Antisemitismus: Kippa tragen aus Solidarität

Gut eine Woche nach einem Angriff auf einen jungen Israeli in Berlin sind am Mittwoch in mehreren deutschen Städten Aktionen geplant. Der Präsident des deutschen Zentralrats der Juden, Josef Schuster, forderte ein breiteres Engagement gegen Antisemitismus.

In der Hauptstadt ruft die Jüdische Gemeinde zu Berlin für den Abend ab 18.00 Uhr zu einer Kundgebung „Berlin trägt Kippa“ auf. Die Teilnehmer werden gebeten, aus Solidarität eine Kippa zu tragen, die traditionelle religiöse Kopfbedeckung der Juden.

„Im Alltag gegen Antisemitismus engagieren“

Auch vor dem Kölner Dom, in Potsdam und in Erfurt wollen Menschen gegen Antisemitismus demonstrieren. „Ich wünsche mir, dass viele Menschen Flagge bekennen und rufe sie dazu auf, eine Solidaritätskundgebung in ihrer Stadt zu besuchen“, sagte Schuster. „Denn es ist Aufgabe der gesamten Gesellschaft, sich gerade auch im Alltag gegen Antisemitismus zu engagieren.“

Ein Mann mit Kippa vor dem Brandenburger Tor in Berlin

Reuters/Thomas Peter

In mehreren deutschen Städten finden am Mittwoch Aktionen gegen Antisemitismus statt

Anlass für die Aktionen ist ein Vorfall im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg am 17. April, der bundesweit für Entsetzen sorgte. Ein 21-jähriger Israeli und sein Freund wurden von drei arabisch sprechenden Männern antisemitisch beschimpft. Einer der Männer schlug mit einem Gürtel auf den 21-Jährigen ein. Der mutmaßliche Täter sitzt mittlerweile in Untersuchungshaft. Es handelt sich um einen Palästinenser aus Syrien, der seit 2015 in Deutschland lebt.

Moscheegründerin Ates unterstützt Aktion

Bei der Berliner Kundgebung vor dem Haus der Jüdischen Gemeinde in der Fasanenstraße im Stadtteil Charlottenburg wird neben Schuster auch Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) reden. Mehrere Parteien haben dazu aufgerufen, die Solidaritätsaktion zu unterstützen. Es gibt in Berlin auch andere Aufrufe, um Zeichen gegen Antisemitismus zu setzen. So unterstützt die Gründerin einer liberalen Moschee, Seyran Ates, die Onlineaktion #WirsindauchJuden. Menschen posten dabei auf Twitter, Facebook und Instagram Bilder, auf denen sie Kippa tragen.

„Es darf keine Toleranz für Intoleranz geben“, sagte Schuster der Deutschen Presse-Agentur vor einer am Mittwoch in Berlin geplanten Kundgebung gegen Antisemitismus. „Neben Politik und Gesellschaft sehe ich auch die Religionsgemeinschaften in der Verantwortung. Gerade die muslimischen Verbände sollten klar und unmissverständlich gegen den Antisemitismus in den eigenen Reihen vorgehen.“

Im Notfall einschreiten

Jedoch könne jeder Bürger etwas tun. „Jeder und jede kann Einspruch erheben gegen Judenhass - ob am Arbeitsplatz, in der U-Bahn, auf dem Fußballfeld oder im Freundes- und Familienkreis“, so Schuster. Der Zentralrat fordere alle Menschen in Deutschland auf, sich solidarisch mit der jüdischen Gemeinschaft zu zeigen und einzuschreiten, wenn Juden beleidigt, verhöhnt oder gar angegriffen werden.

Kippa

Kippa (Mehrzahl Kippot) nennt man eine Kopfbedeckung jüdischer Männer. Sie wird als Zeichen des Respekts und der Ehrfurcht vor Gott auf dem Hinterkopf getragen. Auch nichtreligiöse Juden oder Nichtjuden tragen mitunter Kippot, etwa beim Besuch einer Synagoge oder an hohen Feiertagen.

In Israel lässt sich an der Farbe oder Verzierung der Kippa oft ablesen, welcher Strömung innerhalb des Judentums der Träger angehört.

Auschwitz Komitee: Nur ein Anfang

Überlebende des Holocaust im Internationalen Auschwitz Komitee haben die geplanten Aktionen gegen Antisemitismus in Deutschland begrüßt. Diese „Kippa-Demonstrationen“ dürften aber nur ein Anfang sein.

„Es muss der Politik, der Pädagogik, es muss uns allen gelingen, die verschiedenen Linien, die sich mittlerweile aus rechtsextremem und islamistischem Antisemitismus zu einem gefährlichen Gebräu zusammenfügen, an allen Orten der Gesellschaft tabulos zu benennen und als uns alle bedrohende Gefahr wahrzunehmen“, so der Vizepräsident des Komitees, Christoph Heubner, in einer am Mittwoch verbreiteten Mitteilung. „Wenn dies gelänge, wäre dieser Tag - jenseits aller Emotionen - ein wichtiger erster Schritt gewesen, eine Zäsur.“

Außenminister: Opfer nicht alleine lassen

Der deutsche Außenminister Heiko Maas rief dazu auf, Opfer von Antisemitismus nicht alleine zu lassen. „Wir dürfen niemals zulassen, dass Antisemitismus in Deutschland wieder alltäglich wird“, sagte der SPD-Politiker dem „Tagesspiegel“ (Mittwoch-Ausgabe).

„Wenn junge Männer bei uns bedroht werden, nur weil sie eine Kippa tragen, müssen wir deutlich machen: sie sind nicht allein.“ Jeder Angriff auf jüdisches Leben in Deutschland richte sich „gegen uns alle“, erklärte der Außenminister. Grundsätzlich gelte: „Niemand darf bei uns wegen seiner Herkunft, seiner Hautfarbe oder seiner Religion diskriminiert werden.“

Merkel: Antisemitismus auch schon früher

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte nach dem Vorfall in Berlin neue Formen des Antisemitismus’ beklagt, der von Flüchtlingen oder Menschen arabischen Ursprungs nach Deutschland gebracht worden sei. Antisemitismus habe es aber auch schon zuvor in Deutschland gegeben.

Angefacht wurde die Debatte zudem von einer Auszeichnung der Rapper Kollegah und Farid Bang. Die beiden wurden für ein als judenfeindlich kritisiertes Album mit dem Echo-Musikpreis geehrt, worauf etliche andere Künstler ankündigten, ihre Trophäen zurückzugeben.

religion.ORF.at/dpa

Mehr dazu:

Links: