Kontroverse Reaktionen zu Kreuzen in Bayern

Die neue Verpflichtung zum Anbringen von Kreuzen in allen staatlichen Behörden in Bayern hat am Mittwoch unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen.

Der Bamberger katholische Erzbischof Ludwig Schick und der evangelische bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm begrüßten den Beschluss der Landesregierung, wandten sich gleichzeitig aber gegen eine Interpretation des Kreuzes als Identitätszeichen eines Landes. Die Botschaft, die vom Kreuz ausgehe, stehe für Menschenwürde, Nächstenliebe und Humanität, sagte Bedford-Strohm. In diesem Sinne bedeute ein Kreuz an der Wand auch eine „Selbstverpflichtung“, an dem sich auch politisches Handeln messen lassen.

Ab 1. Juni Kreuze in Behörden

Die bayerische Landesregierung hatte am Dienstag beschlossen, dass ab dem 1. Juni im Eingangsbereich von Dienstgebäuden des Freistaats ein Kreuz als „sichtbares Bekenntnis zu den Grundwerten der Rechts-und Gesellschaftsordnung in Bayern und Deutschland“ aufzuhängen ist. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte, das Kreuz sei grundlegendes Symbol „unserer bayerischen Identität und Lebensart“. Das Kreuz sei kein Zeichen einer Religion und kein Verstoß gegen das Neutralitätsgebot.

Eine Frau hängt ein Kreuz an eine Wand

APA/dpa/Ralf Hirschberger

In Bayern sollen ab 1. Juni in allen Behörden im Eingangsbereich Kreuze aufgehängt werden

Bischof: Kreuz kein staatliches Identitätszeichen

„Das Kreuz aufzuhängen und als Zeichen der Einheit, der Versöhnung, des Friedens, der Geschwisterlichkeit, der Solidarität deutlich zu machen, das ist natürlich gut“, sagte der katholische Erzbischof Schick am Mittwoch im Bayerischen Rundfunk (BR). „Alle Menschen, die das Kreuz anschauen, verpflichten sich, das zu leben und voranzubringen, was das Kreuz bedeutet.“

Im Gespräch mit dem Kölner „domradio“ wandte sich Schick aber auch gegen ein falsches Verständnisses des Kreuzes. „Das Kreuz ist kein Identitätszeichen irgendeines Landes oder eines Staates“, sagte er. Vielmehr sei es ein Zeichen Gottes für die Menschen, im Blick auf das Kreuz Liebe und Solidarität zu lernen. „Wir sehen die weit ausgestreckten Arme und sollen uns genauso miteinander verhalten und eine Zivilisation der Liebe aufbauen.“ Das Kreuz grenze nicht aus, es schließe ein.

Schick betonte, das Kreuz müsse natürlich das Symbol des Christentums sein „und damit das Symbol der Einheit, des Friedens und der Gerechtigkeit und Solidarität für alle Menschen“. Auf die Frage, ob Landeschef Söder mit dem Kreuz Wahlkampf machen wolle, sagte der Erzbischof: „Ich will mich nicht in die Politik einmischen.“ Werde das Kreuz so verstanden wie es Jesus selbst gelebt habe, könne es nur helfen, „eine gute Gesellschaft aufzubauen mit einem guten Miteinander und Solidarität füreinander“.

Landesbischof: Keine Parteipolitik mit Kreuz

Der evangelisch-litherische Landesbischof Bedford-Strohm zeigte sich ebenfalls im BR erfreut darüber, „wenn Kreuze auch öffentlich sichtbar sind“. Religion lasse sich nicht in die Privatsphäre „verbannen“, sondern sei „etwas Öffentliches“, so der evangelische Kirchenvertreter. Eine Benachteiligung anderer Religionen könne er durch den Beschluss nicht erkennen, sagte Bedford-Strohm, der auch Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist. Humanität, für die das Kreuze stehe, bedeute auch Glaubens- und Religionsfreiheit.

Zugleich warnte der evangelische Bischof davor, das Kreuz für Parteipolitik und Polemik zu missbrauchen. Ein Kreuz an der Wand bedeute eine „Selbstverpflichtung“. Die Botschaft, die vom Kreuz ausgehe, stehe für Menschenwürde, Nächstenliebe und Humanität. „Und das sind die Maßstäbe, an denen wir, jeder und jede von uns, uns messen lassen müssen, an denen aber auch politisches Handeln sich messen lassen muss.“

Warnung vor Missbrauch des Kreuzes

Die Kirche begrüße es, „wenn christlich geprägte Grundwerte unseres Gemeinwesens, insbesondere Menschenwürde, Nächstenliebe, Toleranz und Solidarität, wieder stärker ins öffentliche Bewusstsein rücken“, erklärte der Leiter des Katholischen Büros Bayern, Lorenz Wolf, am Mittwoch in München. Zugleich erinnerte er daran, dass dies mehr umfasse als einen „rein symbolischen Akt, der nur eine christlich-abendländische Kultur aus der Vergangenheit zum Ausdruck bringt“.

Damit sei auch eine herausfordernde Botschaft für die Gegenwart verbunden: „Im Zeichen des Kreuzes wird man konfrontiert mit einer Person, die für christliche Menschen Gott und Mensch miteinander verbindet und die am Kreuz ihr Leben geopfert hat für alle Menschen.“

Kirchenrechtler: Verfassungsrechtlich bedenklich

Der katholische Kirchenrechtler an der Universität Münster, Thomas Schüller, nannte den bayerischen Beschluss dagegen verfassungsrechtlich „grenzgängig“. Der Deutschen Welle sagte er: „Wer politisch das Kreuz so instrumentalisiert, begreift nicht einmal im Ansatz theologisch die im Ersten Korintherbrief genannte Torheit des Kreuzes, die Stachel im Fleisch der Mächtigen und Hoffnungszeichen für die Schwachen und Entrechteten ist.“ Das Aufhängen von Kreuzen „mit geschichtlicher und kultureller Prägung“ Bayerns zu begründen, mache das Kreuz „zu einem bloßen Symbol der Folklore“.

