modernes spaceshuttle-ähnliches Gebäude mit Glasdach in Vogelperspektive

Caritas

Zutrauen > Angst

Anlässlich des Welttags der Armen übertrug der ORF einen Gottesdienst des Mutes und des Engagements, den Caritas-MitarbeiterInnen und Bischofsvikar Hermann Glettler im Caritas-Schulzentrum in Graz feierten.

In Österreich ist jeder siebente Mensch von Armut betroffen. Um auf die Lage verarmter Menschen aufmerksam zu machen, hatte Papst Franziskus für 19. November einen ersten Welttag der Armen ins Leben gerufen, den die Caritas gemeinsam mit der Weltkirche beging.

„Dieser Welttag möge ein starker Aufruf für unser gläubiges Gewissen werden, damit wir immer mehr überzeugt sind, dass Teilen mit den Armen uns das Evangelium in seiner tiefsten Wahrheit zu verstehen ermöglicht.“, so Franziskus. Im Grazer Caritas Schulzentrum wird das Teilen mit Armen in Form von interreligiösen und internationalen Projekten praktiziert. Bildung als Chance für ein erfolgreiches, selbstbestimmtes Leben. Zur Messe am Welttag der Armen hatten ehrenamtliche und hauptberufliche MitarbeiterInnen, SchülerInnen und andere sozial engagierte Menschen die Gedanken ihres täglichen Wirkens für Menschen mitgebracht. Das Evangelium hielt den Umgang mit den sogenannten Talenten vor Augen - die Erfahrung, dass Gott uns etwas zutraut, lässt uns Zutrauen fassen.

Im Wirken als Caritas wird Zutrauen zu einem wichtigen Motor. Menschen in Armut brauchen nach den Brüchen in ihrer Existenz Zutrauen, um die nächsten Schritte zu schaffen. Und Menschen, die sich für andere einsetzen, erleben das Zutrauen, mit ihren Talenten gewinnbringend tätig sein zu können. Für die Caritas meint „Zutrauen > Angst“ eine Zukunftsperspektive, wenn es darum geht, an einer tragfähigen Solidarität in unserer Gesellschaft mitzubauen. So hatten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Ort für diesen Gottesdienst die Aula ihres Schulzentrums gewählt, in dem sich jährlich an die 400 Schülerinnen und Schüler unterschiedlichster Herkunft auf das Wirken in sozial verantwortlichen Berufen vorbereiten.

Darum wollen wir nicht schlafen

Lesung: Erster Paulusbrief an die Thessalonicher

Über Zeit und Stunde, Brüder, brauche ich euch nicht zu schreiben. Ihr selbst wisst genau, dass der Tag des Herrn kommt wie ein Dieb in der Nacht. Während die Menschen sagen: Friede und Sicherheit, kommt plötzlich Verderben über sie wie die Wehen über eine schwangere Frau, und es gibt kein Entrinnen.

Ihr aber, Brüder, lebt nicht im Finstern, so dass euch der Tag nicht wie ein Dieb überraschen kann. Ihr alle seid Söhne des Lichts und Söhne des Tages. Wir gehören nicht der Nacht und nicht der Finsternis. Darum wollen wir nicht schlafen wie die anderen, sondern wach und nüchtern sein.

Aus Angst das Geld in der Erde versteckt

Evangelium: Matthäus 25

In jener Zeit erzählte Jesus seinen Jüngern das folgende Gleichnis: Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Mann, der auf Reisen ging: Er rief seine Diener und vertraute ihnen sein Vermögen an. Dem einen gab er fünf Talente Silbergeld, einem anderen zwei, wieder einem anderen eines, jedem nach seinen Fähigkeiten. Dann reiste er ab. Sofort begann der Diener, der fünf Talente erhalten hatte, mit ihnen zu wirtschaften, und er gewann noch fünf dazu. Ebenso gewann der, der zwei erhalten hatte, noch zwei dazu. Der aber, der das eine Talent erhalten hatte, ging und grub ein Loch in die Erde und versteckte das Geld des Herrn.

MUSIK

Baba Yetu

Gloria! Ehre sei Gott!

