Lexikon der Religionen:

Pratityasammutpada

Buddhistische Lehre vom bedingten Entstehen

Pratityasammutpada heißt übersetzt „Entstehen in wechselseitiger Abhängigkeit“. Diese Lehre besagt, dass alle Phänomene aufgrund von Ursachen und Bedingungen entstehen. Jede Wirkung wird als Resultat mannigfaltiger Ursachen gesehen. Besonders wichtig sind im Buddhismus die Entstehung des Leidens und die Mechanismen, die zur Wiedergeburt führen. Die Entstehung des Daseinskreislaufs (Samsara) wird in dieser Lehre als zwölfgliedrige Kette des bedingten Entstehens beschrieben, die weiter unten ausgeführt ist. Sie kann als eine vertiefte Ausführung der zweiten der Vier Edlen Wahrheiten gesehen werden.

Häufig zitierte Formel

„Wenn dies ist, ist jenes; wenn dies entsteht, entsteht jenes. Wenn dies nicht ist, ist jenes nicht; wenn dies aufhört, hört jenes auf.“

Ein Beispiel für „Bedingtes Entstehen“

Ein anschauliches Beispiel für das „Bedingte Entstehen“ kann ein Baum liefern. Ein Baum braucht für sein Entstehen und seine Existenz eine Vielzahl ermöglichender Bedingungen. Dazu gehören der Keim, die Erde sowie Mineralien, außerdem Wasser und ausreichend Licht und Raum, um sich auszubreiten. Der Baum verbraucht Kohlendioxid für die Photosynthese und ist somit vom Ausatmen der Menschen und Tiere abhängig, die wiederum den von ihm zur Verfügung gestellten Sauerstoff benötigen.

„Ein Baum lässt Blätter entstehen und versieht sie mit Nährstoffen; aber die Blätter nähren auch den Baum. Blätter sind nicht einfach nur die Kinder des Baumes. Sie sind auch seine Mutter. Wegen seiner Blätter ist der Baum imstande zu wachsen. Jedes Blatt ist eine Fabrik, die Sonnenschein verarbeitet, damit der Baum Nahrung bekommt.“ So schreibt der buddhistische Meister Thich Nhat Hanh in seinem Buch „Das Herz von Buddhas Lehre“.

Buchhinweis

Thich Nhat Hanh: Das Herz von Buddhas Lehre. Herder Spektrum, 288 Seiten, 10,30 Euro.

Nach Thich Nhat Hanh wollte Buddha „seine Lehre nicht als eine lineare Aneinanderreihung von zwölf Gliedern verstanden wissen“. Vielmehr beeinflussen sich Bedingungen auf komplexe Weise wechselseitig. Bestimmte Ursachen führen zu Wirkungen, die wiederum Ursachen anderer Wirkungen sind. Die Bedeutung von Pratityasammutpada ist besser erfassbar, wenn man statt von einer einlinig-statischen von einer dynamischen Kausalität der uns umgebenden Phänomene ausgeht.

Die zwölf Glieder des Bedingten Entstehens

Traditionellerweise entwickelte sich eine standardisierte Formulierung, die zwölf Stufen aufweist, die die Entstehung des Leidens veranschaulicht.

  1. Unwissenheit (Avidya) über die Vier Edlen Wahrheiten und das Bedingte Entstehen führt zur Annahme eines „Ich“ und damit zu
  2. Tatabsichten (Samskara), diese können heilsam, unheilsam oder neutral sein. Diese entstandenen Motivationen für Handlungen erzeugen ein bestimmtes
  3. Bewusstsein (Vijnana), also einen spezifischen Bewusstseinszustand, der durch karmische Neigungen aus vorangegangen Erfahrungen geprägt ist und als Grundlage dient für die Identifikation mit
  4. Name und Form (Nama-Rupa), das sind die Elemente der Körperlichkeit, die sich durch das Zusammenwirken der fünf Skandhas manifestieren. Gemeinsam mit Geist und Körper entwickeln sich
  5. Die sechs Sinnesbereiche (Sad-Ayatana): Augen, Ohren, Nase, Zunge, Körper und Geist entstehen gemeinsam mit den zugehörigen Sinneskräften Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten, Denken und den Sinnesobjekten Form, Klang, Geruch, Geschmack, tastbare Objekte und Objekte des Geistes. Daraus ergibt sich
  6. Berührung (Sparsa): Durch Kontakt eines Sinnesobjekts mit einem Sinnesorgan entstehen
  7. Gefühle (Vedana), welche angenehm, unangenehm oder neutral sein können. Durch Gefühle entsteht
  8. Verlangen(Trshna) nach Sein, Werden oder Nicht-Werden. Darauf reagiert der Mensch mit
  9. Ergreifen (Upadana) oder Anhaften. Das bedeutet, dass Angenehmes festgehalten und Unangenehmes abgelehnt werden. Dieser Prozess mündet in
  10. Werden (Bhava) als Folge der Verstrickung in Samsara. Der Prozess des Werdens entsteht, weil ein starkes Verlangen existiert. Starkes Verlangen führt zu
  11. Geburt (Jati), diese wiederum bedingt naturgemäß
  12. Alter und Tod (Jara-Marana), sie sind die Folgen des Verlangens nach Dasein.

Weit verbreitet ist eine Dreiteilung dieses Schemas, wonach sich die Stufen eins und zwei auf ein früheres Leben und drei bis sieben auf die Bedingtheit des jetzigen Lebens beziehen. Die Stufen acht bis zehn werden als die Folgen der gegenwärtigen Existenz gesehen, während elf und zwölf ein künftiges Leben meinen.

Übersichtsartikel zum Buddhismus

Siehe dazu auch im ORF-Religionslexikon: