Das Geschenk der Jungfräulichkeit

ORF/Films Transit

„Das Geschenk der Jungfräulichkeit“ und „Religion ohne Sexualität – die Shaker“

Evangelikale Christen rufen die zweite sexuelle Revolution aus: Keuschheit als Gegenbewegung zu Gesinnung und Praktiken der modernen Kultur. So gelobt in den USA bereits jedes achte Mädchen, unbefleckt in die Ehe zu gehen.

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ORF

Sendungshinweis

Dienstag, 14. Juni 2016 um 23.35 Uhr, ORF 2, Mittwoch , 15. Juni 2016 um 20.15 Uhr, ORF III

Doch die sieben Kinder der Familie Wilson, Gründer der Jungfrauen-Bälle, der sogenannten „Purity Balls“, gehen in ihrem Bestreben nach Reinheit von Körper und Geist noch einen Schritt weiter: Sogar den ersten Kuss gibt es erst vor dem Traualtar.

Zwei Jahre lang hat Mirjam von Arx den Wilson-Nachwuchs begleitet und dokumentiert in ihrem Film „Das Geschenk der Jungfräulichkeit“, den „kreuz und quer“ – präsentiert von Doris Appel um 22.35 Uhr zeigt, wie die religiöse Rechte eine junge Generation von „Virgins“ darauf vorbereitet, eine evangelikale Utopie zu verwirklichen.

In „Religion ohne Sexualität – die Shaker“ begeben sich danach Anita Lackenberger und Gerhard Mader um 23.25 Uhr auf die Suche nach den Spuren der Shaker in den USA.

Das Geschenk der Jungfräulichkeit

ORF/Films Transit

„Das Geschenk der Jungfräulichkeit“

Die Wilsons leben in Colorado Springs – in derjenigen US-Stadt, die als Zentrum der evangelikalen Christen gilt. Bei den Purity Balls werden die Töchter, manche nicht älter als vier Jahre, im Abendkleid von ihren Vätern begleitet und legen gemeinsam das Gelübde ab, alles zu tun, damit das Mädchen bis zur Ehe keusch bleibt. Das wird auch in einer Art „Jungfräulichkeitsvertrag“ schriftlich festgehalten. Seit 1998 finden diese Bälle jährlich statt und werden in den USA inzwischen in 48 US-Staaten gefeiert.

Vater Randy Wilson ist somit eine Schlüsselfigur der evangelikalen Purity-Bewegung. Seine Familie wird in den US-Medien als Sinnbild für die „Neue Reinheit“ gefeiert oder – je nach Standpunkt – verhöhnt. Die fünf Wilson-Töchter, die nur einen Mann heiraten wollen, der genauso ist wie ihr Vater, sind Vorzeige-Jungfrauen: jung, hübsch und charmant scheuen sie jeden Kuss vor der Ehe. Und auch die Söhne vertreten strikt die Haltung, eine Frau das erste Mal vor dem Traualtar zu küssen.

Die Doku zeigt, wie stark das Konzept Jungfräulichkeit auch heute das Leben junger Frauen beeinflussen und sogar dominieren kann – und zwar gerade dort, wo das patriarchale Machtsystem längst überwunden zu sein schien: in dem aufgeklärten, westlichen Land USA, das den Ruf hat, ein Land der Freiheit und der Selbstbestimmung junger Frauen zu sein. Denn so passiv, wie sich Frauen der Purity-Bewegung in Bezug auf Sex verhalten sollen, sollen sie auch in allen anderen Lebensbereichen auftreten. Feminismus ist in diesen Kreisen ein Schimpfwort: Zu den Überzeugungen der Purity-Bewegung gehört, dass die Frau keine berufliche Laufbahn einschlagen soll, sondern dazu da ist, der Familie und ihrem Mann zu dienen, der von Gott zum Führer der Frau auserkoren worden ist.

In den USA stellen die evangelikal-ultrakonservativen Christen, die an die Unfehlbarkeit der Bibel in allen Einzelaussagen glauben, Nichtgläubige und Andersgläubige meiden und Homosexualität als Sünde betrachten, etwa ein Viertel der Bevölkerung – und bilden damit vor den Katholiken (24 Prozent) und den Anhängern der protestantischen „Mainline-Kirchen“ (18 Prozent) die stärkste religiöse Vereinigung des Landes. Entsprechend können sich die Evangelikalen Gehör verschaffen, wenn sie die „zweite sexuelle Revolution“ ausrufen.

