EIne Frau zündet in einer russich-orthodoxen Kirche eine Kerze an.
Reuters/ Alexey Nasyrov
Reuters/ Alexey Nasyrov
Christentum

Orthodoxie

Nach der Trennung der Orthodoxie 1054 ist es bis heute nicht gelungen die Einheit zwischen Ost- und Westkirche wiederherzustellen. Die gesamte Orthodoxie umfasst heute etwa 300 Millionen Christen und ist damit die drittgrößte christliche Gemeinschaft.

Das Christentum des Ostens, das in der Antike dominiert hatte, verschwand nach der Trennung von Rom (1054) mehr und mehr aus dem Blickfeld der westlichen Kirchengeschichte. Doch ist das nicht nur eine Frage der Perspektive?

Tatsächlich sind die alten Patriarchate von Antiochien, Alexandrien und Jerusalem schon durch die Ausbreitung des Islam seit dem 7. Jahrhundert überrannt worden. Unter islamischer Herrschaft zwar geduldet, waren sie aber ohne kirchenpolitische Bedeutung. Konstantinopel, das zweite Rom, das sich längst Byzanz nannte, verlor durch den Andrang von Arabern und Slawen Gebiet um Gebiet, wurde zeitweise vom Westen entmachtet, als die Venezianer die Kreuzzüge benützten, um ihre wirtschaftliche Basis im östlichen Mittelmeer auszubauen (Eroberung von Byzanz beim 4. Kreuzzuge 1203, „Lateinisches Kaisertum“ bis 1261) und fiel zuletzt 1453 den Osmanen in die Hände.

Das politische Ende von Byzanz bedeutete für eine Kirche des Cäsaropapismus einen besonderen Schlag. Bis heute ist das Verhältnis zwischen Kirche und Staat nach dem byzantinischen Modell sehr eng, eine klare Trennung von Kirche und Staat hat sich bis heute nicht durchgesetzt.

Zersplitterung der Ostkirchen

Der Patriarch von Konstantinopel, der im türkischen Istanbul residiert, hat zwar einen Ehrenvorsitz unter den orthodoxen Kirchen. Aber schon 1589 machte sich die russische Kirche selbständig, die im Zaren den Nachfolger der byzantinischen Kaiser sah und Moskau zum dritten Rom erklärte. In diesem Bewusstsein waren es die Zaren selbst, die den Posten des Patriarchen wieder liquidierten, um – von 1721 bis 1917 – die russische Kirche in eigener Machtvollkommenheit und mit Hilfe einer Klerikerversammlung („Heiliger Synod“) zu regieren. Seit der Oktoberrevolution gibt es in Russland wieder einen Patriarchen.

Der allmähliche, über 200 Jahre währende Niedergang des osmanischen Reiches nach der Wiener Türkenbelagerung von 1683 ließ die neuen slawischen Nationalstaaten verspätet dem russischen Beispiel folgen: 1830 erklärten die Serben, 1833 die Griechen, 1856 die Rumänen und 1870 die Bulgaren ihre kirchliche Selbständigkeit (Autokephalie) und organisierten sich unter eigenen Patriarchen.

Nach der Trennung von 1054 hatte es wiederholte Versuche gegeben, die Einheit zwischen Ost- und Westkirche wiederherzustellen (1274: 2. Konzil von Lyon, 1439: Union von Ferrara/Florenz); aber die Übereinkünfte der Kirchenspitzen blieben Papier und wurden durch die Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen 1453 hinfällig.

Unierte Kirchen erkennen Papst an

Was seither an Unionsversuchen unternommen wurde, betraf immer nur kleine Teile der orthodoxen Kirche, die meist aus politischen Gründen die päpstliche Oberhoheit anerkennen mussten und dafür ihre Riten und Kirchensprachen behalten durften (Katholische Ostkirchen).

Die mit Rom unierten Ukrainer, Rumänen, Slowaken usw. sehen sich als Brücke zur Orthodoxie, sind aber de facto ein beständiges Hindernis des ökumenischen Gesprächs zwischen der römisch-katholischen und den orthodoxen Kirchen, weil sie aus östlicher Sicht als Überläufer und keineswegs als Modellfall zukünftiger Kircheneinheit gelten. Zwar haben Papst Paul VI. und Patriarch Athenagoras 1965 die gegenseitigen Bannbullen des Jahres 1054 aufgehoben, aber daraus sind noch kaum praktische Konsequenzen gezogen worden.

