Kreuz und quer Der geschenkte Tag

ORF/Langbein & Partner

„Der geschenkte Tag“

Der Februar hat in diesem Jahr – weil es ein Schaltjahr ist – um einen Tag mehr. Für viele ist dieser 29. Februar ein gewöhnlicher Arbeitstag wie jeder andere, er könnte aber auch zu einem „geschenkten Tag“ für andere werden.

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ORF

Sendungshinweis

Dienstag, 1. März 2016
um 22.35 Uhr, ORF 2

Wiederholung:

Mittwoch, 2. März 2016
um 20.15 Uhr, ORF III

Die Reportage „Der geschenkte Tag“, präsentiert von Doris Appel – um 22.35 Uhr in ORF 2, begleitet sechs Menschen einen Tag lang bei ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit – von der Palliativpflege über die Flüchtlingshilfe, medizinische Behandlung von nichtversicherten Patienten, Hilfe für Obdachlose bis hin zur Unterstützung von sozial benachteiligten Kindern. Um 23.10 Uhr folgt die Dokumentation „Vom Sinn des Gebens – Die Evolution der Nächstenliebe“.

„Der geschenkte Tag“

Die beiden Wiener Regina Swoboda und Martin Kirchthaller haben schon vor einigen Monaten entschieden, dass sie gerne ehrenamtlich helfen wollen. Doch bis heute wussten sie nicht genau, wie und wo. Bis sie vom Canisibus gehört haben. Eine Initiative der Caritas, um Obdachlosen eine warme Suppe zu bringen. „Ich spende sonst Geld an Hilfsorganisationen“, sagt Regine Swoboda. „Diesmal möchte ich Zeit spenden, weil wir ja in diesem Jahr einen Tag mehr zur Verfügung haben, den 29. Februar. Diese Zeit möchte ich jenen weiterschenken, denen es nicht so gut geht.“

Die Reportage „Der geschenkte Tag“ begleitet sechs Menschen einen Tag lang bei ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit: „Es ist eines der vernünftigsten Dinge, die ich in meinem Leben je gemacht habe.“ Seit mehr als 13 Jahren schenkt die Pensionistin Elisabeth Benesch auf der Palliativstation des Krankenhauses Hietzing Menschen Zeit, denen selbst nur noch wenig Zeit in ihrem Leben bleibt. „Um die Geburt wird so viel gefeiert. Und der Tod wird verschwiegen.

Die Erfahrungen, die ich dabei machen darf, sind ein Schatz des Lebens, den mir keiner mehr wegnehmen kann.“ Die 42-jährige Bankerin Petra Rauscher verlässt einmal pro Woche extra früher ihren Arbeitsplatz in einer Bank, um ehrenamtlich sozial benachteiligten Kindern in der Wiener Lerntafel Nachhilfe zu geben. Und Kinderarzt Dr. Rudolf Schmitzberger behandelt ehrenamtlich Patienten, die keine Krankenversicherung haben.

„Für mich ist es wichtig, in einer Gesellschaft zu leben, in der die soziale Verantwortung eine Rolle spielt.“ Fady Fouad weiß, wie es ist, aus einer fremden Kultur nach Österreich zu kommen: Der gebürtige Ägypter möchte seine ersten freien Tag seit Langem unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlingen schenken – gemeinsam mit den Helfern der privaten Flüchtlingshilfe „Grazer Spendenkonvoi“: „Menschen müssen einander helfen. Die Arbeit hier ist nicht umsonst. Sie ist für die Zukunft.“

Ein Film von Kurt Langbein und Marlene Alber

Kreuz und quer Der geschenkte Tag

ORF/Langbein & Partner

„Vom Sinn des Gebens – Die Evolution der Nächstenliebe“

Zwei Menschen treffen aufeinander: Frau Klinger und Herr Weiss. Die beiden kennen einander nicht besonders gut, dennoch verbindet sie eine gemeinsame Geschichte: Herr Weiss ist vor eineinhalb Jahren an einem Nierenleiden erkrankt. Mit einem Schlag musste er sein aktives Leben beenden. Anstatt Ausflüge auf dem Mountainbike zu planen, bereitete er sich auf ein Leben mit der Dialyse vor: Mindestens drei Nächte pro Woche würde er im Krankenhaus verbringen müssen, damit dort Maschinen die Funktion seiner erkrankten Organe erledigen.

„Als ich von diesem Schicksalsschlag hörte, wusste ich sofort, dass ich helfen will“, sagt Frau Klinger. Dabei ist sie Herrn Weiss zuvor nur wenige Male begegnet, er ist der Sohn einer Zufallsbekanntschaft. Trotzdem legte sie sich für ihn unters Messer: Ärzte im Allgemeinen Krankenhaus in Wien entnahmen ihr eine ihrer beiden gesunden Nieren und implantierten sie Herrn Weiss. Dem brachte das neue Organ sein gewohntes Leben zurück. „Ich weiß bis heute nicht, womit ich ein so großzügiges Geschenk verdient habe. Warum hat sie mir für mich ein derart großes Opfer gebracht?“ Mit dieser Frage ist Herr Weiss nicht allein.