Ein Film von Mirjam von Arx

Religion ohne Sexualität – die Shaker

ORF/Gerhard Mader

„Religion ohne Sexualität – die Shaker“

Die Shaker sind ein Stück amerikanischer Geschichte, es sind Menschen, die vor 200 Jahren auszogen, um die Welt zum Guten zu verändern. Bis heute sind die Shaker bekannt für ihre Musik, aber auch für die außergewöhnliche Designkunst, die bis heute Vorbild für simple und schöne Architektur und Möbelbau ist. Mit der Funktionalität und Schlichtheit der Möbel haben sie die Moderne vorweggenommen. Neuen technischen Entwicklungen gegenüber waren sie stets aufgeschlossen.

Gegründet wurde diese christliche Bewegung von einer Frau – Ann Lee, die in den 1780er Jahren aus Manchester in die USA kam, um dort mit ihren Anhängern ihren Glauben zu verwirklichen. Einer der zentralen Punkte ihrer Religion war ein zölibatäres Leben von Frauen und Männern in gemeinsamen Siedlungen, aber getrennt. Die Gleichheit der Geschlechter, die Gleichwertigkeit von Frauen- und Männerarbeit, war von Beginn an ein zentrales Anliegen. Es gibt viele Bereiche, in denen die Shaker Vorreiter waren: Sie waren Pazifisten, vertraten die Gleichheit der Geschlechter und lehnten jede Art von Rassismus ab. Zudem waren die Shaker geniale Erfinder und Konstrukteure.

Eigentum des Einzelnen war tabu. Die Shaker lebten mit Gemeinbesitz und werden oft als die ersten „Kommunisten“ Amerikas bezeichnet. Auch Friedrich Engels besuchte die Shakergemeinden, er bewunderte die großen Erfolge des gemeinsamen Wirtschaftens „trotz ihrer Religion“, wie er meinte, da Engels Religion für eine „Dummheit“ hielt.

Religion ohne Sexualität – die Shaker

ORF/Gerhard Mader

Die Shaker-Gründerin Ann Lee wurde von ihren Anhängern als erleuchtete Prophetin gesehen. Sie berief sich auf einen direkten Kontakt zu Gott und wollte auch ihren Anhängern – so sie ein entsprechendes Leben führen – diese unmittelbare Gotteserfahrung ermöglichen. Visionen, ekstatische Tänze und Lieder, die direkt als „Geschenk“, als „von Gott eingegeben“, erlebt wurden, prägten das Gemeinschaftsleben. Diese Lieder sind bis heute ein wesentliches Kulturgut der amerikanischen Folktradition. So wird das Lied „Simple Gift“ in verschiedenen Variationen immer wieder an prominenter Stelle verwendet – u. a. bei der Inauguration von US-Präsident Barack Obama.

Die Shaker waren auch die ersten Samenhändler und -produzenten der Vereinigten Staaten, sie waren Vorreiter der Elektrifizierung und erfanden eine Vielzahl von Maschinen. Durch den offensiven Gebrauch der Technik sollte mehr Raum für Gott geschaffen werden. „Hands to Work und Hearts to God“ war ein wesentliches Motto der Glaubensgründerin Ann Lee. In ihrer Blütezeit (Mitte des 19. Jahrhunderts) gab es Tausende Shaker, heute sind es nur mehr ganz wenige Menschen, die ein Shakerleben in der traditionellen Form kaum mehr aufrechterhalten können.

Anita Lackenberger und Gerhard Mader haben sich auf die Suche nach den Spuren der Shaker in den USA gemacht. Sie haben Filmmaterial von den Shakertänzen entdeckt und viele Menschen getroffen, die noch heute von den Ideen der Shaker inspiriert werden. Sie haben einen Blick in die amerikanische Seele geworfen, die von Geschichten wie dieser lebt – einer Frau, die auszog, um die Welt zu verändern.

Ein Film von Anita Lackenberger und Gerhard Mader