Papst zwischen Reform und Ketzerei

Es scheint fast, als tobte im Vatikan ein Krieg um Papst Franziskus und seine Reformbemühungen. Kardinäle äußern sich offen kritisch zu seinen Entscheidungen, einige Konservative werfen ihm gar Häresie vor. Der Versuch einer Einordnung zwischen „Dubia“ und „Correctio“.

Seit seinem Amtsantritt im März 2013 ist Franziskus der erklärte Liebling offener und reformhungriger Katholiken, auch nicht religiöse Menschen finden den Argentinier sympathisch. Doch es tritt immer klarer zutage, dass Teile der Kirche das ganz anders sehen. Mit seinem Bemühen, die katholische Kirche zu reformieren und stärker mit der Lebenswirklichkeit moderner Menschen in Einklang zu bringen, eckt der Papst bei Konservativen an.

„Zweifel“ an Papst-Schreiben

Spätestens als vier Kardinäle im November 2016 mit einem Brief an die Öffentlichkeit gingen, worin sie „Zweifel“ („Dubia“) an Inhalten des Papst-Schreibens „Amoris laetitia“ äußerten, war klar: Dieser Papst hat offensichtlich nicht die volle Unterstützung seiner Kirche hinter sich. Er selbst schwieg dazu bis heute.

Papst Franziskus

Reuters/Alessandro Bianchi

Kritiker werfen Papst Franziskus sogar Häresie vor

Ende September 2017 erschien dann das in mehreren Sprachen im Internet veröffentlichte Protestschreiben „Correctio filialis de haeresibus propagatis“ („Kindliche Zurechtweisung über die Verbreitung von Häresien“). Darin werfen rund 60 Laien, Theologen und Priester dem Papst vor, in „Amoris laetitia“ häretische Standpunkte zu Ehe, Moral und Sakramentenlehre zu vertreten.

Heißes Eisen Kommunion

Was war geschehen? Franziskus hatte nach der Bischofssynode zu Ehe und Familie im Vatikan im Oktober 2015 in dem apostolischen Lehrschreiben „Amoris laetitia“ - mehr oder weniger in einer Fußnote - vorgeschlagen, es könne einen barmherzigen Umgang mit katholischen wiederverheirateten Geschiedenen geben. Gemeint war damit vor allem der Zugang zur Kommunion - ein sehr heißes Eisen, denn für konservative Katholiken ist und bleibt die Strafe für den „Ehebruch“ der Ausschluss von den Sakramenten.

Das rief umgehend Kritiker auf den Plan. „Dirty Campaigning“ nannte der Salzburger Theologe Dietmar W. Winkler die Art des Vorgehens gegen das Oberhaupt der katholischen Kirche aus den eigenen Reihen. Der Professor an der Universität Salzburg ist unter anderem Berater im Päpstlichen Rat für die Einheit der Christen. „Amoris laetitia“ drücke ja den Willen der Bischofssynode zu Familie und Ehe aus, die im Oktober 2016 stattfand, sagte Winkler gegenüber religion.ORF.at. Das mache die Vorwürfe der Häresie gegen den Papst persönlich so „infam“.

Kein Dogma gebrochen

Franziskus hatte kein Dogma gebrochen oder eine Änderung der Sakramententheologie angeregt - lediglich ein genaues Hinsehen auf die jeweils konkrete Lebensrealität und ein „barmherzigerer“ Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen lassen sich aus dem Papst-Schreiben ableiten. Diesem „zutiefst christlichen pastoralen Anliegen“ stehe der „sakramententheologische Formalismus der Konservativen“ gegenüber, sagte der Salzburger Kirchenhistoriker. Manche hätten eben lieber klare Vorgaben.

Es gelte aber, die Gewissen zu bilden, und nicht, diese zu ersetzen, wie Franziskus in Punkt 37 von „Amoris laetitia“ festhalte. Franziskus habe versucht, einen „seelsorgerlichen Weg“ zur Lösung des Problems der wiederverheirateten Geschiedenen zu bekräftigen, „aber auch er warnt vor billigen Lösungen“.

„Leerstelle“ in Papst-Schreiben

Schon Johannes Paul II. habe die unterschiedlichen Situationen von wiederverheirateten Geschiedenen differenziert in den Blick genommen, aber keine Öffnungslizenz erteilt, so der Theologe und Vorstand des Instituts für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Universität Wien, Jan-Heiner Tück, zu religion.ORF.at. Der Theologe erinnerte auch an die „Fünf Aufmerksamkeiten“, eine in der Erzdiözese Wien entwickelte Handreichung zur Seelsorge, die in „Amoris laetita“ über die deutsche Sprachgruppe bei der Synode von 2016 Eingang fand.

„Franziskus spricht weder eine generelle Lizenz noch ein generelles Verbot aus“, sagte Tück. Er schaffe „keine neue, auf alle Fälle anzuwendende generelle gesetzliche Regelung kanonischer Art“, schreibt Papst Franziskus selbst in Punkt 300 des Lehrschreibens. Aber er generiere damit „eine Leerstelle, die Spielraum lässt für die pastorale Praxis, die komplexen Einzelfällen gerecht wird. Seine Kritiker sehen darin Traditionsbruch oder sogar Häresie“, gab Tück zu bedenken.

