Kinderschutzgipfel: Opfer rufen zum Handeln auf

Vor Beginn des viertägigen Antimissbrauchsgipfels im Vatikan am Donnerstag fordern Missbrauchsopfer den Papst zu entschlossenem Durchgreifen gegen Kindesmissbrauch auf.

„Wir fordern die Umsetzung des Slogans Toleranz Null bei Kindesmissbrauch. Jeder verantwortliche Geistliche muss das Priesteramt niederlegen“, forderte Peter Saunders, Sprecher der Missbrauchsopfer. Der Brite, der als Jugendlicher von zwei Priestern missbraucht worden war, hatte 2016 nach öffentlicher Kritik an der Aufklärungsarbeit der Kirche sein Mandat in der päpstlichen Kinderschutzkommission ruhend gestellt und legte es später ganz zurück.

Anklagepflicht gefordert

Er forderte, dass Bischöfe, die Missbrauchsvorwürfe versanden lassen, von der Kirche ausgeschlossen werden sollten. „Wir fordern für alle Bischöfe die Anklagepflicht von Missbrauchsfällen bei den Justizbehörden“, so Saunders nach Angaben der italienischen Nachrichtenagentur ANSA.

Das Organisationskomitee des Antimissbrauchsgipfels im Vatikan wird auch nach Ende des Treffens im Einsatz bleiben. Ziel sei, Dossiers mit den Ergebnissen der Konferenz zu entwerfen, teilte der maltesische Erzbischof Charles Scicluna, Mitglied des Organisationskomitees des Gipfeltreffens, mit.

Ein Priester bereitet die Messe vor

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Opferverbände erwarten keine Wunder von dem Antimissbrauchsgipfel, aber entschlossenes Durchgreifen gegenüber übergriffigen Klerikern

Keine Wunder, aber mehr als Symbolik

Wie Bernd Fischaleck von der AFP berichtete, erhofft sich auch die deutsche Betroffeneninitiative Eckiger Tisch von der bevorstehenden Antimissbrauchskonferenz im Vatikan konkrete Veränderungen innerhalb der Kirche. „Wunder erwarte ich nicht, aber schon mehr als nur reine Symbolik“, sagte der Sprecher der Initiative, Matthias Katsch, der Nachrichtenagentur AFP.

Die katholische Kirche stehe in der Pflicht, die vom Papst ausgegebene „Null-Toleranz“-Strategie gegenüber sexuellem Missbrauch tatsächlich umsetzen. So müsse etwa im Kirchenrecht verankert werden, „dass Priester nicht länger Priester sein können, wenn sie Kinder missbraucht haben, und dass Bischöfe, die das vertuscht haben, ebenfalls kein Leitungsamt mehr in der Kirche haben können“.

Auf Einladung von Papst Franziskus treffen sich von Donnerstag bis Sonntag im Vatikan Bischöfe aus aller Welt zu einer Krisengipfel zum Thema Kinderschutz. Bei dem Treffen müsse die Kirche auch die Aufarbeitung der Missbrauchsskandale konsequent angehen, sagte Katsch. „Ich erwarte schon, dass es Aussagen darüber gibt, wie man den Opfern Gerechtigkeit widerfahren lassen will.“ Dazu gehöre auch das Eingeständnis eigener Fehler. „Es wäre eine starke Botschaft, wenn einzelne Bischöfe, angefangen vom Papst, einräumen würden, dass sie in der Vergangenheit das Problem auch falsch eingeschätzt oder sich falsch verhalten haben.“

Missbrauchsskandale weltweit

Trotz der Defizite sehe er Fortschritte unter Papst Franziskus. „Allein schon die Tatsache, dass dieses Treffen stattfindet, ist ein sehr starkes Symbol“, sagte Katsch. Es könne keine Rede mehr davon sein, dass es „einzelne Missbrauchsskandale gibt in einzelnen Ländern“. Das Problem betreffe die katholische Kirche weltweit. „Es gibt aber sicherlich in vielen Ecken der Kirche noch Uneinsichtige, die das nach wie vor bestreiten“, beklagte Katsch.

In Deutschland hatte im vergangenen Herbst eine Studie im Auftrag der Bischofskonferenz das Ausmaß des sexuellen Missbrauchs durch Geistliche offenbart. Die Forscher fanden Hinweise auf 1670 verdächtige Kleriker und 3677 potenzielle Opfer zwischen 1946 und 2014.

Keine Opferverbände eingeladen

Katsch kritisierte, dass Opferverbände nicht zu dem Treffen im Vatikan eingeladen wurden. Zusammen mit Vertretern der internationalen Interessengemeinschaft ECA reist Katsch dennoch nach Rom, um am Rande der Konferenz auf die Forderungen der Opfer aufmerksam zu machen. Geplant ist unter anderem ein Protestzug unter dem Motto „March for Zero Tolerance“.

Der Sprecher des Eckigen Tischs rechnet mit weiteren Vatikan-Konferenzen zum Thema Missbrauch. „Ich glaube, es wird nicht anders gehen, denn der Druck wir nicht nachlassen.“ Die katholische Kirche wird seit Jahrzehnten von Missbrauchsskandalen erschüttert - auch Österreich ist betroffen.

Schätzungsweise 100.000 Opfer in den USA

Zwischen 1950 und 2013 gab es in der katholischen Kirche der USA 17.000 Beschwerden wegen sexueller Gewalt. Die Vorwürfe reichten zurück in die Zeit von 1950 bis 1980 und richteten sich gegen rund 6400 Geistliche. Experten bezifferten im Jahr 2012 die Zahl der minderjährigen Opfer auf schätzungsweise 100.000.

Die Aufarbeitung von Missbrauchsvorwürfen sorgt in der katholischen Kirche in Chile seit Monaten für Aufruhr. Etwa 150 Ermittlungsverfahren gegen katholische Geistliche und andere Kirchenvertreter wurden eingeleitet. Auch die katholische Kirche in Australien wurde in den vergangenen Jahren von Enthüllungen über sexuellen Kindesmissbrauch und dessen systematische Verschleierung erschüttert. Auf massiven öffentlichen Druck hin wurde 2012 eine nationale Untersuchungskommission eingerichtet. Mehr als 15.000 Opfer wandten sich an das Gremium.

Vertrauensverlust in die Kirche

Der ranghöchste katholische Geistliche, der sich im Zusammenhang mit Missbrauchsvorwürfen in Frankreich vor Gericht verantworten muss, ist Kardinal Philippe Barbarin. Ihm wird vorgeworfen, in den 1980er Jahren sexuelle Übergriffe eines Priesters gegen Minderjährige gedeckt zu haben. Der Priester soll rund 70 Pfadfinder missbraucht haben - wurde aber erst Ende August 2015 seines Amtes enthoben. Das Urteil im Prozess gegen Barbarin soll Anfang März fallen.

In Irland gibt es seit Jahrzehnten Vorwürfe des Kindesmissbrauchs in katholischen Einrichtungen. Die Zahl der minderjährigen Opfer wird auf rund 14.500 geschätzt. Mehrere Bischöfe und Priester wurden wegen sexueller Gewalt oder wegen Vertuschung solcher Taten bereits bestraft. Die Missbrauchsaffären bescherten der einstmals mächtigen katholischen Kirche in Irland einen dramatischen Vertrauensverlust.

religion.ORF.at/APA/AFP

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