ÖAW-Studie zeigt jüdische Sicht auf NS-Verfolgung

Ein Projekt der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) stellt die Sicht der jüdischen Bevölkerung auf die Verfolgung durch die Nazis in den Mittelpunkt.

Im Zentrum steht nicht die Tätersicht, sondern jene der Betroffenen und deren Bewältigungsversuche. Der erste Band der Quellenedition erscheint im Frühjahr 2019.

„Es gibt natürlich sehr viel über das Schicksal und die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung während der NS-Zeit“, sagte Historikerin Eleonore Lappin-Eppel vom Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der ÖAW im Gespräch mit der APA. Weil in Österreich aber in der Regel die Täterforschung dominiere, sei „die aktive Reaktion der jüdischen Bevölkerung darauf ein bisschen unterbelichtet“.

Zwei Personen mit alten Briefen in den Händen

Reuters/Baz Ratner

Bisher unveröffentlichte Dokumente werden für das Projekt „Jüdische Reaktionen auf die nationalsozialistische Verfolgung“ ausgewertet

Reaktionen auf die Verfolgung

Diese Lücke soll das vom Wissenschaftsfonds FWF geförderte Forschungsprojekt schließen und gleichzeitig auch erstmalig eine Zusammenschau der Entwicklungen in ganz Österreich sein. „Wir zeigen, wie jüdische Menschen und ihre Gemeinden auf die immer schlechter werdenden Lebensbedingungen reagiert haben“, weist Lappin-Eppel auch auf die Problematik der massenhaften Delogierungen in Wien und die zusätzliche Verschärfung der Situation durch zugezogene Juden aus den Bundesländern hin.

Für die systematische Aufarbeitung wurden großteils unveröffentlichte, offizielle Quellen jüdischer Organisationen und Gemeinden herangezogen - wie Tätigkeitsberichte, die diese an die NS-Autoritäten abzuliefern hatten -, aber auch persönliche Dokumente wie Briefe, Tagebücher oder Lebenserinnerungen.

Persönliches Engagement für Andere

Aus den Dokumenten erkenne man „die Not, aber auch den Einsatz für die Menschen“, so die Historikerin. Trotz des Fokus des Projekts auf gemeinsame Fragestellungen und Entwicklungen habe sich doch in allen Bundesländern ein anderes Bild gezeigt.

„In der Provinz war das Engagement, wenn es darum ging, inhaftierte Gemeindemitglieder nach dem ‚Anschluss‘, aber vor allem nach dem Novemberpogrom, freizubekommen, ein sehr viel tieferes und persönlicheres als in der Wiener Gemeinde, die über 170.000 Mitglieder zählte“, nannte Lappin-Eppel ein Beispiel. Engagiert - zum Teil auch sehr erfolgreich - hätten sich vor allem Personen mit guten Kontakten zur lokalen NS-Führung.

Dokumente verschlüsselt

Ein besonderes Augenmerk legt das Forschungsprojekt auf die Erläuterung des Kontexts einer Quelle. „In den Tätigkeitsberichten der Gemeinden (bis Kriegsbeginn, Anm.) etwa musste natürlich immer drin stehen, wie sehr die und die Aktivität die Auswanderung fördert. Da konnte man nicht schreiben, was man wollte“, sagte Lappin-Eppel. Ebenso seien Briefe und Tagebücher verschlüsselt worden. „Man muss den Kontext daher kennen“, so die Wissenschafterin.

Der erste Band der Quellenedition umfasst die Zeit bis zum Beginn der großen, systematischen Deportationen um 1941. Er wird im Frühjahr 2019 erscheinen, der zweite Band soll rund zwei Jahre später folgen. Lappin-Eppel hofft, mit dem Überblickswerk „die kleinteilige und lokale Forschung anzuregen“. „Da gibt es sicher noch viel zu machen“, zeigte sie sich überzeugt.

religion.ORF.at/APA

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