Passion – Leiden und Leidenschaft

Passion ist das Thema der diesjährigen Salzburger Festspiele. Das Wort Passion hat bekanntlich zwei Bedeutungen: Das Leiden der Menschheit und die menschlichen Leidenschaften, und beides wird in Salzburg in Worten und musikalischer Gestaltung als Drama, Oratorium und Oper zu Gehör gebracht.

Zwischenruf 29.7.2018 zum Nachhören:

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Leiden und Leidenschaft scheint etwas Verschiedenes zu sein, aber ich sehe das anders. Leiden und Verzweiflung können genauso an die Grenze der Existenz gehen wie eine Leidenschaft, die in Raserei verfällt, sei es ein Liebesrausch oder ein Gerechtigkeitsfanatismus. In beiden Fällen erleiden Menschen etwas, das sie nicht im Griff haben.

Doppelgesicht

Von Liebe und Leid, Glück und Unglück, von Sterben und Hoffen aufs Paradies erzählen viele Romane, Gedichte und Mythen, die sich um das Rätsel Mensch ranken. „Ungeheuer ist vieles, doch nichts ist ungeheuerer als der Mensch“, so spricht der Chor in Sophokles Tragödie „Antigone“, „begabt mit der Klugheit erfindender Kunst, geht zum Schlimmen er bald und bald zum Guten hin“. Letztlich bleibt es ein Rätsel, warum Menschen zu großen Leistungen fähig sind, zu liebevoller Hingabe, aber auch zu Grausamkeiten und schauderhaften Verbrechen.

Dieses Doppelgesicht des Menschen ist auch der Bibel nicht fremd. Der Mensch ist Gottes Ebenbild, so heißt es am Anfang in der Schöpfungserzählung. Ebenbild bedeutet im Hebräischen wörtlich Statue, etwa die Statue eines Königs, die ihn als Stellvertreter der Gottheit auf Erden ausweist. Nach Genesis 1 aber sind alle Menschen, männliche und weibliche, solche Statuen, somit Stellvertreter Gottes auf Erden. Damit hat Gott die Verwaltung der Erde, des Bodens, des Klimas, des gesellschaftlichen Zusammenlebens in unsere Verantwortung übergeben. Und wir sind Gott „ähnlich“ in unserer Fähigkeit zu gestalten, mit allem Geschaffenen kreativ umzugehen – in Wissenschaft und Technik, Politik und Kunst.

Susanne Heine
ist am Institut für Praktische Theologie und Religionspsychologie und an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien tätig

Die andere Seite der Medaille findet sich in Genesis 3. Der Baum, von dessen Früchten die Menschen nicht essen dürfen, steht für den Bereich Gottes, für das Ewige und Vollkommene, und den Menschen nicht zur Verfügung. Aber die Menschen werden leicht „übergriffig“, wollen haben, was ihnen nicht gehört und „sein wie Gott“. Sie können zu Fanatikern werden, die unter dem Deckmantel der guten Absicht die Welt von allem Bösen reinigen und das Paradies auf Erden errichten wollen. Daraus folgen im schlimmsten Fall Inquisitionen, Genozide oder totalitäre Systeme, die über Leichen gehen. Solche Erfahrungen musste die Menschheit machen und das ist leider nicht vorbei.

Rausch der Hoffnung

Ich zähle Sie, die zuhören, und auch mich nicht zu Fanatikern oder Verbrechern, und doch halten solche alten Texte eine Selbsterkenntnis bereit: Bei aller Freiheit sind uns Grenzen gesetzt: Unsere kreativen Fähigkeiten, unsere Vernunft, unsere Moral sind nicht nackt, sondern immer bekleidet durch Herkunft, Familie, Geschichte; durch das leibliche Dasein, durch körperliche Zustände, Affekte und unbewusste seelische Dynamiken; und nicht zuletzt durch persönliche oder politische Interessen, die Neid, Intrige und Missgunst hervorbringen können. Von dem allen erzählen viele Romane, Gedichte und Mythen, die sich um das Rätsel Mensch ranken.

Zwischenruf
Sonntag, 29.7.2018, 6.55 Uhr, Ö1

Dabei wird es wohl bleiben. Aber es gibt eine Erzählung, die einen Ausweg verspricht: die Passion, die Leidenschaft Gottes für seine Geschöpfe. Das Kreuz, das für die Leiden der Menschheit steht, wird durchsichtig für einen Gott, der zu neuem Leben erweckt, wie er die Welt aus dem Nichts geschaffen hatte. Das Vertrauen in diesen Gott kann die Grenzen, in die die Menschheit gesetzt ist, ent-grenzen in einen Rausch der Hoffnung. So endet die fulminante Lukaspassion von Krzysztof Penderecki, die in Salzburg aufgeführt wird, mit Psalm 31: „Ich aber, Herr, hoffe auf dich und spreche: Du bist mein Gott!“