Eine junge Frau tanzt in Originaltracht einen rituellen Balesischen Tanz

ORF/metafilm

Die Kraft der Rituale

Rituale prägen das Leben des Menschen in allen Bereichen, nicht nur im religiösen. Die Dokumentation von Fritz Kalteis versucht die Wirkung von Ritualen auf den Menschen zu ergründen. Anschließend: „Von Haus zu Haus. Jehovas Zeugen“.

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ORF

Sendungshinweis

Dienstag, 1. Juli 2014
um 22.35 Uhr, ORF 2

Wiederholungen:

Mittwoch, 2. Juli 2014
um 20.15 Uhr, ORF III

Donnerstag, 3. Juli 2014
11.50 Uhr, ORF 2 (nur „Die Kraft der Rituale“)

Rituale prägen die menschliche Existenz. Sie takten unser Leben, verbinden und grenzen aus. Sie können heilen und schaden, inszenieren Macht und setzen Werte in Szene. Rituale sind eine besondere Sprache der Menschen. „kreuz und quer“ – präsentiert von Christoph Riedl-Daser – spürt am 1. Juli der „Kraft der Rituale“ nach und zeigt in der Dokumentation von Fritz Kalteis, dass die Kirchen ihr Monopol auf die Gestaltung religiöser Feiern verloren haben.

Um 23.20 Uhr folgt der Dokumentarfilm „Von Haus zu Haus. Jehovas Zeugen“ von Krzysztof Kaczmarek, der Einblick in den Alltag und hinter die Kulissen einer Religion gibt, die ein großes Geheimnis um ihre Glaubenspraxis macht.

„Die Kraft der Rituale“

„Ich denke, dass in allen Kulturen Bestattungsrituale zu den wesentlichen Merkmalen menschlicher Gemeinschaften gehören. Und dieses Ritual ausfallen zu lassen, bewirkt im Menschen eine Leere, die anhalten mag über Jahrzehnte“, so Religionsphilosoph Florian Uhl. Der Fall des Ehepaares Trautlinde und Siegfried Raich aus Höchst in Vorarlberg bestätigt seine These. Die beiden Söhne des Paares sind gleich nach der Geburt gestorben. Es gab kein Begräbnis und somit keine Möglichkeit des rituellen Abschieds für die Eltern. Das ist jetzt 40 Jahre her – doch das Trauma blieb. Trautlinde Raich sucht Hilfe und findet sie bei der Ritualentwicklerin Anita Bonetti: Mit der ehemaligen Religionslehrerin entwickelt sie ein Ritual, um abschließen zu können und den verstorbenen Zwillingen ihren gebührenden Platz zu geben.

Anita Bonetti ist Vertreterin eines neuen Berufszweiges, der in den vergangenen Jahren entstanden ist. In einer individualisierten Gesellschaft steigt auch das Bedürfnis nach individuellen Ritualen – zugeschnitten auf die Lebensumstände und Spiritualität von Kundinnen und Kunden, die sich längst nicht mehr mit der Kirche deckt. Dennoch suchen immer noch viele Menschen – auch wenn sie sich im Alltag längst von der Kirche verabschiedet haben – das kirchliche Angebot der Sakramente, allen voran Taufe und Eheschließung.

Der Film betrachtet das Phänomen Ritual aus verschiedensten Perspektiven. Eine der Thesen: Rituale können heilen. Und zwar nicht nur persönliche Wunden, sondern auch gesellschaftliche. Bestes Beispiel: Die historische Rede von Franz Vranitzky im Juli 1991, in der sich der damalige österreichische Kanzler zur Mitschuld Österreichs an den Verbrechen des Nationalsozialismus bekannt hat. „Das gehört in die Kategorie der Entschuldigungsrituale, der Sühnerituale, die im politischen Bereich sehr stark geworden sind, weil dadurch tatsächlich ein Stück weit Beruhigung eintritt bei einem ungelösten Problem“, sagt Axel Michaels, Ritualforscher von der Uni Heidelberg.

Ein Film von Fritz Kalteis

Zwei Frauen horchen vor einer Tür an der Gegensprechanlage

ORF/Tausend Rosen

„Von Haus zu Haus. Jehovas Zeugen“

Jeder kennt sie, die Zeugen Jehovas, die im Rahmen ihrer intensiven missionarischen Tätigkeit immer wieder an die Haustür klopfen – aber wer kennt sie wirklich? Nach zwei Jahren des intensiven Kontakts und der vertrauensbildenden Maßnahmen gelang es dem Filmteam um Regisseur Krzysztof Kaczmarek, erstmals Zugang zur Innenwelt der Zeugen Jehovas zu erhalten, während den meisten Dokumentationen aufgrund der strikten Kommunikationspolitik der „Bibelforscher“ nur die Sichtweise der „Aussteiger“ bleibt, um sich überhaupt dem Thema anzunähern. Kaczmareks Doku ist somit ein echter Einblick in den Alltag hinter den Kulissen einer Religion, die ein großes Geheimnis um ihre Glaubenspraxis macht. Der nackte Realismus der Zeugen Jehovas, der scheinbar jeglicher religiöser Mystik und jeglichem Zauber beraubt ist, wurde von Kameramann Attila Boa entsprechend abgebildet.

Der Dokumentarfilm besteht aus verschiedenen Szenen und Schauplätzen, die spezielle Momente im Leben der Zeugen Jehovas widerspiegeln – die tägliche Missionarstätigkeit, der große Kongress in Innsbruck, Szenen aus dem Königreichsaal oder aus dem Kinderzimmer, oder ein Besuch im Headquarter in Selters/Deutschland, dem Ort, an dem auch die bekannte Zeitschrift „Der Wachturm“ gedruckt wird. Die Zeugen Jehovas sprechen für sich selbst und sie zeigen, wie sich das Verhältnis von Freiheit und Gehorsam in dieser Religionsgemeinschaft – die für manche Außenstehende immer noch als Sekte wahrgenommen wird – darstellt.

Die Zeugen Jehovas in Österreich: „Jehovas Zeugen“, so die offizielle Selbstbezeichnung, sind in Österreich seit 1911 aktiv und seit Mai 2009 eine gesetzlich anerkannte Religionsgemeinschaft – mit ca. 21.000 Mitgliedern sind sie die fünftgrößte in Österreich. Grundlage der Lehre der Zeugen Jehovas ist der aus der Bibel abgeleitete „Plan Gottes mit der Menschheit“. Dem „allmächtigen Gott und Schöpfer“, Jehova oder Jahwe, sind die Zeugen Jehovas zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet. Die Religionsgemeinschaft finanziert sich nach eigenen Angaben durch freiwillige Spenden.

Ein Film von Krzysztof Kaczmarek