Bibelessay zu Markus 1, 14 – 20

Johannes der Täufer und Jesus gehörten zusammen. Jedes der vier Evangelien nennt ihre Verbindung. Sie reicht über die Geschichte am Jordan hinaus, wie dieser Text des Markus zeigt. Denn offenbar trägt Jesus weiter, was bei Johannes Kern seines Lebens und seiner Worte war: Man durfte nicht mehr so weitermachen wie bisher.

Apokalyptische Zeichen waren schon zu lesen, wenn man genau hinsah, Zeichen radikaler Zäsuren. Johannes hatte sie benannt, und er machte auch kein Hehl daraus, dass die seichten oder drohenden Worte, die auf den Erhalt der Kontinuität drängten, dunklen Interessen dienten. Interessen der Macht, Interessen der Korruption, Interessen des Betrugs – mit einem Wort: Interessen, die sich gegen Gott und gegen seine Geschöpfe richteten.

Wolfgang Treitler
ist katholischer Theologe und Judaist

Die Bedeutung von Umkehr

Johannes kostete seine Botschaft das Leben. Doch die Botschaft ging weiter. Jesus nahm sie mit sich hinauf nach Galiläa. Ob er Schüler des Johannes war, ist unbekannt. Dass er jedenfalls in dessen Tradition gelernt hatte und diese mit seiner Zeit verband, ist sicher. Eins mit Johannes war der Ansatz bei der Umkehr, eins mit Johannes auch ihr Motiv: die Nähe des Gottesreiches. Das wieder bezeugt eine glasklare messianische Erwartung und Haltung.

Nur von ihr aus wird ein wenig fassbar, was Umkehr bedeutet – oder auch nicht bedeutet: Sie bedeutet nicht, dass man ein wenig oder ein wenig mehr ändert. Sie bedeutet nicht, alte Scharten auf dem Kerbholz auszumerzen und das Holz zu renovieren. Umkehr bedeutet auch nicht, auf dem Lebensweg irgendwo abzuzweigen, jetzt, morgen oder übermorgen, und einen neuen Weg zu gehen.

Lebenskunst
Sonntag, 21.1.2018, 7.05 Uhr, Ö1

Umkehr im genauen Sinn bedeutet zweierlei: die dramatische Einsicht annehmen, dass man in eine Sackgasse gekommen ist und an ihrem Ende ansteht. Kein Weg mehr. Im Englischen wird eine Sackgasse bezeichnenderweise Dead End genannt. Willst du weiter, wirst du tödlich enden.

Rasen bis zum Abgrund

Zweitens bedeutet Umkehr nichts weniger, als sich um 180 Grad zu wenden und den peinlichen, auch peinigenden Weg zurück zu gehen an eine Stelle, die endlich wieder einen Weg freigibt. Umkehr schließt damit auch ein, dass man nicht nur den falschen Weg gegangen ist, sondern mit ihm auch Lebenszeit verloren hat, auch wenn sie nicht ganz vergeblich gewesen sein wird. Denn auch auf falschen Wegen entstehen Einsichten. Doch sind sie sekundär gegenüber dem, was an guter Zeit vergeben wurde.

Johannes der Täufer und Jesus hatten es eilig. Die Zeiten drängten. Vor allem das anstehende, unmittelbar bevorstehende Reich Gottes drängte. Umkehr ist darum nicht mehr primär eine moralische Frage. Umkehr ist zur Zeitfrage geworden, zur drängenden Zeitfrage, ja vielleicht zur drängendsten Frage überhaupt, die sich stellt: damals in den Tagen des Johannes und Jesu, als die Römer und ihre Kollaborateure dem Land das Leben auspressten – und heute, da Ideologien der Beschleunigung und der Ausbeutung von allem und jedem, vor allem Ideologien der Ausbeutung der Lebenszeit Opfer verlangen, die unmenschlich und widergöttlich sind. Es ist, als rast die globalisierte Welt mit blinder Wut in einer Sackgasse aufs Dead End zu, und jeder will der Erste im Ziel sein. Doch dahinter wird es keinen Auslauf geben, sondern eine Wand oder einen Abgrund.

Wenn der Umweg weiter führt

Was tun? Um 180 Grad umzudrehen, klingt illusorisch. Der Sog reißt einen mit. Und die Boten, die heute von Umkehr reden, verlieren ihre Stimme im Getöse des Temporausches.

Was also tun? Zumindest bremsen. Einhalten. Die Sturmfahrt unterbrechen. Die Mittel dazu sind alt, und sie sind an der Hand. Es sind die Mittel der biblischen Überlieferung und unter ihnen das hervorragendste, nämlich das Gebet: Wer betet, heult nicht mit den Ideologen der Beschleunigung mit, sondern suspendiert die Wucht ihrer Propaganda.

Wer betet, glaubt nicht an die bezwingende Allmacht der Märkte und der Technik, sondern an Gott und den Mitmenschen und unterwirft sich daher nicht den zeitgenössischen Dominanten. Wer betet, bewahrt zumindest das unruhige Bewusstsein, dass Umkehr notwendig und dass Umkehr möglich ist. Aussteigen und zurückgehen an eine Stelle, die endlich wieder einen Weg freigibt. Manchmal führt erst der Umweg wirklich weiter.