Bibelessay zu Matthäus 22,15-21

Manche Stellen des Neuen Testaments haben sich fest im alltäglichen Sprachgebrauch eingebürgert. Dazu gehört auch die Aussage, man solle dem Kaiser geben, was des Kaisers ist.

Damit wird in der Regel die Anerkennung der staatlichen Ordnung und ihrer Organe, nicht zuletzt auch die Bereitschaft zum Zahlen von Steuern, ausgedrückt. Im konkreten Fall des Evangeliums ist damit die jährliche Kopfsteuer an den Kaiser in Rom gemeint, die aus einem Denar bestand. Auf dem sogenannten Tiberius-Denar, der zur Zeit Jesu kursierte, war der Kaiser Tiberius abgebildet, der vom Jahr 14 bis zum Jahr 37 nach Christus herrschte.

Gerhard Langer

ist katholischer Bibelwissenschaftler und Judaist

Neben dem Bild des Kaisers findet sich sein vollständiger Name, seine Titulatur, „Tiberius Cäsar, Sohn des Vergöttlichten, Augustus“. Ob es sich bei dem Steuerdenar tatsächlich um eine Münze des Tiberius gehandelt hat, oder ob eine andere Münze mit dem Abbild Cäsars gemeint ist, die damals ebenfalls im Umlauf war, bleibt unerheblich. Wichtig ist, dass Jesus erstens gegenüber seinen Kontrahenten deutlich macht, dass die Abgabe bezahlt werden soll.

Damit stellt der Evangelist auch Jahre nach dem Tod Jesu klar, dass die Jesusgemeinde sich dem Steuerboykott gegenüber Rom nicht anschloss, der am Anfang des Aufstandes gegen die Staatsmacht stand und letztlich in der Katastrophe der Zerstörung des Tempels durch die römischen Soldaten im Jahr 70 nach Christus endete. Doch enthält die Passage auch noch eine viel tiefer gehende Aussage. Denn der Spruch ist nur als gesamter verständlich: „So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört.“ Besser wäre zu übersetzen „ABER Gott, was Gott gehört“.

Lebenskunst

Sonntag, 22.10.2017, 7.05 Uhr, Ö1

Weder Cäsar noch Tiberius noch irgendein anderer Kaiser ist Gott. Die kaiserliche Autorität wird zwar anerkannt, aber sie ist lediglich eine irdische Macht, eine vergängliche Herrschaft, eine, die kommt und geht. Des Kaisers Ehre besteht in einer Münze von überaus überschaubarem Wert von, bei aller Vorsicht geschätzt, heute nicht einmal drei Euro. Die Ehre, die Gott gebührt, ist jedoch eine ganz andere. Das Abbild dieses Gottes ist der Mensch selbst. Er ist das Gepräge Gottes, ist seine wertvolle Münze.

Nach dem alttestamentlichen Buch Exodus 13 muss jeder erstgeborene Sohn mit einer speziellen Münze ausgelöst werden. Diese steht symbolisch für das Wertvollste, das Gott gehört. In der Rede Jesus schwingt dieser Gedanke mit. Jeder Mensch als Abbild Gottes sollte sich bewusst sein, dass er Gott gehört, dass all sein Handeln, all sein Denken, all sein Wissen diesem Gott dienen müssten. Damit aber werden auch die Kontrahenten Jesu auf sehr subtile Weise kritisiert. Denn ihre heuchlerische Schmeichelei und ihre trickreichen Fragen entsprechen ganz und gar nicht dem Verhalten, das sie als Kinder Gottes üben sollen.

Die zentrale Aussage der Perikope geht damit weit über die Befürwortung einer Teilung in weltliche und geistliche Belange, quasi eine Trennung von Staat und Religion, hinaus. Sie gipfelt in der Überzeugung, dass unabhängig von jeglichen irdischen Machtverhältnissen das gesamte Leben auf Gott ausgerichtet werden soll, der, wie es der Evangelist im selben Kapitel wenig später in den Versen 38-40 deutlich ausdrückt, nichts anderes will, als die Liebe des Menschen zu Gott und zum Mitmenschen.