Bibelessay zu Johannes 10, 11 – 18

Die Rede Jesu vom guten und vom schlechten bezahlten Hirten ist im Johannes-Evangelium mitten hinein geflochten in äußerst scharfe Auseinandersetzungen, die Jesus mit den religiösen Führern seiner Zeit geführt hat.

Mehrfach findet sich vor und nach dieser „Hirten-Rede“ die Erwähnung, dass das damalige politisch-religiöse Establishment Jesus unschädlich machen wollte und ihm nach dem Leben trachtete. Es liegt deshalb nahe, Jesu Rede vom unzuverlässigen Mietknecht als Polemik gegen genau diese religiöse Beamtenschicht zu lesen. Jesus wirft ihr vor, sie kümmere sich mehr um die Erhaltung von Machtverhältnissen und hierarchischen Strukturen, um persönliches Ansehen und um ihre Einflusssphären als um ihre eigentliche Kernaufgabe: die religiöse Inspiration, die Begleitung und Sorge für die ihnen anvertrauten Menschen.

Markus Schlagnitweit
ist katholischer Theologe, Hochschul- und Künstlerseelsorger der Diözese Linz

Erinnerung an Jesus

Ein Blick in die Religionsgeschichte zeigt: Diese scharfe Kritik trifft nicht nur ein Problem des Judentums zur Zeit Jesu. Nein, sie hat Geltung für alle Religionen, die eine hierarchisch herausgehobene, professionelle Beamtenschaft kennen. Allgegenwärtig ist hier einfach die Gefahr, dass amtliche Strukturen und gesetzliche Regelungen, die ursprünglich vielleicht der besseren Entfaltung und Förderung einer Religion und ihres Vollzugs dienen sollten – dass solche Strukturen zum Selbstläufer werden und nur noch dem Selbst- und Machterhalt ihrer Amtsträger dienen. – Man erinnere sich an die medial viel beachteten Scheltreden über typisch „kuriale Krankheiten“, mit welcher Papst Franziskus anlässlich seiner jährlichen Weihnachtsempfänge der römischen Kurie wiederholt ans Zeug geflickt hat; er schlug damit in genau dieselbe Kerbe wie die Polemik Jesu gegen die bezahlten Knechte, und man darf vermuten: Jesus würde seine Kritik heute wohl nicht weniger scharf formulieren wie zu seiner Zeit, und er würde damit vielleicht in einen nicht weniger unversöhnlichen Konflikt geraten mit der heutigen klerikalen Beamtenkaste als damals.

Lebenskunst
Sonntag, 22.4.2018, 7.05 Uhr, Ö1

Ich sage das im vollen Bewusstsein dessen, dass ich selbst der bezahlten Beamtenschaft meiner Kirche angehöre, also selbst Adressat von Jesu Polemik bin. Und gerade ein Weltgebetstag für geistliche Berufe, den meine Kirche heute in einer Phase der Kirchengeschichte begeht, in welcher das Amtspriestertum in vielen Weltregionen alleine schon zahlenmäßig in einer unleugbar schweren Krise steckt – ein solcher Weltgebetstag muss Anlass zu selbstkritischen Fragen geben: Welche Formen des geistlichen Hirtenamts sind überhaupt sinnvoll? Welche kirchlichen Ämter sind dem Evangelium wirklich dienlich und seinem Geist entsprechend?

Ich habe darauf keine fertigen Antworten, aber doch ein paar Anregungen für den heutigen Weltgebetstag: Es geht nicht etwa darum, um möglichst viele Priester zu beten, sondern um möglichst vom Geist des Evangeliums beseelte – und insofern „geistliche“ – Menschen! Das Gebet soll auch nicht darum gehen, dass die Geistlichen die Aufgaben ihres Amtes möglichst gut und treu erfüllen können, sondern vielmehr darum, dass ihnen die vitale und (selbst-)kritische Erinnerung an Jesus nie verloren gehe, dem es doch nie um die Errichtung einer unveränderlichen Kirche oder um die Ausformung einer bestimmten Amtshierarchie ging, sondern um die Zusammenführung von Menschen auf einen gemeinsamen Weg im Sinne des Evangeliums! Schließlich gilt es auch nicht, für die Kirche selbst und um ihren Erhalt zu beten, sondern darum, dass sie stets nur ein Mittel in der Verkündigung des Evangeliums bleibe, dass sie sich also nie selbst mit dem Gottesreich verwechsle und so zum Selbstzweck korrodiere!