All my trials

Halleluja

Let us break bred together

Gott, unser Vater, wir bitten dich

Heilig bist du, großer Gott

U2: Still haven´t found

Mit dir geh ich alle meine Wege

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Gestaltung:

Caritas Megaphon Chor aus VerkäuferInnen der Grazer Caritas-Straßenzeitung Megaphon und ihren Freunden
Leitung: Daniel Erazo

Gottesdienstband aus Caritas-PartnerInnen & -MitarbeiterInnen
Leitung: Anton Tauschmann

Kantor: Hannes Pein-Tropper

Nach langer Zeit kehrte der Herr zurück, um von den Dienern Rechenschaft zu verlangen. Da kam der, der die fünf Talente erhalten hatte, brachte fünf weitere und sagte: Herr, fünf Talente hast du mir gegeben; sieh her, ich habe noch fünf dazugewonnen. Sein Herr sagte zu ihm: Sehr gut, du bist ein tüchtiger und treuer Diener. Du bist im Kleinen ein treuer Verwalter gewesen, ich will dir eine große Aufgabe übertragen. Komm, nimm teil an der Freude deines Herrn! Dann kam der Diener, der zwei Talente erhalten hatte, und sagte: Herr, du hast mir zwei Talente gegeben; sieh her, ich habe noch zwei dazugewonnen. Sein Herr sagte zu ihm: Sehr gut, du bist ein tüchtiger und treuer Diener. Du bist im Kleinen ein treuer Verwalter gewesen, ich will dir eine große Aufgabe übertragen. Komm, nimm teil an der Freude deines Herrn! Zuletzt kam auch der Diener, der das eine Talent erhalten hatte, und sagte: Herr, ich wusste, dass du ein strenger Mann bist; du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst, wo du nicht ausgestreut hast; weil ich Angst hatte, habe ich dein Geld in der Erde versteckt. Hier hast du es wieder. Sein Herr antwortete ihm: Du bist ein schlechter und fauler Diener! Du hast doch gewusst, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe und sammle, wo ich nicht ausgestreut habe. Hättest du mein Geld wenigstens auf die Bank gebracht, dann hätte ich es bei meiner Rückkehr mit Zinsen zurückerhalten. Darum nehmt ihm das Talent weg und gebt es dem, der die zehn Talente hat! Denn wer hat, dem wird gegeben, und er wird im Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat. Werft den nichtsnutzigen Diener hinaus in die äußerste Finsternis! Dort wird er heulen und mit den Zähnen knirschen.

Nicht die Anzahl der Talente ist ausschlaggebend

Predigt

Zutrauen ist größer als Angst. Dieser Slogan führt uns direkt in das Gleichnis heute, am Welttag der Armen. Zwei äußerst Talentierte – mit fünf, bzw. zwei Talenten ausgestattet – machten sich „sofort“ ans Werk. Schnell oder sofort steht im Evangelium immer für Freude und Begeisterung. Sofort werden sie tätig. „Sie gingen hin“, sie „gingen an die Sache“. Beide (!) beginnen mit dem, was ihnen anvertraut wurde, zu „wirtschaften“. Beide mit gleichem Elan. Nicht die Anzahl der Talente ist ausschlaggebend, sondern die Freude und Leidenschaftlichkeit. Jeder Mensch ist begabt. Manche sind sogar hochbegabt, hochtalentiert. „Von Natur aus“ begabt, sagt man. Von Natur aus? Wo unsere Talente herkommen, haben wir soeben gehört: Gott, der Urquell des Lebens teilte sein Vermögen aus. Sein Vermögen! Er hat uns allen viel anvertraut und zugetraut. Deshalb gibt es die herrliche Palette der vielen Begabungen – technisch, handwerklich oder künstlerisch und die vielen sozialen Begabungen: Menschen, die gut zuhören können, die sich leidenschaftlich für Gerechtigkeit einsetzen, Menschen mit einer Esels-Geduld und solche, die Unruhe stiften – um eine müde Gesellschaft aufzuwecken.

Ich denke jetzt an einen jungen Mann mit einer gewissen geistigen Beeinträchtigung. Er hat sich zum Ziel gesetzt hat, eine Ausbildung zum Sozialhelfer zu machen. Er hat es geschafft, weil er um diese seine Begabung wusste und sie ganz „natürlich“ gelebt hat. Seinen Freund im Rollstuhl ins Fußballstadion zu begleiten, war für ihn selbstverständlich! Ausgehend von diesem Beispiel – heute am Welttag der Armen – ein Dank an alle solidarisch Handelnden, sozial Begabten und Engagierten – ob sie mit der Kirche zu tun haben oder nicht! Gottes-Vermögen haben wir alle bekommen.

