmung und Autonomie“ als Grund für die steigende Nachfrage - mehr dazu in Papst beklagt gestiegene Nachfrage nach Sterbehilfe.

Hintergrund der Äußerung ist ein neuer Höchststand an offiziell gemeldeten Sterbehilfefällen in den Niederlanden - jenem Land, das 2002 weltweit als erstes die „Tötung auf Verlangen“ (dort als „Euthanasie“ bezeichnet) legalisierte. Im Jahr 2016 wurden laut dem Jahresbericht der Regionalen Kontrollkommission für Sterbehilfe (RTE) 6.091 Menschen durch Tötung auf Verlangen gemeldet, das sind 17 pro Tag und rund 2.000 Personen mehr als 2012 (4.188 Personen).

Vor allem Ältere betroffen

75 Prozent aller Fälle von „Tötung auf Verlangen“ betreffen Menschen im Alter zwischen 60 und 90 Jahren. Dazu kommen weitere rund 1.700 Todesfälle, in denen Medikamente zumindest teilweise mit Tötungsabsicht gegeben wurden.

75 Prozent aller psychiatrischen Euthanasiefälle in den Niederlanden finden in sogenannten „Lebensende-Kliniken“ statt, die jenen Patienten Sterbehilfe anbieten, deren eigene Ärzte sich weigern, die Todesspritze zu setzen. Unter Hollands Medizinern, jedoch auch bei Politikern und Ethikern, melden sich zunehmend Zweifel am eigenen Euthanasiesystem: Erst im Jänner hatte bereits zum zweiten Mal ein Mitglied der Euthanasie-Kontrollkommission dieses Gremium aus Protest verlassen und damit eine breite Debatte ausgelöst.

Tötungen von Demenzpatienten vervierfacht

Sie könne den „deutlichen Wandel“ in der Auslegung der Sterbehilfegesetze hin zu tödlichen Injektionen für Menschen mit Altersdemenz nicht mittragen, begründete die Medizinethikerin Berna van Baarsen ihren Schritt. Tatsächlich hat sich etwa die Zahl der jährlichen Tötungen von Demenzpatienten laut den offiziellen Statistiken in den vergangenen fünf Jahren vervierfacht.

„Töten heißt Versagen“

Die Wiener Bioethikerin Kummer bezeichnete die Entwicklung in den Niederlanden als „erschreckend“. Ein Kulturwandel sei hier geschehen, bei dem aktive Sterbehilfe zu einer normalen Option mutiert, aus dem Leben zu gehen, wobei das nicht immer freiwillig geschehe. „Der Staat regelt Tötungswünsche nur noch, statt seiner Schutzpflicht für Menschen in vulnerablen Situationen wie Krankheit, Alter oder sozialer Isolation nachzukommen“, kritisierte die Expertin, und weiter: „Töten ist niemals eine Therapie, Töten heißt Versagen.“

Auch für Länder wie Österreich, in denen aktive Sterbehilfe nicht legalisiert ist, seien Lehren abzuleiten, betonte Kummer. Wichtig sei es, das „Sterben Lassen“-Können, das Ernstnehmen von Wünschen am Lebensende und Fragen der Therapieziel-Änderung - weg vom kurativen hin zum palliativen Ansatz - als wichtige Schlüsselkompetenzen von Ärzten und Pflegenden zu sehen. Diese müssten auch in die jeweilige Profession eingebracht werden.

religion.ORF.at/KAP

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