Bibelessay zu Matthäus 2, 1 – 12

„Binde deinen Karren an einen Stern“. Leonardo da Vinci ermunterte mit dieser schönen Aufforderung seine Zeitgenossen, wohl wissend, dass Sterne Symbolkraft haben. Sternstunden oder Highlights nennen wir besondere Augenblicke unseres Lebens. Sie ereignen sich, wenn ein Ziel erreicht, ein Wunsch erfüllt wurde oder etwas geglückt ist.

Sterne haben die Menschen von jeher fasziniert. Schon sehr früh in der Geschichte der Menschheit wurde der Himmel sorgsam und systematisch beobachtet. Man geht heute davon aus, dass die Urheimat der Sternenkunde in der sumero-babylonischen Kultur anzusiedeln ist und bis ins 3. vorchristliche Jahrtausend zurückgeht.

Anna Hennersperger
ist Direktorin des Bischöflichen Seelsorgeamts der katholischen Diözese Gurk-Klagenfurt

Ein neuer Stern

Auch die Sternkundigen aus dem Orient folgen einem Stern. Es ist nicht irgendein Stern. Es ist sein Stern, wie es im Evangelium heißt. Jesu Stern hat sie in Bewegung gebracht. Er orientiert die Männer aus dem Orient. Er leitet sie auf ihrer langen und spannenden Reise, deren genauen Zielort sie nicht kennen. So geschieht es, dass sie dann zuerst einmal in Jerusalem ankommen. Im Zentrum der Macht. Sind sie damit am Ziel? Das könnte man auf den ersten Blick meinen. Im Zentrum der Macht – so sehen es manche Menschen - ist man am Ziel.

Im Zentrum der Macht geht es jedoch vor allem um den Machterhalt. Das erfahren die Magier in Jerusalem bei dessen Machthaber. Herodes steht für die alte Welt. In ihr geht es um Herrschaft, Einfluss, Erfolg, Gewinn und viele Follower würde man heutzutage sagen. Herodes versucht deshalb folgerichtig und taktisch geschickt, die Durchreisenden für seine Interessen zu instrumentalisieren. In seiner Welt kommt zwar die Botschaft an, dass vor den Toren Jerusalems ein neuer Stern am Aufgehen ist. Dass dieser aber für eine andere Wirklichkeit steht, für die Wirklichkeit Gottes, das dringt in die alte Welt nicht durch. Das bedroht sie lediglich. Die Weisen aber sind nicht auf der Suche nach Macht, sondern nach dem König ihres Herzens. Weil sie ihren Lebenskarren an einen guten Stern gebunden hatten, konnte sie der König nicht vor seinen Karren spannen.

Wahre Sternstunden

In den Sternkundigen kann ich mich selber erkennen und finden. Unterwegs auf der Lebensreise, unruhig, ahnend und hoffend, vielleicht gottsuchend. Nicht Karte und Kompass sind auf diesem Weg nötig. Entscheidend ist die Sehnsucht des eigenen Herzens. Die Versuchung, den je eigenen Stern der Lebensberufung aus dem Auge zu verlieren und sich stattdessen an die Herrschenden und Mächtigen zu halten, kann jeden und jede überkommen. Man kann auf der richtigen Spur bleiben, indem man bisweilen innehält, den Standort wahrnimmt und überprüft und dann gegebenenfalls – wie die Weisen – wieder auf den Weg zurückzukehrt, den der Stern weist. Keine Macht und keine Mächtigen der Welt sollten uns daran hindern, die Fährte der Sehnsucht aus den Augen zu verlieren und dem Stern der Gottsuche auf der Spur zu bleiben.

Lebenskunst
Samstag, 6.1.2018, 7.05 Uhr, Ö1

Die Sehnsucht ist uns von Gott selbst ins Herz gepflanzt worden. Denn die Sehnsucht Gottes ist der Mensch – so der Heilige Augustinus. Und deshalb kommt, wer Gott sucht, immer unweigerlich beim Menschen an. Deshalb finden die Sterndeuter am Ziel ihrer Reise nichts als ein hilfloses Kind. Das ist die anregende weihnachtliche Botschaft, die durch dieses Jahr begleiten und leiten kann: Wer Gott sucht, kommt immer beim Menschen an, bevorzugt bei den Armgehaltenen und Ohnmächtigen. Es gibt keinen anderen Weg.

Der Theologe Karl Rahner hat dies in die Kurzformel gebracht: Rede von Gott ist Rede vom Menschen. Wer Gott sucht, kommt am Menschen nicht vorbei. In jedem Menschen, so wie er ist, in aller Unverstelltheit, wird etwas vom Geheimnis Gottes erfahr- und erahnbar. Vielleicht sind das die wahren Sternstunden: In den Augen derer, die es in vielfältiger Weise im Leben schwer haben, das Antlitz Gottes zu erkennen.