Hildegard von Bingen

ORF / ZDF / Alzbeta Jungrová

Verschwundene Frauenpower in der Kirche?

Im ersten Beitrag wird die Frage gestellt, welche Frauen Jesus von Nazareth um sich gesammelt hat und warum sie zum Verschwinden gebracht wurden? Dann steht Hildegard von Bingen im Mittelpunkt des Abends.

Logo von Kreuz & Quer

ORF

Sendungshinweis

Dienstag, 6. Mai 2014
um 22.35 Uhr, ORF 2

Wiederholung:

Mittwoch, 7. Mai 2014
um 20.15 Uhr, ORF III

Jesus und die verschwundenen Frauen

Maria von Magdala, einst wichtigste Jüngerin Jesu, wurde als Propagandafigur der Kirche missbraucht. Junia, eine berühmte Apostelin der Frühkirche, verwandelte sich unter der Feder eines Bibelkommentators in einen Mann. Phöbe, Vorsteherin einer frühen Christengemeinde wurde als Hilfskraft des Apostel Paulus klein interpretiert. Lydia, die erste Christin Europas, geriet fast 2000 Jahre in Vergessenheit. – Es gab verschiedene Methoden, Frauen im Umkreis Jesu und des frühen Christentums verschwinden zu lassen. Die Dokumentation macht sich auf die Spuren der verschwundenen Frauen und zeigt auf, wie die vergessenen Säulen des Christentums von der Theologie wieder sichtbar gemacht werden.

Vor 2000 Jahren kündigte Jesus von Nazareth das Reich Gottes an, in dem alle Menschen gleich wären. In einer streng patriarchal geprägten Zeit war das revolutionär. Und so folgten dem charismatischen Wander-Prediger nicht nur Männer, sondern vielfach auch Frauen nach. Doch auf Grund einer männerzentrierten Sprache blieben sie in den Evangelien nahezu unerwähnt. Erst unter dem Kreuz kommen Frauen der Jesus-Bewegung in den Blick. In seinen letzten Stunden werden sie sogar mit Namen genannt. Warum? Weil die Männer aus Angst um ihr eigenes Schicksal davongelaufen waren.

Katholiken: Tabuthema Weiheämter für Frauen
Die frühe Kirche hat Frauen in Weiheämtern gekannt. Viele wünschen sich heute ein Wiederaufgreifen dieser Tradition. Doch die Kirchenleitung der Katholiken spricht sich derzeit klar gegen geweihte Frauen aus.
Mehr dazu in Weiheämter für Frauen

Frauen waren Zeuginnen des Todes Jesu, der Grablegung und schließlich seiner Auferstehung, die zum Grundstein des Christentums wird. Es ist Maria aus Magdala, die von Jesus den Auftrag erhält, die Frohe Botschaft zu verkünden. Sie wird damit zur ersten Apostelin. Doch gleich nach Erfüllung des Auftrages verschwindet die Schlüsselfigur des Ostergeschehens aus den kanonischen Evangelien. Der leere Raum, den sie hinterlässt, wird zum Nährboden abenteuerlicher Legenden. Aus der „Apostola Apostolorum“, der „Apostelin der Apostel“, wird in der von Männern besetzten institutionalisierten Kirche die reuige Sünderin. Aus der Sünderin die asketische Büßerin. Aus der Büßerin ein laszives Pin-Up-Girl der Kunst. Heute wird über Maria Magdalena vielfach gemutmaßt, die Ehefrau Jesu gewesen zu sein. Aber auch das ist nicht mehr als eine weitere Übermalung der wirklichen Maria von Magdala.

Eine folgenschwere Fehlinterpretation erfuhr auch Junia, die als wichtiges Bindeglied zwischen der Jesus-Bewegung und dem frühen Christentum gilt. Von den ersten Kirchenvätern noch als „berühmte Apostelin“ gepriesen, erfährt sie im Mittelalter eine folgenschwere Geschlechtsumwandlung. Unter der Feder des Bibelkommentators Ägidius von Rom wird aus Junia ein Apostel namens Junias. Das Versehen eines unausgeschlafenen Augustiners? Oder das Ergebnis eines männerorientierten Weltbildes? Und warum fristet Apostelin Junia in allen gängigen Bibelausgaben bis heute ein Dasein als Mann?