Jahrzehntelang haben Wirtschaftswissenschaften den Menschen als ein Wesen porträtiert, das kühl berechnend nur den eigenen Vorteil und Profit sucht. Viele beriefen sich dabei auf die Feststellung des britischen Vaters der Evolutionstheorie, Charles Darwin. Der hatte gemeint, das Leben an sich sei ein einziger Kampf ums Überleben, ein „Struggle for life“. Gemäß diesem Bild betrachten viele Ökonomen bis heute die globalen Märkte und ihre Mechanismen: Menschen jagen nun einmal mit aller Kraft nach individuellem Erfolg – und sei es auch auf Kosten ihres Nächsten. Erfolgreich ist, wer für sich am meisten zur Seite schaffen kann. Selbstlose Geschenke, Hilfsbereitschaft oder Kooperation erscheinen vor diesem Hintergrund als sinnloses Verhalten, fast schon als Irrtum der Evolution.

Doch vor Kurzem haben Wissenschafter aus verschiedenen Fachrichtungen begonnen, diese Sicht der Dinge zu hinterfragen. Die Finanzkrise verlieh dieser Arbeit besondere Dringlichkeit. Mittlerweile stellen Hirn- und Evolutionsforscher sowie Wirtschaftswissenschafter das alte, pseudo-darwinistische Bild des Menschen auf den Kopf: Sie kommen zu dem Schluss, dass der Mensch durch seine Stammesgeschichte auf gegenseitige Unterstützung, Hilfsbereitschaft und Zusammenarbeit geprägt ist. Gier, aber auch Aggression und Gewalt sind dagegen lediglich Reaktionen auf ungünstige äußere Umstände.

Der aus Österreich stammende Mathematiker Martin Nowak ist einer der weltweit renommiertesten Vertreter des neuen Forschungszweiges der Kooperationsforschung. An der amerikanischen Elite-Universität Harvard erforscht er mit Methoden der Mathematik, warum sich trotz des evolutionären Konkurrenzkampfes gerade die Lebensformen durchsetzten, die prinzipiell kooperativ sind: von Einzellern zu Mehrzellern hin zu Ameisenstaaten und großen Wirtschaftsunternehmen. Für ihn ist die Fähigkeit zur Kooperation eine wesentliche Triebfeder der Evolution.

Ein Weg, menschliches Verhalten zu studieren, sind ausgeklügelte Experimente der neuen Forschungsrichtung „experimentelle Wirtschaftsforschung“. Schauspieler haben für diese Dokumentation einige dieser Versuche noch einmal nachgespielt. Dabei zeigt sich etwa, dass der Mensch ein starkes Gefühl für Fairness hat. Überprüft wurde das mit folgendem Versuch: Ein Teilnehmer bekommt Spielmünzen im Wert von 100 Euro und den Auftrag, sie mit einem Menschen zu teilen, den er nicht kennt. Laut herrschender ökonomischer Lehrmeinung dürfte die Versuchsperson ihrem Gegenüber nur einen Euro anbieten – Schließlich denkt sie ja nur an ihren eigenen Gewinn. „Fast alle schrecken vor einem so unfairen Angebot zurück und bieten zwischen 40 und 50 Euro“, erzählt der Innsbrucker Wirtschaftsforscher Martin Sutter. „Offenbar achten Menschen nicht nur auf ihren persönlichen Geldgewinn, sondern auch auf das Wohlergehen ihres Gegenübers.“

Der Neurobiologe Joachim Bauer berichtet von Strukturen im Hirn, die den Menschen dazu anregen zu kooperieren. „Wenn wir anderen gutes Tun, wenn wir durch Zusammenarbeit ein gemeinsames Ziel erreichen, dann belohnt uns unser Gehirn mit der Ausschüttung von Wohlfühl-Substanzen.“ Geiz und Egoismus sind demnach keineswegs menschliche Urinstinkte, sondern lediglich eine Reaktion auf äußere Umstände. Kriege sind für Bauer nicht Ausdruck einer evolutionären Notwendigkeit, sondern werden durch den Streit um knappe Ressourcen ausgelöst. Im Grunde sei der Mensch aber auf das Wohl seiner Mitmenschen hin orientiert.

Felix Warneken kann diese tief verankerte Neigung des Menschen schon bei Kleinkindern nachweisen. In Laborversuchen gaukelt er den kleinen Probanden vor, dass er nicht in der Lage sei, eine heruntergefallene Wäscheklammer aufzuheben. Daraufhin machen sich die Kinder ohne jegliche Aufforderung auf ihre wackeligen Beine, durchqueren den Raum, bücken sich nach der Wäscheklammer und reichen sie Felix Warneken. „Damit wird klar, dass Hilfsbereitschaft nicht anerzogen, sondern angeboren ist“, so Warneken.

Ein Film von Kurt Langbein und Gottfried Derka