Danny Donelly in einer Zelle des Crumlin Road Prison

ORF/Mischief Films

Der unsichtbare Mann

1960 flüchtete der wegen der IRA-Werbung verurteilte Donal Donelly aus dem sichersten britischen Gefängnis in Belfast. Für den Dokumentarfilm „Der unsichtbare Mann“ kehrt er an den Ort des Geschehens zurück. Danach: „kreuz und quer“-Diskussion über die Gefahren des Nationalismus.

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ORF

Sendungshinweis

Dienstag, 23. September 2014
um 22.35 Uhr, ORF 2

Wiederholungen:

Mittwoch, 24. September 2014
um 20.15 Uhr, ORF III

Donnerstag, 25. September 2014
11.50 Uhr, ORF 2 (nur „Der unsichtbare Mann“)

Es ist die Geschichte einer abenteuerlichen Flucht: Die Medien nannten ihn den „Unsichtbaren Mann“ – Dónal „Danny“ Donelly, den jungen Iren, dem es 1960 in einer filmreifen Aktion als einzigem Menschen gelang, aus dem sichersten britischen Gefängnis in Belfast auszubrechen. Er war mit nur 17 Jahren festgenommen worden, weil er Plakate für die Irish Republican Army (IRA) verteilt hatte.

Auch die Beteiligung am Bau eines Sprengsatzes, durch den Sachschaden an einer Lagerhalle entstand, warf man Donelly vor. Die Strafe sollten zehn Jahre im Crumlin Road Prison sein, einem Hochsicherheitsgefängnis, das als absolut ausbruchssicher galt. Trotz der größten Fahndung in der Geschichte Nordirlands mit 12.000 Polizisten und Soldaten wurde er nie gefangen.

Für den Dokumentarfilm „Der unsichtbare Mann“ reist Dan 50 Jahre nach seinem Ausbruch auf den Spuren seiner Flucht durch das heutige Nordirland und trifft – gemeinsam mit seiner Tochter Úna – seine Helfer und Widersacher von damals. Das Ergebnis ist ein Film über den Nordirlandkonflikt aus einer ganz neuen Perspektive, über Glaube, Schuld und Vergebung. kreuz und quer – präsentiert von Doris Appel – zeigt die von Georg Misch und Úna Ní Dhonghaile gestaltete HD-Produktion am 23. September um 22.35 Uhr in ORF 2.

Um 23.20 Uhr folgt eine kreuz und quer-Diskussion zum Thema „Helden, Hymnen, Hassgefühle – Wie gefährlich ist der neue Nationalismus?“: Was ist Nationalismus und woraus entsteht er? Wie gefährlich, wie unvermeidbar ist er für das zusammenwachsende Europa? Können wir überhaupt ohne das Feindbild des „Anderen“ leben? Und: Was haben wir dazugelernt – 100 Jahre nach dem Beginn des Ersten Weltkriegs, für den nationalistisches Denken ein wesentlicher Antrieb war?

„Der unsichtbare Mann“

Für Dan Donelly als tiefgläubigen Katholiken gab es keinen Konflikt zwischen seiner Religion und dem Kampf für eine Loslösung Nordirlands von Großbritannien. Denn die damalige IRA hatte in den 1950er Jahren noch das strikte Prinzip, nie Menschenleben zu gefährden. Nur die Infrastruktur der britischen Besatzungsmacht sollte getroffen werden. „Nordirland, wo ich in den 50er Jahren aufgewachsen bin, war ein Ort, der nach Gerechtigkeit schrie“, erklärt Donnelly in der Doku. „Es war wie Apartheid. Viele Katholiken durften nicht wählen, die Wohnverhältnisse waren schlecht, und junge Nationalisten kamen ohne Anklage oder Prozesse jahrelang ins Gefängnis.“

Erst nach Donellys Ausbruch und Flucht begann die Radikalisierung der IRA, vor allem in den 1970er Jahren. Daraufhin wandte sich Donelly von ihr ab. Er begann sich durch Kunst und Kultur für die Unabhängigkeit einzusetzen, zuletzt als Bürgermeister eines Stadtteils von Dublin.

Im Crumlin Road Prison, das heute leer steht und langsam verwahrlost, sucht er auf seiner Reise in die Vergangenheit seine Gefängniszelle auf und trifft einen seiner damaligen Bewacher, einen Gefängniswärter. Donelly hatte gemeinsam mit einem Kameraden die Flucht geplant – jener verletzte sich jedoch beim Ausbruch und musste zurückbleiben. Vom IRA-Ausbruchskomitee seien sie paradoxerweise nicht unterstützt worden, erzählt Donelly dem Wärter: „Die Anführer der IRA-Gruppe im Gefängnis waren nicht erfreut, weil wir sie nicht um Erlaubnis gebeten hatten – es war eine ‚unerlaubte Flucht‘!“

Auf der Flucht half ihm u. a. ein katholischer Priester, Eamonn Devlin, der Donelly im Kofferraum seines kleinen Autos durch Polizeisperren schleuste. Danach brachte er den Flüchtigen im Haus einer Familie seiner Pfarrgemeinde unter, die bereit war, den Flüchtigen unter größter Gefahr zu versteckten. 50 Jahre später trifft Donelly den Nachfolger Devlins, Pfarrer Gerard McAleer.

„Der Kirche wurde vorgeworfen, sie sei zu streng gewesen und habe die Absolution zu schnell verwehrt“, erklärt McAleer die kirchliche Praxis, IRA-Mitglieder schon damals zu exkommunizieren: „Der Kirche ging es immer um die Unantastbarkeit des Lebens, Leben muss gerettet werden.“ Pfarrer Eamonn Devlin hatte somit als Fluchthelfer eines IRA-Mitglieds auch gegen kirchliche Vorgaben gehandelt.

Jemanden zu töten sei damals in der IRA niemandem in den Sinn gekommen, so Donelly: „In den 50ern durfte laut Vorschrift des IRA-Hauptquartiers kein Polizeibeamter oder B-Special getötet werden, und in unserer Kampagne hatte der Tod keinen Platz – wir wollten niemanden töten, sondern griffen die Infrastruktur an.“ In dem Gespräch wird die Problematik des irischen Freiheitskampfs deutlich: Wie weit darf man gehen im Kampf für Gerechtigkeit?

Michael Hofer

ORF/Hans Leitner

Michael Hofer

„Helden, Hymnen, Hassgefühle – Wie gefährlich ist der neue Nationalismus?“

Wir hier – und dort die anderen: In vielen Ländern greift ein neues Nationalbewusstsein um sich – nicht nur in Schottland und Katalonien, auch in Ungarn, der Türkei und in anderen Ländern. Im bewaffneten Ukraine-Konflikt spielt auch die Sehnsucht nach der alten Größe des russischen Imperiums eine entscheidende Rolle. Die Globalisierung, so scheint es, weckt durch die Auflösung fester kultureller Identität große Unsicherheiten. Neue nationale Identität wird durch scharfe Abgrenzung geschaffen: mit erschreckenden Folgen, geistig, politisch, auch militärisch. Zu oft erhält dieser neue Nationalismus auch ein religiöses Unterfutter.

Zum Thema „Helden, Hymnen, Hassgefühle – Wie gefährlich ist der neue Nationalismus?“ diskutieren in kreuz und quer die Wiener Philosophin Cornelia Klinger, der Grazer Soziologe Manfred Prisching, die Innsbrucker Historikerin Brigitte Mazohl und der Zürcher Philosoph Georg Kohler. Die Diskussion leitet Michael Hofer.