Die Weiße Rose

Vor 75 Jahren wurde das Geschwisterpaar Sophie und Hans Scholl am sogenannten Volksgerichtshof in München von den Nazis wegen Feindbegünstigung und Hochverrat zum Tode verurteilt. Kurz darauf wurden sie durch das Fallbeil enthauptet.

In einem ihrer Flugblätter, die sie verteilten, und die ihnen schließlich das Leben kosteten, finden sich folgende Sätze:

Thomas Hennefeld
ist evangelisch-reformierter Landessuperintendent in Österreich

Widerspruch zum christlichen Denken

„Überall und zu allen Zeiten der höchsten Not sind Menschen aufgestanden, Propheten, Heilige, die ihre Freiheit gewahrt hatten, die auf den Einzigen Gott hinwiesen und mit seiner Hilfe das Volk zur Umkehr mahnten. Wohl ist der Mensch frei, aber er ist wehrlos wider das Böse ohne den wahren Gott, er ist wie ein Schiff ohne Ruder, dem Sturme preisgegeben, wie ein Säugling ohne Mutter, wie eine Wolke, die sich auflöst.“

Das sind Worte, die einen tiefen religiösen Geist atmen und die Handschrift der Geschwister Scholl tragen. Dabei waren die Beiden keine geborenen Widerstandskämpfer. Im Gegenteil: Das Geschwisterpaar, obwohl geprägt durch eine liberal-evangelisch-christliche Erziehung, war durchaus angetan vom nationalsozialistischen Gemeinschaftsgedanken. Aber bald mussten sie feststellen, dass ihr christliches Denken im Widerspruch zur totalitären NS-Ideologie stand. Es war ein Prozess, den die beiden durchliefen, der sie schließlich zu erbitterten Gegnern des NS-Regimes machte.

Böses Gewissen

Es blieb aber nicht bei stiller Empörung. Diese mündete in konkretes Handeln. So entstand die Widerstandsgruppe Weiße Rose, der das Geschwisterpaar Scholl und befreundete Studenten angehörten. Vom Sommer 1942 bis zum Beginn des Jahres 1943 stellte die Gruppe insgesamt sechs Flugblätter her, kopierte und verteilte sie, wo immer sie dazu die Möglichkeit hatte. Die Gruppe rief in ihren Flugblättern zuerst zum passiven Widerstand auf, später ganz unverhohlen zur Beseitigung der NS-Diktatur, z.B. durch Sabotageaktionen. Die Mitglieder der Gruppe wollten den Landsleuten die Augen öffnen für die Verbrechen des Regimes an Juden und an anderen zu Untermenschen erklärten Volksgruppen, - auch für die Verbrechen am eigenen Volk. Das vierte Flugblatt endet mit dem Satz: „Wir schweigen nicht, wir sind Euer böses Gewissen, die Weiße Rose lässt Euch keine Ruhe!“.

Zwischenruf
Sonntag, 18.2.2018, 6.55 Uhr, Ö1

Im Februar 1943 flog die Widerstandsgruppe auf. Am 18. Februar 1943, also heute vor 75 Jahren, wurde Sophie Scholl bei einer Flugblattaktion in der Münchner Universität ertappt und der Gestapo übergeben.

„Wenn nicht Christus gelebt hätte...“

Ich frage mich, woher die Mitglieder der Gruppe die Kraft bezogen haben für diese aufreibende und lebensgefährliche Tätigkeit. Was das Geschwisterpaar Scholl betrifft, findet sich eine entscheidende Antwort in persönlichen Aufzeichnungen und in den Vernehmungs-und Prozessprotokollen.

In einer Tagebuch-Eintragung von Hans Scholl vom 28. August 1942 ist zu lesen:

„Wenn nicht Christus gelebt hätte und nicht gestorben wäre, gäbe es wirklich gar keinen Ausweg. Dann müsste alles Weinen grauenhaft sinnlos sein. Dann müsste man mit dem Kopf gegen die nächste Mauer rennen und sich den Schädel zertrümmern. So aber nicht.“

Zeugen des Prozesses und der Hinrichtung haben Sophie und Hans Scholl auf ihrem letzten Weg als klar, ruhig, gelassen und tapfer beschrieben. Das alles ist 75 Jahre her. Warum sollen wir uns das Schicksal der Geschwister Scholl und ihren Mitstreitern ins Gedächtnis rufen?

Zivilcourage heute

Weil das Geschwisterpaar Scholl zu den wenigen gehörte, die aus ihrer Glaubensüberzeugung erkannten, was böse war; weil sie Zivilcourage zeigten, die es auch heute braucht, wo wir unter ganz anderen Umständen leben. Der Mensch kann sich an vieles gewöhnen und was gestern noch als pervers und absurd erschien, kann morgen schon die Norm sein. Genau dagegen hat sich das Geschwisterpaar Scholl gewandt, gegen die Normalisierung des Grauens. Wo rechtsstaatliche Instanzen nicht ernst genommen, demokratische Strukturen ausgehöhlt und die Pressefreiheit angegriffen wird, da sollten die Alarmglocken läuten. In Teilen Europas ist es schon so weit gekommen, ohne dass es zu einem lauteren Aufschrei geführt hätte.

Heute sind wir nicht an Leib und Leben gefährdet. Um wieviel mehr sollten Menschen da ihre Stimme erheben gegen Unrecht und Lüge, Menschenverachtung, Niedertracht und Hetze gegen andere Menschen und ganze Menschengruppen!

Um feststellen zu können, ob diese erworbenen demokratischen Werte, auf die wir zu Recht stolz sind, in Gefahr geraten, braucht es einen klaren Geist und einen festen Glauben. Und es braucht Mut, sich auf Konflikte einzulassen und keine Angst davor zu haben, Kritik, Spott oder gar Hass auf sich zu ziehen. Da können Sophie und Hans Scholl auch heute leuchtende Vorbilder sein.