Im Osten Tradition der Kirchenväter dominant

Die Verfolgung der orthodoxen Kirchen hat in unserem Jahrhundert einen Höhepunkt erreicht: 70 Jahre musste die Kirche Russlands, 40 Jahre mussten die orthodoxen Kirchen Osteuropas (übrigens auch die Unierten) im Staatsatheismus kommunistischer Prägung leben. Vom Cäsaropapismus der Anfänge über die islamische Unterdrückung bis zu dieser letzten Erfahrung wurden dem Christentum des Ostens andere Werte wichtig als dem Westen.

Freiheit, Dialektik, Apologetik (Verteidigung), alles, was dem philosophischen und juridischen Denken sowohl Roms wie seiner Gegner entsprungen war und bis heute den Stoff für Auseinandersetzungen liefert, blieb im Osten ohne Bedeutung. Hier wurde und wird die Tradition der Kirchenväter fortgeschrieben, hier wird die Ikone als Archetypus des Heiligen verehrt, hier ist die gesungene Liturgie das tragende Element sowohl der Volksfrömmigkeit als auch einer poetisch auslegenden Theologie.

Bischöfe aus Mönchsstand, Priester verheiratet

Lehrstreitigkeiten gibt es auch in der Orthodoxie, aber sie haben mit wenigen Ausnahmen nicht die Bedeutung erlangt, die ihnen im westlichen Christentum bis heute zukommt. Meditation und Mystik sind wichtiger, vielleicht auch deshalb, weil alle Bischöfe aus dem Mönchsstand kommen (nur sie sind zur Ehelosigkeit verpflichtet), während die verheirateten Diakone und Priester sich Lebensnähe und Volksverbundenheit bewahrt haben.

Die Mitgliedschaft beim Ökumenischen Rat der Kirchen war noch unter kommunistischer Herrschaft über den Ostblock zustande gekommen und entsprach damals auch dem politischen Kalkül, ein Ohr im Westen zu haben. In letzter Zeit wuchsen die Spannungen, weil die orthodoxen Kirchen die Ordination von Frauen ablehnen, die in den westlichen Kirchen der Reformation üblich geworden ist.

Weitere Aufgliederung im 20. Jahrhundert

Die vier alten Patriarchate von Konstantinopel, Alexandrien, Antiochien und Jerusalem sowie die Kirche von Zypern bestehen seit der Antike. Die wichtigste Gründung der Neuzeit ist die russisch-orthodoxe Kirche, zuerst in Kiew, dann mit dem Patriarchat von Moskau (1589 bis 1917).

Erst das vorige Jahrhundert brachte eine weitere nationale Aufgliederung der Orthodoxie in autonome Kirchen, die bis zum Zweiten Weltkrieg weiterging: Patriarchat von Sofia (1782 bis 1961), Kirche von Griechenland (1850), Kirche von Georgien (1917), Patriarchat von Belgrad (1922), Kirche der Tschechoslowakei (1922), Erzdiözese von Finnland (1923), Kirche von Polen (1924), Patriarchat von Bukarest (1925), Kirche von Albanien (1937).

300 Millionen orthodoxe Christen weltweit

Die orthodoxen Kirchen sind keine untereinander getrennten Konfessionen. Sie unterscheiden sich zwar durch ihre liturgischen Zeremonien und Liturgiesprachen, aber ihr Glaube ist derselbe. Stärker als zumeist die römisch-katholische Kirche sind sie mit nationalen Interessen verknüpft. In der Orthodoxie gab es nach den sieben gemeinsamen Konzilien der Antike kein neues, allgemein verbindliches Konzil. Seit Jahren wird ein Panorthodoxes Konzil ergebnislos geplant. Die gesamte Orthodoxie umfasst heute etwa 300 Millionen Christen und ist damit die drittgrößte christliche Gemeinschaft der Welt.

Übersichtsartikel zum Christentum

Siehe dazu auch im ORF-Religionslexikon:

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