Vatikan fordert mehr Kontrolle der Finanzindustrie

Die katholische Kirche fordert in einem am Donnerstag veröffentlichten Dokument mehr überstaatliche Kontrolle der Finanzwirtschaft sowie stärkere ethische Elemente - etwa Ethikkommissionen - in deren Unternehmenskultur.

„Das Geld muss dienen und nicht regieren“, heißt es in dem Dokument. Anlass für die Stellungnahme sei der wachsende, gesamtgesellschaftlich oft schädliche Einfluss der Finanzwirtschaft, wie er sich vor allem in der jüngsten weltweiten Finanzkrise gezeigt habe. Erarbeitet wurde der Text von der Glaubenskongregation und dem vatikanischen Entwicklungsministerium unter Beteiligung externer Wirtschafts- und Finanzexperten.

Vertrauen in unabhängige Märkte „naiv“

Zwar habe es in den vergangenen Jahren durchaus Korrekturen in der Finanzwirtschaft gegeben, so das Dokument. „Ein Überdenken jener überholten Kriterien, die immer noch die Welt beherrschen“, sei aber ausgeblieben. Für das Gemeinwohl aller Menschen sei es Aufgabe der Kirche, „an einige klare ethische Prinzipien zu erinnern“.

„Wie immer deutlicher wird, macht sich Egoismus auf lange Sicht nicht bezahlt, sondern bewirkt letzten Endes nur, dass alle einen viel zu hohen Preis zahlen müssen.“ Die Märkte, so das Dokument, seien nicht in der Lage, sich selbst zu regulieren. „Die Erfahrung der letzten Jahrzehnte hat deutlich gezeigt, wie ‚naiv‘ das Vertrauen in eine vermeintliche funktionelle Unabhängigkeit der Märkte ist, die keiner Ethik unterliegt“, heißt es.

Finanzindustrie als Ort der Egoismen

Dazu erinnert das Dokument „Oeconomicae et pecuniariae questiones“ (Wirtschafts- und Finanzfragen) an ethische und philosophische Grundlagen, bevor es kritisch auf einzelne Aspekte des gegenwärtigen Finanzsystems eingeht. Als ein Problem nennt es den schwindenden Gestaltungsraum der Politik gegenüber der Finanzwelt.

Diese Gestaltung brauche es aber, damit die Finanzwirtschaft wieder der Realwirtschaft dient, für die sie eigens geschaffen wurde. Auch wenn viele Akteure persönlich von guten und berechtigten Absichten geleitetet seien, so das Schreiben, „darf auch nicht unbeachtet bleiben, dass die Finanzindustrie heute (...) ein Ort ist, wo Egoismen und Missbräuche ein für die Allgemeinheit zerstörerisches Potential haben, das seinesgleichen sucht“.

Vatikan schlägt Ethikkommissionen vor

Damit der „große Organismus“ des Marktes „gesund“ bleibe, müsse das Kapital in seinen Adern in sämtliche Glieder und Organe gelangen und nicht nur hauptsächlich in einige wenige. Dazu fordert die Kirche mehr Kontrolle der Finanzsysteme und eine überstaatliche Koordinierung ihrer verschiedenen Strukturen.

Gleichzeitig müssten die Unternehmen eine stärker ethisch ausgerichtete Geschäfts- und Personalkultur entwickeln. So könnten etwa Ethikkommissionen den Verwaltungsräten beigestellt werden.

Kritik an Offshore-Geschäften

Weiter befasst sich das Dokument mit Phänomenen wie Credit Default Swaps, Fixings, Schattenbanken und Offshore-Geschäften. Hier gebe es sehr oft ethisch zweifelhafte oder gar unerlaubte Praktiken wie Steuerhinterziehung, Geldwäsche, Intransparenz, Korruption und ungerechte Risikolasten.

Die Schaffung sehr riskanter Wertpapiere etwa, hinter denen bloß fiktive Werte stünden und die ohne angemessene Qualitätskontrolle oder korrekte Kreditbewertung angeboten würden, führe zu einer weitreichenden „Vergiftung“ der Märkte und sei „unter dem Gesichtspunkt einer dem Gemeinwohl verpflichteten Ethik nicht akzeptabel“.

Vorgehen gegen Steuerhinterziehung

Ausdrücklich plädiert das Dokument auch für eine Besteuerung von Offshore-Transaktionen sowie insgesamt den Einfluss von Offshore-Finanzdomizilen zu begrenzen und diese wirksam zu regulieren, vor allem dort, wo es um Steuerumgehung, „wenn nicht sogar Steuerhinterziehung oder Geldwäsche“ geht. Offshore-Orte böten sich heute „in beträchtlichem Maß für Finanzgeschäfte an, die als grenzwertig, wenn nicht sogar als völlig inakzeptabel zu betrachten sind“.

Auch, dass Unternehmen Gewinne in die Steuerparadiese verlegten, Kosten jedoch in Länder mit höheren Steuerauflagen, wird kritisch bemerkt: „All das hat der Realwirtschaft beträchtliche Ressourcen entzogen und zur Entstehung von Wirtschaftssystemen beigetragen, die auf dem Prinzip der Ungleichheit aufbauen.“

religion.ORF.at/KAP