„Papst noch nie so persönlich angegriffen“

Zur Form der Vorwürfe sagte der Salzburger Theologe Winkler, es habe auch gegen die Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. „kritische Erklärungen gegeben, aber nie wurde ein Papst so persönlich angegriffen“, so Winkler. Besonders eigenartig mute an, dass gerade Kardinäle wie Raymond Leo Burke und Walter Brandmüller sowie die Unterzeichner der „Correctio“, die vor Franziskus gerne absoluten Gehorsam gegenüber dem Papst-Amt gefordert hatten, diesem nun persönlich vorwerfen, „auf direkte oder indirekte Weise“ häretische Standpunkte zu vertreten.

Der ehemalige Kölner Erzbischof Joachim Meisner

APA/AP/Volker Wiciok

Der mittlerweile verstorbene „Dubia“-Mitverfasser Kardinal Joachim Meisner

Anders als die „Dubia“-Anfrage der vier Kardinäle, von denen zwei, der deutsche Kardinal Joachim Meisner und der italienische Kardinal Carlo Caffarra, mittlerweile gestorben sind, misst der Vatikan-Berater dem Protestschreiben der Laien vom September weniger Gewicht zu: „Kritik und Anfragen müssen immer erlaubt sein. Aber eine intensive theologische Auseinandersetzung mit dieser ‚Correctio‘, einem Stilmittel, das zuletzt im frühen 14. Jahrhundert angewendet wurde, wäre eine zu große Wertschätzung dieses Textes.“

„Päpstlicher als der Papst“

Auch der Wiener Theologe Tück sieht in dem Schreiben eine „Anmaßung, päpstlicher als der Papst sein zu wollen“ - die „Correctio“ sei vor allem eine gezielte Provokation. Zugleich wies Tück aber auch auf eine nicht unproblematische Entwicklung hin, die sich durch die von Franziskus angestoßene Dezentralisierung neuerlich abzeichne.

Die Ausführungsbestimmungen zu „Amoris laetita“ durch die Bischofskonferenzen der Länder habe zu unterschiedlichen Regelungen geführt: „In Polen ist verboten, was in Belgien in Einzelfällen zugestanden wird. Die Leerstelle wird unterschiedlich besetzt - und es zeichnen sich feine Risse ab.“ Die verstärkte Verantwortlichkeit der Ortskirchen führt so zu uneinheitlicheren Bestimmungen in der katholischen Weltkirche.

Papst mit Netzwerk

Aber Franziskus steht bei aller Kritik nicht alleine da. „Es gibt im Vatikan jetzt Leute, die durchatmen, und auch andere, die um ihre Karrieren fürchten“, erläuterte Winkler. Der Papst habe aber ein großes Netzwerk, etwa unter den Jesuiten, darunter den neuen Leiter der Glaubenskongregation, Luis Francisco Ladaria Ferrer.

Sendungshinweis

„Orientierung“ widmet sich dem Thema Kritik an und Unterstützung für Papst Franziskus am Sonntag um 12.30 Uhr in ORF2. Im Studio ist Pastoraltheologe Paul Zulehner, Mitbegründer der Initiative „Pro Pope Francis“, zu Gast.

Ob die von Franziskus vorgenommenen Neubesetzungen wichtiger Posten ausreichen würden, im nächsten Konklave für die Wahl eines ähnlich gesinnten Nachfolgers zu sorgen, kann Winkler nicht beantworten: „Das weiß man nie.“ Die Aktion „Pro Pope Francis“, initiiert vom Wiener Pastoraltheologen und Werteforscher Paul Zulehner, sammelt Unterschriften zur Unterstützung von Franziskus - rund 50.000 sind es bisher. Diese Aktion sei „sehr ansprechend, weil sie positiv formuliert ist und damit Franziskus stärkt“, sagte Winkler.

Keine Gefahr eines „Papa haereticus“

Auch Theologe Tück sieht keine Gefahr, dass Franziskus als „Papa haereticus“, also als ketzerischer Papst, diffamiert werden könnte. Dazu habe sich Franziskus zu gut abgesichert: „Zwei Drittel des Weltepiskopats haben dem Abschlussdokument zugestimmt.“ Er könne sich stets auf die Synode berufen.

Papst Franziskus und Bischöfe während der Familiensynode

Reuters/Max Rossi

Die meisten Bischöfe stimmten dem Abschlussdokument der Familiensynode zu

Ob es sich bei den Auseinandersetzungen um den Papst wirklich um einen „Untergrundkrieg“ handle, wie der Autor und Vatikanist Marco Politi unlängst sagte, sei dahingestellt. Richtungskämpfe in der Kurie gebe es sicherlich, so Experte Tück. „Dubia“-Kardinal Brandmüller wiederholte seine kritischen Positionen erst kürzlich in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, auch von Burke, einem der schärfsten Kritiker von Franziskus’ Kurs, ist wohl noch mehr zu erwarten.

Einstweilen könnten Franziskus’ Gegner hoffen, dass „der Widerstand den Papst ermüdet“, so Winkler. Einige wollen die Amtszeit Jorge Mario Bergoglios wohl einfach aussitzen: Er selbst kündigte schon öfter an, er werde nicht lange Papst sein. Die angegriffene Gesundheit des 80-Jährigen, dem bereits in jungen Jahren ein Lungenflügel entfernt wurde, trägt zu Spekulationen über einen Rücktritt nach dem Vorbild seines Vorgängers Benedikt XVI. bei. Dann könnte die Kirche, nach der Wahl eines weniger reformfreudigen Papstes, wieder zur Tagesordnung übergehen.

Johanna Grillmayer, religion.ORF.at

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