„Du Jude“: Antisemitismus auf dem Schulhof

Ein jüdisches Mädchen wird an seiner Berliner Schule gemobbt und bedroht. Fachleute warnen, den Vorgang als Einzelfall abzutun. Die Probleme mit Antisemitismus lägen tiefer.

„Du Spacko“, „Du Spast“: Oft geht es rustikal zu, wenn sich Kinder oder Jugendliche in der Schule verbal in die Haare bekommen. Nicht selten fällt aber auch ein anderer Begriff: „Du Jude“ als Schimpfwort sei ein „oft beobachtetes Phänomen an Berliner Schulen“, heißt es in einer im Vorjahr vorgestellten Studie. Das sei „total gängig“, werden dort mehrere Lehrer zitiert. Nun sorgt ein neuer Fall von Antisemitismus auf dem Schulhof für Schlagzeilen, der die erschreckende Dimension des Problems zeigt, das es nach Meinung von Fachleuten nicht nur in der Hauptstadt gibt.

„Kein Einzelfall“

An einer Berliner Grundschule wurde eine Zweitklässlerin von älteren Schülern aus muslimischen Familien als Jude beschimpft. Ein Mitschüler soll gedroht haben, sie umzubringen, weil sie nicht an Allah glaube. So jedenfalls erzählte es der Vater des Mädchens einem Journalisten der „Berliner Zeitung“. Demnach kursierte in einer WhatsApp-Gruppe der Grundschüler sogar ein IS-Enthauptungsvideo. Die Bildungsverwaltung und der Schulleiter bestätigten solche Vorfälle.

„Das ist kein Einzelfall“, sagt Marina Chernivsky, Leiterin des Kompetenzzentrums Prävention und Empowerment der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland. Dieses arbeitet zum Thema Antisemitismus und Diskriminierung und bietet Eltern wie Schulen pädagogische Unterstützung und Opferberatung an. „Uns hat das nicht überrascht. Solche Vorfälle gibt es praktisch jede Woche, das ist selbst an Kitas ein Thema.“

„Die meisten Fälle werden nicht bekannt“

Das bestätigt auch der Antisemitismus-Beauftragte der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Sigmount Königsberg. „Die meisten Fälle werden nur einfach nicht bekannt, etwa weil die Eltern nichts sagen.“ Schulen bagatellisierten solche Vorfälle als „Streitigkeiten“ oder kehrten das Problem unter den Tisch - auch aus Sorge um ihren Ruf.

Antisemitismus, da sind sich die Experten einig, gibt es von rechts, von links, in der Mitte der Gesellschaft - aber eben teils sehr ausgeprägt bei Muslimen, von denen zuletzt sehr viele gerade aus arabischen Staaten als Flüchtlinge nach Deutschland kamen. Nimmt das Problem auch an Schulen also in der Folge zu?

Sorge vor islamistischer Ideologie

Diese Gefahr sehen zumindest jüdische Organisationen wie das American Jewish Committee (AJC): Die islamistische Ideologie, nicht zuletzt der Salafismus, habe große Anziehungskraft auf junge Leute, warnte dessen Berliner Direktorin Deidre Berger vor geraumer Zeit. Folge sei eine Radikalisierung muslimischer Jugendlicher in Deutschland, bei der Staat und Gesellschaft „mit wachem Auge“ draufschauen müssten.

Eine AJC-Studie unterstreicht den Befund. In dem - nicht repräsentativen - Stimmungsbild berichteten Lehrkräfte an Berliner Schulen von einer stark gestiegenen Rolle der Religion im Schulalltag. Etliche muslimische Schüler hinterfragten Lehrinhalte, stellten den Koran über alles, wachten über die Kleiderordnung bei Mädchen. Drohungen gegen Juden oder Homosexuelle, das Infragestellen der Demokratie, Sympathien für Terrororganisationen wie den IS, das Tilgen Israels von der Weltkarte - an Schulen laut Studie keine Seltenheit.

Aus- und Weiterbildungen für Lehrer nötig

„Das Problem kann man nicht auf die Zuwanderer reduzieren“, betont Expertin Chernivsky. „Aber wir müssen auch sehen, dass viele dieser Menschen in ihren Heimatländern eine religiöse und vor allem politische Sozialisation durchlaufen haben, in der antisemitische und anti-israelische Haltungen prägend waren.“

Was also ist zu tun? Die Vorsitzende der Bildungsgewerkschaft GEW, Marlis Tepe, fordert bessere Aus- und Weiterbildung für Lehrer in Sachen interkultureller Kompetenz und mehr Sozialpädagogen an den Schulen, um auf die Konflikte angemessen reagieren zu können. Politische Bildung müsse einen höheren Stellenwert bekommen und in den Schulen viel früher als bisher thematisiert werden. „Lehrer müssen den Schülern klarmachen, dass es Regeln gibt, die auch einzuhalten sind“, fordert Königsberg von der Jüdischen Gemeinde. „Und sie müssen sich hinter die Opfer stellen.“

Warnung vor Verharmlosung

Dies tun auch Politiker. „Wenn ein Kind antisemitisch bedroht wird, ist das beschämend und unerträglich“, twitterte Außenminister Heiko Maas (SPD). „Jeder Form von Antisemitismus müssen wir uns entschieden entgegen stellen.“ Berlins Regierungschef Michael Müller (SPD) sprach von einem „furchtbaren und besorgniserregenden“ Vorfall. Klar sein müsse: „Stopp, das akzeptieren wir als Gesellschaft nicht.“

Eher pessimistisch, dass Deutschland das Problem des Antisemitismus auf dem Schulhof in den Griff bekommt, zeigt sich der Deutschland- Direktor der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, Wenzel Michalski. „Wenn es um Judenhass geht, sind sich Rechte, Linke, Bürger der Mitte, Moslemverbände, Schulen, Parteien, Elternvertreter einig: Kopf in den Sand und verharmlosen“, twitterte er am Montag. Michalskis Sohn war im Vorjahr an einer Schule in Berlin-Friedenau als Jude gemobbt worden.

Statistik für Gewaltakte gefordert

Der Zentralrat der Juden unterstützt den Vorschlag, angesichts von Antisemitismus und religiösem Mobbing in Schulen eine bundesweite Statistik für Vorfälle dieser Art einzurichten. Sein Wunsch sei, dass ein Angebot geschaffen werde, „in dem ohne große bürokratische Hürden antisemitische oder auch entsprechend andere Gewaltvorgänge gemeldet werden können, um so ein besseres und klareres Bild zu bekommen“, sagte der Präsident des Zentralrates, Josef Schuster, am Dienstag im ZDF-„Morgenmagazin“. Zuvor hatte die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) ein „Bundeslagebild zur Gewalt an Schulen“ gefordert.

Stefan Kruse, dpa

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