Orthodoxe Kirche in Ukraine erhält Eigenständigkeit

Trotz heftiger Proteste aus Moskau ein historischer Akt für die Ukraine: Der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel hat die neue orthodoxe Kirche des osteuropäischen Landes offiziell anerkannt und ihr die vollständige Eigenständigkeit (Autokephalie) verliehen.

Das Ehrenoberhaupt der Weltorthodoxie unterzeichnete am Samstag in Istanbul den entsprechenden Erlass. Gemeinsam mit Bartholomaios I. unterschrieb der Vorsteher der Mitte Dezember gegründeten orthodoxen Kirche der Ukraine, Epiphanius, das „Tomos“ genannte Dokument.

Bartholomaios I. unterschreibt den Tomus

APA/AFP/Ozan Kose

Bartholomaios I. unterschrieb das „Tomos“ genannte Dokument

Ukraine auch auf religiösem Gebiet von Moskau gelöst

Mehr als 27 Jahre nach der staatlichen Unabhängigkeit löst sich die Ukraine damit auch auf religiösem Gebiet von Moskau. Die ukrainische Kirche wird formal allen anderen bestehenden 14 orthodoxen Landeskirchen gleichgestellt.

An der Zeremonie in der Georgskathedrale auf dem Gelände der Patriarchenresidenz nahmen der ukrainische Staatschef Petro Poroschenko und Parlamentspräsident Andrej Parubij teil. Am Sonntagmorgen will Bartholomaios I. die Erklärung bei einem Festgottesdienst in der Georgskathedrale an Epiphanius übergeben.

70 Prozent der Ukrainer sind orthodoxe Christen

Einer Umfrage zufolge betrachten die meisten Ukrainer die Gründung der eigenständigen orthodoxen Landeskirche als wichtigstes nationales Ereignis des Jahres 2018.

Wegen der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland 2014 und der andauernden Gefechte zwischen von Moskau unterstützten Separatisten und ukrainischen Soldaten in der Ostukraine war in Kiew der Ruf nach einer eigenen Kirche immer lauter geworden. Rund 70 Prozent der Ukrainer sind orthodoxe Christen.

Russland versuchte Eigenständigkeit zu verhindern

Die russisch-orthodoxe Kirche wollte die höchste kirchenrechtliche Anerkennung der neuen ukrainischen Kirche durch Konstantinopel unbedingt verhindern und die Hoheit über das osteuropäische Land behalten. Kiew gilt als Wiege der russischen Orthodoxie. 988 begann dort die Christianisierung des damaligen Ostslawen-Reichs.

Der Machtkampf zwischen den beiden Zentren Konstantinopel (Istanbul) und Moskau um die Ukraine hat die orthodoxen Kirchen in eine schwere Krise gestürzt.

Drohung aus Russland

Gegner des Ökumenischen Patriarchats sprechen diesem das Recht ab, im Alleingang der neuen ukrainischen Kirche die Eigenständigkeit zu verleihen. Der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill I. hatte Bartholomaios I. vor wenigen Tagen in einem Brief gedroht, wenn er den „Tomos“ übergebe, höre er auf, „der Erste in der orthodoxen Welt zu sein“.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan empfing Poroschenko in Istanbul direkt vor der Kirchenzeremonie. Das ukrainische Staatsoberhaupt hatte sich vehement für die Gründung einer von Russland unabhängigen Kirche starkgemacht. Zu ihr schlossen sich am 15. Dezember in Kiew zwei Kirchen zusammen, die sich 1921 beziehungsweise 1992 von Moskau abgespalten hatten.

Künftig gibt es in der Ukraine zwei große orthodoxe Kirchen: die neue „Orthodoxe Kirche der Ukraine“ mit dem 39 Jahre alten Metropoliten Epiphanius an der Spitze und die dem Moskauer Patriarchat unterstellte „Ukrainische Orthodoxe Kirche“.

religion.ORF.at/KAP/KNA

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