Adolf Holl und das rebellische Leben
Der gerne als „Kirchenrebell“ titulierte Holl war über 20 Jahre lang katholischer Priester, bevor er sich entschied, mit seinen Erfahrungen und Meinungen, unter anderem zu Sexualität und Zölibat, an die Öffentlichkeit zu gehen. Nun zieht eine neue Biografie die „Bilanz eines rebellischen Lebens“.
Denken in Zyklen und Zeitaltern
Autor Harald Klauhs über den Denkstil seines Protagonisten: „Adolf Holl denkt in Zyklen und Zeitaltern. Mit den Ewigkeiten hält er’s nicht so.“ Entsprechend gliedert auch der Autor die Biografie des „Kirchenrebellen“ in Kapitel wie „Spätantike“, „Christianisierung“, „Säkularisierung“ und so weiter. Jede historische Epoche wird so mit einem Lebensabschnitt Holls verschränkt.
Sein kirchenkritischer Bestseller „Jesus in schlechter Gesellschaft“ von 1971 kostete den langgedienten Kaplan Holl die Lehrbefugnis, seitdem tritt er immer wieder als kritischer, aber dem Katholischen weiter verbundener Renegat auf. Die Frage nach der Sexualität in Bezug auf die Religionen gehört zu seinen immer wiederkehrenden Themen.
Residenz Verlag
Buchhinweis
Harald Klauhs: Holl. Bilanz eines rebellischen Lebens. Residenz Verlag, 368 Seiten, 28 Euro
„Outing“ im Fernsehen
„Ich war derjenige Schnipfer (Lausbub, Anm.), der als Erster gesagt hat, den Zölibat gebrochen zu haben.“ Dieses „Outing“ (Klauhs) fand 1975 im Rahmen eines Fernsehinterviews statt - der Endpunkt in „einer Reihe von öffentlichen Provokationen, mit denen Adolf Holl über Jahre hinweg die fromme Kirchengemeinde und ihre Hirten traktiert hatte“, so Klauhs.
Ein Dreivierteljahr nach der Ausstrahlung des Gesprächs wurde er vom Wiener Erzbischof Kardinal Franz König vom Priesteramt suspendiert. Die Lehrberechtigung an der Universität Wien hatte er schon 1973 verloren.
Pfarrstunde statt Deutsches Jungvolk
Das Buch begibt sich auf Spurensuche in Sachen Religion und Katholizismus schon in der Zeit vor Holls Geburt. Es skizziert die Atmosphäre, in die er hineingeboren wurde und in der er aufwuchs, als „der Katholizismus in Österreich drauf und dran“ war, „ein Revival als Staatsreligion zu erleben“. Eine schwere Erkrankung in der frühen Kindheit überlebte Holl, auch dank der Fürsorge seiner alleinerziehenden Mutter Josefine. Während der Nazizeit schickte sie ihn lieber in die Pfarrstunde als zum Deutschen Jungvolk.
Mit dem Nationalsozialismus und namentlich Adolf Hitler beschäftigte sich Holl immer wieder intensiv. Sein Biograf Klauhs gibt seinem eigenwilligen Schreibstil und seinen „Bewusstseinssystemen“ viel Raum und geht den starken Prägungen von Jugend und Kindheit Holls nach: „Die Schattensysteme seiner Jugend verfolgten ihn – vor allem in seinen Träumen.“ Dabei zitiert er sowohl die zahlreichen Publikationen seines Protagonisten als auch seine Tagebücher.
Die Magie der Messe
Die „katholische Initiation" Holls verortet Klauhs im Kriegswinter 1944: " ... in der dunklen Kirche hat ihn etwas tief berührt, was er genauso wenig verstand wie die lateinischen Worte: die Magie der Messe. Sie lässt ihn zeitlebens nicht mehr los.“ Holl ging aufs Priesterseminar.
Privat
Dort eckte der „geistliche Hochleistungssportler“ durch „Undiszipliniertheit“ an. Sein „Geltungsdrang“ machte ihm zu schaffen, ebenso die Sehnsucht nach Frauen: „Das Lamento über seine Unzulänglichkeiten, insbesondere was den Sexus anbelangt, sind ein permanentes Hintergrundbrummen während der Lobeshymnen zur Ehre Gottes.“ Im Jahr 1954 wurde er zum Priester geweiht, im Jahr darauf promovierte er an der Universität Wien in katholischer Theologie.
Sendungshinweis
„Orientierung“ bringt am Sonntag einen Beitrag über Adolf Holl.
Das „leidige Problem“
Von 1953 bis 1973 war er in Wien als Kaplan tätig. Pastorale Aufgabe des Kaplans Holl war es, die männliche Arbeiterjugend zu betreuen. Weiter verfolgte ihn sein „leidiges Problem“ - schließlich erlag er der Versuchung mit einer „erfahrenen“ Frau - einer Pfarrjugendführerin. Schuldgefühle, aber auch ein „Wechsel der Perspektive“ waren die Folge dieser Erfahrung, so der Autor. Der ersten Affäre folgten weitere.
Seine wissenschaftliche Karriere verfolgte er weiter, in Philosophie, Psychologie und Geschichte promovierte er 1961. Dabei glitt er „vom katholischen allmählich ins sozialistische Milieu“ hinüber, so Klauhs. 1966 trat Holl in einer Diskussion im ORF auf, vermittelt vom Journalisten, Aktivisten und Politiker Günther Nenning.
Medien als Instrument des Protests
„Die TV-Diskussion hatte ihn gelehrt, die Medien als wirkungsvolles Instrument des Protests einzusetzen. Er machte in der Folge exzessiv davon Gebrauch“, kommentiert das die Biografie. Unter anderem diente ihm dazu die 1967 gegründete Zeitschrift „das freie Wort“.
Was er sagte und schrieb, entsetzte viele in der Kirche. Holl kritisierte unter anderem öffentlich den Papst, seine Auftritte wurden zugleich professioneller - das habe er während eines USA-Aufenthalts gelernt, so Klauhs: „Schwarzer Rollkragenpullover, schwarze Hose, in der linken Hand eine Zigarette ...“ Kardinal König versuchte, Holl zurückzupfeifen, doch vergeblich.
Zweite Karriere als Journalist
Sein Buch „Jesus in schlechter Gesellschaft“, bei dem seine Lebensgefährtin, die Journalistin Inge Santner-Cyrus, half, brachte das Fass zum Überlaufen. 1973 verlor Holl seine Lehrbefugnis, 1976 suspendierte König ihn vom Priesteramt. Er fand für sich eine andere Berufung: „Mithilfe von Inge Santner-Cyrus war er doch noch geworden, was ihm vor der Matura als Alternative zum Priesterberuf vorgeschwebt hatte: Journalist.“
Privat
Fortan wurde der Theologe und Religionswissenschaftler dann als Diskussionsleiter der ORF-Sendung „Club 2" bekannt. Immer "... hervorragend vorbereitet, strukturierte er mit sanfter Hand souverän das Diskussionsgeschehen“, so die Biografie. In eineinhalb Jahrzehnten moderierte Holl die kontroverse Sendung über 70 Mal.
Heute arbeitet er, selbst Autor von über 30 Büchern („Der lachende Christus“, „Wie gründet man eine Religion?", Braunau am Ganges“ etc.), als Publizist. Am 13. Mai feiert Adolf Holl seinen 88. Geburtstag, und er schreibt an einem neuen Buch: „Ich existiere einfach nur dann, wenn ich zwei oder drei Stunden am Tag etwas schreiben darf“, erzählte er im Interview mit der „Orientierung“.
Johanna Grillmayer, religion.ORF.at