Es sind Fragen, die die Filmemacherin Maria Blumencron direkt zur Frage nach der Stellung der Frau in der heutigen Kirche führen. Als eine ihrer Vertreterinnen lernen wir die junge Theologiestudentin Jacqueline Straub kennen. Ihr Wunsch es ist, Priesterin der römisch-katholischen Kirche zu werden. Ein hoffnungsloses Unterfangen? Oder gibt es in der Bibel weitere Vorbilder, auf die sich die junge Frau berufen kann?

Jacquelines Recherche führt uns nach Kenchreä bei Korinth, wo wir auf die Spuren einer Mitarbeiterin des Apostel Paulus stoßen: Phöbe. Und nach Philippi, wo die erste Taufe auf europäischem Boden stattfand. Es war eine Frau, die diesen mutigen Schritt tat. Ihr Name war Lydia.

Welche Frauen hat Jesus von Nazareth um sich gesammelt? Welche Frauen waren in seiner Nachfolge bedeutsam? Wer hat sie warum zum Verschwinden gebracht, und wie werden sie von der heutigen Theologie wieder entdeckt? Auf diese Fragen versucht die aufwendig produzierte Dokumentation Antworten zu finden.

Ein Film von Maria Blumencron
Redaktion ORF: Barbara Krenn
Redaktion ZDF: Michaela Pilters

Hildegard von Bingen und die Macht der Frauen

Die Dokumentation von Friederike Haedecke zeichnet das Leben einer der populärsten Heiligen des Mittelalters nach. Hildegard, geboren im Jahr 1098, war Visionärin, Naturwissenschaftlerin, Politikerin, Komponistin, Theologin und Kloster-Managerin. Sie gilt aus heutiger Sicht als die „erste Grüne“ der Geschichte, und auch ihre Unbefangenheit, mit der sie den menschlichen Körper und die Sexualität beschrieb, war für das Mittelalter ungewöhnlich: Es ist bemerkenswert, dass von ihr – der heiligen Hildegard von Bingen, einer Nonne – die vermutlich erste detaillierte Beschreibung des weiblichen Orgasmus stammt.

Nonne im Drogenrausch?
Viele ihrer Schriften, vor allem ihre Kenntnisse der Naturheilkunde, haben bis heute nichts von ihrer Aktualität eingebüßt. Andere werfen immer noch Fragen auf. Während die einen in Hildegards Visionen eine Art Drogenrausch der Kräuterkundigen vermuten, sehen andere darin eine prophetische Gabe, sogar einen Beweis ihrer Heiligkeit.

Verdacht der Ketzerei
Besondere Nähe zu Gott für sich zu beanspruchen, war nicht ungefährlich. Ihren Mut schöpfte sie aus religiösem Sendungsbewusstsein. Hildegards Visionen waren ein mächtiges Instrument für eine Frau in einer Zeit, in der das weibliche Geschlecht komplett unter männlicher Verfügungsgewalt stand. Sie schaffte es, dass der Papst selbst ihre Visionen anerkannte und enthob sich damit des Verdachtes, eine Ketzerin zu sein.

Über 800 Jahre bis zur „offiziellen Heiligsprechung“
Aus heutiger Sicht besonders bahnbrechend war ihre Wahrnehmung der Natur, in der sie ein Spiegelbild der göttlichen Weltordnung sah. Auch den menschlichen Körper und die Sexualität beschrieb sie eingehend und mit großer Unbefangenheit. Nach ihrem Tod 1179 wurde sie sehr bald von Volk und Klerus als Heilige verehrt – auch viele Darstellungen aus Jahrhunderten zeugen davon – und das ohne Selig- oder Heiligsprechungsverfahren. Erst vor genau zwei Jahren, am 10. Mai 2012, hat Papst Benedikt XVI. Hildegard von Bingen höchst offiziell und in einem feierlichen Akt in das Verzeichnis der Heiligen aufgenommen. Damit auch für Rom alles seine Ordnung hat.

Der Film über das Leben Hildegards von Bingen zeichnet das Bild einer Frau, die viele Grenzen sprengte, die die Zeit ihren Geschlechtsgenossinnen setzte, und er zeigt ein Jahrhundert, dessen technische und soziale Umwälzungen viele Grundsteine für die Moderne legten.

Film von Friederike Haedecke
Wissenschaftliche Beratung: Prof. Franz Josef Felten
Hauptdarsteller: Deborah Kaufmann