Scharfe Kritik übte auch der katholische Würzburger Hochschulpfarrer Burkhard Hose. Er warf Ministerpräsident Söder vor, das Kreuz zu missbrauchen, „um die Ausgrenzung von Menschen anderen Glaubens zu betreiben“. Viele katholische und evangelische Christen, darunter Pfarrer und Ordensleute, empfänden es „zunehmend als eine Provokation und als Heuchelei, wie Sie über das Christentum öffentlich reden“, schrieb er an den CSU-Politiker.

Pfarrer: Christlich leben wäre besser

Das Kreuz sei nicht nur Etikett oder Ausweis einer bestimmten Identität, sondern Erinnerung an den Lebensweg Jesu, „dessen grenzenlose Liebe und dessen besondere Parteinahme für Ausgegrenzte ihn letztlich ans Kreuz brachten“, so Hose. Es sei Verpflichtung, diesen Weg Jesu weiterzugehen. „Demonstrieren Sie nicht Christlichkeit, sondern praktizieren Sie diese!“ Ein erster Schritt wäre es daher, die Abschiebungen nach Afghanistan auszusetzen.

Ähnlich äußerte sich der Bochumer katholische Theologe Georg Essen. „Ich dachte, dass das Kreuz ein christliches Symbol für die Erlösung ist, die durch Gott geschenkt wird“, schrieb Essen auf Twitter. Dass die bayerische Landesregierung das Aufhängen von Kreuzen als „sichtbares Bekenntnis zu den Grundwerten der Rechts- und Gesellschaftsordnung in Bayern und Deutschland“ bezeichne, sei eine Instrumentalisierung und „eine veritable Häresie“, also eine Irrlehre.

Muslime üben Kritik

Auch der Zentralrat der Muslime kritisierte die Anordnung zum Aufhängen von Kreuzen. „Ein Kreuz in Dienstgebäuden verstößt gegen das Neutralitätsgebot des Staates“, sagte Mohamed Abu El-Qomsan, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Bayern, der Zeitung „Die Welt“. Das Kreuz sei „selbstverständlich“ ein religiöses Symbol. „Weder Juden noch Atheisten noch Muslime identifizieren sich damit.“

El-Qomsan forderte einen gleichberechtigten Umgang mit Religionen: „Wenn der bayerische Staat christliche Symbole in Dienstgebäuden zulässt, sollte er konsequenterweise auch das Tragen von Kopftüchern im öffentlichen Dienst erlauben.“ Gehe es Ministerpräsident Söder nur darum, die kulturelle Prägung Bayerns zu betonen, „sollte er die bayerische Flagge aufhängen lassen und keine religiösen Symbole“.

Juden grundsätzlich zustimmend

Die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern ließ eine grundsätzliche Zustimmung erkennen. Gerade vor dem Hintergrund der „Mammutaufgabe Integration“ halte sie es für „wichtig und richtig“, die Normen und Werte zu definieren und deren Anerkennung einzufordern, die für das Miteinander im Land unverzichtbar seien, sagte Präsidentin Charlotte Knobloch.

Dazu gehöre auch eine gewisse Symbolik, „um Identität und Prägung zu demonstrieren“. Über einzelne Maßnahmen könne man immer unterschiedlicher Meinung sein. „Aber die Botschaft: ‚Das sind wir, das ist unser Angebot, wer ein Teil davon sein will, dem helfen wir, wer nicht, kann hier nicht mit uns leben‘ - die halte ich für richtig und auch überfällig.“

Seit Jahren Streit um Kreuz

Streit um das Kreuz in öffentlichen Gebäuden gibt es seit Jahrzehnten. Die Diskussion entbrannte vor allem 1985 in Bayern, als ein Vater Beschwerde gegen das christliche Symbol in den Klassenzimmern seiner Kinder einlegte. Zehn Jahre später beschloss das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, Kreuze in staatlichen Schulen verstießen gegen die im Grundgesetz garantierte Religionsfreiheit.

Es hieß: „Das Kreuz ist Symbol einer bestimmten religiösen Überzeugung und nicht etwa nur Ausdruck der vom Christentum mitgeprägten abendländischen Kultur.“

Der Beschluss rief bei Katholiken weit über Bayern hinaus einen Sturm der Entrüstung aus. Ein danach vom bayerischen Landtag beschlossenes Gesetz schreibt zwar weiter Kreuze in Unterrichtsräumen vor - allerdings sollen sie entfernt werden, wenn Eltern oder Lehrer „ernsthafte und einsehbare Gründe“ dagegen vorbringen.

Gerichte: Entscheidungen individuell

Im März 2011 urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg, dass Kruzifixe in Klassenzimmern mit der Menschenrechtskonvention vereinbar seien. Das Gericht überließ die Entscheidung über Glaubensfragen den einzelnen Staaten.

Auch Kreuze in Gerichtssälen führen immer wieder zu Diskussionen. Nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 1973 soll niemand gegen eigene religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen „unter einem Kreuz“ einen Prozess führen. Der Richter des jeweiligen Verfahrens entscheidet über das Auf- oder Abhängen des Symbols.

religion.ORF.at/KAP/KNA

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