Bibelessay zu Lukas 1, 26 – 38

Von zwei Schwangerschaften wird in diesem Festtagsevangelium erzählt. Die junge Mirijam soll ein Kind empfangen. Und ihre weit ältere Verwandte Elisabeth ist bereits guter Hoffnung.

Den Kontrapunkt bildet die erste Lesung. Dort ist von der Vertreibung der Menschen aus dem Paradies die Rede. Man mag auf den ersten Blick denken: Was gehen mich solche alten Erzählungen an? Für solche Skeptiker will ich skizzieren, wie sehr in diesen Berichten unsere eigene Menschwerdung vorabgebildet ist.

Paul M. Zulehner
ist katholischer Theologe und Religionssoziologe

Urvertrauen und Urangst

In St. Gallen in der Schweiz leitet Monika Renz die Onkologische Klinik. Sie ist Tiefenpsychologin und Theologin. In ihrer Doktorarbeit hat sie sich Gedanken darüber gemacht, wie eine Menschwerdung verläuft. Ihre erste überraschende Annahme: Wir alle kommen aus einem Paradies. Dieses ist die Tiefe Gottes. Ausgestattet sind wir von da her mit einem paradiesischen Urvertrauen. So gelangt das neue Menschenwesen in den Schoß der Mutter und hat es dort gut. Es erlebt Wärme, Geborgenheit, Sicherheit. Das Urvertrauen wird konkret und prägt den werdenden Menschen.

Dann aber wird schon im Mutterschoß nach und nach eine andere Stimmung wahrgenommen. Urangst wird gefühlt. Es ist die Angst davor, nun zur Entwicklung eines eigenen Ichs aus dem Paradies vertrieben zu sein. Neue Wirklichkeiten strömen auf das aufkeimende Menschenwesen ein: ungewohnte Geräusche von außen, das Lärmen des Kreislaufs und des Herzschlags der Mutter. Das ist die eine Seite der Urangst, sich bedroht zu erleben; es könnte zu wenig sein. Die andere Seite: die Fülle der neuen Erfahrungen, in denen der heranwachsende Embryo sich verloren fühlen kann; es könnte alles zu viel werden. Nach der Geburt werden diese beiden Seiten der Urangst noch konkreter. Kann das Neugeborene überleben, abgenabelt, vertrieben aus dem Hotel Mama, in einer kalten und bedrohlichen Welt?

Für die Liebe erschaffen

Es ist gut, um diese beiden Seiten des Anfangs zu wissen. Unzerstörbar findet sich am Grund unseres Lebens die Melodie Urvertrauen. Aber unsere Entwicklung als eigenständiges Ich macht vielfach Angst.

Lebenskunst
Freitag, 8.12.2017, 7.05 Uhr, Ö1

Die Kernfrage reifenden Menschenlebens ist daher, ob es gelingt, durch die vielgesichtige Angst hindurch unentwegt in Verbindung zu kommen mit dem uns tragenden Urvertrauen. Man kann das auch mit dem Bild aus dem Schöpfungsbericht formulieren: Inmitten des bedrohlichen Chaos der Urangst, hebräisch Tohuwabohu, muss eine Verbundenheit mit dem trittfesten Land des in uns anwesenden Vertrauens erreicht werden. Religionen zögern nicht, dieses Urvertrauen mit vielfältigen Namen des Göttlichen gleichzusetzen. Nur wenn solches Urvertrauen wächst und zumindest stärker ist als die vielgesichtigen Ängste, kann ein Menschenkind überleben. Es kann auf Grund der Verbundenheit mit dem Urvertrauen glauben, hoffen und lieben. Wenn der Mensch als Ebenbild eines liebenden Gottes letztlich allein für die Liebe erschaffen ist, kann in der Verankerung des Lebens im tragenden Urvertrauen jemand zu einem Menschen heranreifen, der liebt und Liebe schenkt.

„Fürchte dich nicht!“

Behält aber die Urangst mit ihren vielfältigen Ausformungen die Oberhand, dann greifen solchermaßen Verängstigte zu Selbstsicherungsstrategien – so die Tiefenpsychologin Monika Renz. Drei dieser Strategien nennt sie ausdrücklich: Angst, Gier und Lüge. Diese gibt es auch im politischen und gesellschaftlichen Feld. Sie heißen dort heute Terrorismus, Finanzgier und Korruption. Angst macht also böse. Nur wer von Vertrauen geprägt und getragen ist, kann solidarisch lieben.

Im Evangelium von heute kommt ein Gottesbote zur jungen Mirijam und sagt ihr, dass sie schwanger werde. Das ganze Geschehen versetzt sie, so der Evangelist einfühlsam, in Angst und Schrecken. Wieder taucht jene Angst auf, die jede und jeder vom Anfang seines Erdenlebens an in sich trägt. „Fürchte dich nicht. Hab keine Angst.“ So die Botschaft des Engels. Du kannst vertrauen. Nämlich Deinem Gott.