Use it or lose it! Wenn du deine Talente nicht nützt, wirst du sie verlieren. Nütze Deine Potentiale und Deine Chancen! Optimiere Dein Leben! Ungenützte Begabungen verkümmern, verfallen. Kirchliche Caritas will deshalb neben der Sorge um die Verlierer auch die Begabten fördern – besonders jene, denen nicht die vielen Optionen einer vermögenden Gesellschaft in die Wiege gelegt wurden. Klingt alles bestens.

Und trotzdem empfinde ich bei diesen Sprüchen immer auch Unbehagen. Was zum Beispiel, wenn der Einsatz der eigenen Begabungen zur herben Enttäuschung geführt hat – statt Wertschätzung, nur Undank?! Was dann, wenn das soziale Umfeld keine Verdoppelung der Talente zugelassen hat!? Was, wenn die vielen Negativbotschaften ihre Wirkung zeigen: Du schaffst das nicht. Aus dir wird nichts. Und vor allem: Was, wenn Menschen sich selbst nichts mehr zutrauen? Es heißt vom dritten Knecht: Er ging weg, grub ein Loch und versteckte sein Talent. Das Weggehen drückt seine innere Distanz aus. Er wollte mit dem, der ihn beschenkt hat, nichts mehr zu tun haben. Als er sein Talent zurückgibt, nennt er das Motiv seines Tuns: Weil ich Angst hatte. Die Angst hat ihm seine ganze Lebenskraft, seine Begeisterung und alles genommen. Ein trauriger Befund eines Menschen, der seine Lebens-Gabe nicht zum Einsatz gebracht hat. Aus Angst nicht gelebt, in Bitterkeit gestorben. Die Angst raubt dem Menschen sein ganzes Vermögen. Ganz egal, ob er viel oder wenig besitzt. Die Angst treibt den Menschen von Gott, von sich selbst und von seinem eigentlichen Auftrag weg. Angst – und wie wird man/frau sie los? Gibt es im Wort Gottes auch eine Spur zur Befreiung von Angst?

Dankbarkeit befreit von Angst. Sie befreit von der Angst, zu kurz zu kommen. Die bekannte, dazu gehörige Falle ist das Selbstmitleid. Wer fühlt sich nicht als Opfer – von allen übersehen und ungerecht behandelt? Also: Hinschauen, wahrnehmen und danken! Vielleicht nur für das eine Talent! Zweitens schützt die Dankbarkeit vor der Falle des Vergleichens. Im Vergleich mit anderen gibt es immer Defizite zu entdecken: Er oder sie ist attraktiver, intelligenter, angesehener, erfolgreicher usf. Unnötige Traurigkeit ist vorprogrammiert. Vergleichen macht traurig. In der Logik des heutigen Gleichnisses wäre die Antwort für denjenigen, der nur das eine Talent erhalten hat, genau dieselbe gewesen: Sehr gut, du bist ein großartiger Diener! Komm nimm teil an der Freude deines Herrn!

Aber was, wenn man wirklich scheitert? Scheitern kann zum Segen werden. Ich denke an meinen Freund. Durch seine Alkoholerkrankung hat er alles verloren. Sein ganzes Vermögen, seine berufliche Karriere und das schlimmste, seine Ehe und Familie. Aber nachdem er sich und seine Alkoholerkrankung so weit in den Griff bekommen hat, wurde er fähig, sich für andere einzusetzen. Er versteht nun genau jene, die im selben Elend gelandet sind, er kennt ihre Leiden und Verzweiflung. Gott hat ihm durch einen schmerzhaften Weg hindurch das Vermögen geschenkt, mit Empathie und Herzblut für jene dazu sein, die dringend Hilfe brauchen.

Zutrauen ist größer als Angst. In unserer täglichen Caritas-Arbeit erleben wir nicht nur das Versagen und die vielen Gesichter von Not. Wir erleben auch, dass sich Menschen wieder aufrichten und ihr Leben in die Hand nehmen. Entscheidend ist das Zutrauen und Zusprechen von Mut. Wir erleben nicht nur Neid und Missgunst, sondern auch berührende Solidarität und Zusammengehörigkeit. Wir erleben nicht nur Verzweiflung. Wir erleben auch viel Freude und Kreativität, wenn Menschen Wertschätzung erfahren. Gott verteilt mit Sicherheit sein Vermögen nicht nach weltlichen Schemata. Oft lässt er gerade jenen, die sich selbst nicht für fähig halten, spezielle Begabungen zukommen. Wer sind denn die wirklich Vermögenden? Wir müssen von den Armen lernen!

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