Die Muttergottes und ihre Erscheinungen

ORF/Tausend Rosen Film

Die Muttergottes und ihre Erscheinungen

Ein Raunen geht durch die Menge, die weißgekleidete Frau nimmt einen tiefen Atemzug, wendet die Augen zum Himmel und fällt in Erstarrung: Mirjana Soldo hat eine „Marienerscheinung“.

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ORF

Sendungshinweis

Dienstag, 11. August 2015
um 22.30 Uhr, ORF 2

Wiederholung:

Mittwoch, 12. August 2015
um 20.15 Uhr, ORF III

„kreuz und quer“ – präsentiert von Christoph Riedl-Daser – zeigt am Dienstag, dem 11. August 2015, um 22.30 Uhr die Dokumentation „Die Muttergottes und ihre Erscheinungen“, in der Thomas Grusch und Elisabeth Krimbacher versuchen, dem Phänomen Marienfrömmigkeit auf den Grund zu gehen.

Neapel ist die Stadt mit der weltweit höchsten Anzahl von Blutwundern bei Heiligenfiguren. Wunden an Märtyrerdarstellungen und Marienfiguren beginnen an bestimmten Feiertagen neu zu bluten. Um 23.25 Uhr befragen Gregorio Paolini und Paolo Malizia in „Neapel – Stadt des Heiligen Blutes“ Wissenschafter und Gläubige zu diesen Erscheinungen.

„Die Muttergottes und ihre Erscheinungen“

Ein Raunen geht durch die Menge, die weißgekleidete Frau nimmt einen tiefen Atemzug, wendet die Augen zum Himmel und fällt in Erstarrung: Mirjana Soldo hat eine „Marienerscheinung“. Die 46-jährige Seherin war eines jener sechs Kinder, denen 1981 in Medjugorje auf einem Hügel hinter dem Dorf zum ersten Mal die Muttergottes erschienen sein soll.

Eine weiße Gestalt hätten sie gesehen, so erzählen sie heute, und diese bald als die heilige Maria, die „Gospa“, erkannt. Von da an boomte der Marientourismus in Medjugorje, mittlerweile kommt jedes Jahr eine Million Pilger in die ehemals bettelarme Region. Und so ist auch Mirjana Soldo bei ihrer monatlichen Zwiesprache mit der Muttergottes immer von Tausenden Pilgern umringt.

Nach 15 Minuten erwacht sie aus ihrer Trance, Tränen rinnen über ihre Wangen, erschöpft sinkt sie zurück. Ein Assistent verliest die Botschaft des Tages – die „Gospa“ mahnt ihre Kinder, sich zu Gott zu bekennen. Viele der Anwesenden knien seit Stunden auf dem steinigen Boden des „Erscheinungsbergs“ in der Hitze.

Dass man in Medjugorje auf diese Weise „Zeuge einer Erscheinung“ werden kann, unterscheidet diesen Wallfahrtsort von anderen wie Fatima oder Lourdes. Dieser Umstand ist gleichzeitig Gegenstand einer kirchenpolitischen Diskussion: Medjugorje ist bis heute von der offiziellen Kirche nicht anerkannt, die dortigen Vorkommnisse werden nicht als „übernatürlich“ eingestuft.

Einer der Gründe dafür ist, dass die Seher immer noch von permanenten Erscheinungen berichten, bis zu 40.000-mal soll die Gottesmutter seit den 1980er Jahren zu ihnen gesprochen haben. Die internationalen Pilger kümmert die Haltung der offiziellen Kirche nicht, für sie ist das aktive Glaubensleben in Medjugorje der Hauptanziehungspunkt.

Auch Lourdes, ein kleiner Ort in Südfrankreich, wird jährlich von sechs Millionen Pilgern besucht, darunter befinden sich viele Kranke und Hilfesuchende, denn hier soll es eine heilende Quelle geben. Die Marienerscheinungen von Lourdes fanden 1858 statt und läuteten das „Marianische Jahrhundert“ ein, eine Zeit, in der die Marienfrömmigkeit besonders stark war.

Was fasziniert so viele Menschen bis heute an der Muttergottes? Wie stehen Kirche und Theologie zur Marienverehrung? Der Film begleitet zwei Reisegruppen nach Lourdes und Medjugorje und versucht, dem Phänomen Marienfrömmigkeit auf den Grund zu gehen. Experten wie Wolfgang Beinert, Józef Niewiadomski, Peter Trummer und Monika Prettenthaler erklären, warum die Heilige Maria für viele Katholiken bis heute eine so herausragende Stellung einnimmt.

Gespräche mit begeisterten Marienverehrern zeigen, dass es offenbar ein starkes Bedürfnis nach einem emotionalen Erleben im Glauben gibt, das in der aktuellen Kirchenpraxis möglicherweise zu kurz kommt.

Ein Film von Thomas Grusch und Elisabeth Krimbacher

„Neapel – Stadt des Heiligen Blutes“

Wenn sich alljährlich am Festtag des heiligen Januarius (Italienisch: San Gennaro) dessen Blutreliquie bei einer Prozession im Dom von Neapel verflüssigt, verheißt dies Gutes für das darauffolgende Jahr. Schlecht für Neapel, wenn das Blutwunder ausbleibt: Dann nämlich, so heißt es, werde Unheil über die Stadt kommen. Die Blutverflüssigung ist zwar von der Kirche nie offiziell als Wunder anerkannt worden, die Verehrung der Blutreliquie wird aber als Ausdruck der Volksfrömmigkeit toleriert. Doch das Blutwunder von San Gennaro ist nicht das einzige, das sich in Neapel ereignet. So gibt es Blutreliquien auch von anderen Märtyrern, wie jene des heiligen Laurentius und des heiligen Pantaleon. Gemeinsam ist allen diesen Blutwundern, dass sie nie eingehend wissenschaftlich untersucht worden sind. Zwar bemühten sich zahlreiche Wissenschafter, Zugang zu den geheimnisumwitterten Substanzen zu erhalten, die Kirche hat jedoch alle Untersuchungen abgelehnt – aus Sicherheitsgründen, heißt es.

Dennoch ist der Chemiker Luigi Garlaschelli – er war auch an den Untersuchungen des Turiner Grabtuchs beteiligt – überzeugt, dass es sich bei der angeblichen Blutverflüssigung um eine chemische Reaktion handelt, die auch bereits die Alchimisten des Mittelalters gekannt hätten. Doch für gläubige Neapolitaner steht ohne Zweifel fest, dass es sich tatsächlich um ein göttliches Wunder handelt. Ein Streit zwischen Naturwissenschaft und Religion? Oder doch nur eine Frage der Sichtweise? Der Anthropologe Mario Niola: „Alle Menschen haben das Bedürfnis, an irgendetwas zu glauben. Und alle haben das Bedürfnis, ein Symbol zu haben.“

Ein Film von Gregorio Paolini und Paolo Malizia
(deutsche Fassung: Rosemarie Pagani-Trautner)