Papst erlässt Meldepflicht für Missbrauchsfälle

Papst Franziskus hat für die katholische Kirche eine Meldepflicht für Fälle sexuellen Missbrauchs erlassen. Kleriker und Ordensleute müssen ab Juni Missbrauchs- und Vertuschungsfälle umgehend der Kirche anzeigen. Das gilt aber nicht für staatliche Behörden.

Ein derartiger Schritt war unter anderem von Opferverbänden, Politikern und zahlreichen Bischöfen der Weltkirche gefordert worden. Das am Donnerstag veröffentlichte kirchliche Gesetz sieht neue Verfahrensweisen für die Strafanzeige vor und führt eine weltweite Anzeigepflicht ein.

Erstmals regelt es die Untersuchung gegen Bischöfe, die Ermittlungen vertuscht oder verschleppt haben. Es verpflichtet die kirchlichen Stellen, die staatlichen Strafermittler in ihrer Arbeit zu unterstützen. Zudem müssen alle Diözesen bis spätestens Juni 2020 ein leicht zugängliches Meldesystem für Anzeigen einrichten.

„Universell gültige Rechtsvorschrift“

„Während diese Verpflichtung bis dato in einem gewissen Sinne dem persönlichen Gewissen überlassen war, wird sie nunmehr zu einer universell gültigen Rechtsvorschrift“, sagte der Chefredakteur der Kommunikationsabteilung des Vatikans, Andrea Tornielli. Das Gesetz soll am 1. Juni in Kraft treten.

Papst Franziskus

APA/AFP/Filippo Monteforte

Papst Franziskus hat ein „Motu proprio“ zur Meldepflicht für Fälle sexuellen Missbrauchs erlassen

In dem apostolischen Schreiben „Vos estis lux mundi“ (Ihr seid das Licht der Welt) heißt es zudem, die katholischen Diözesen in aller Welt müssten bis spätestens Juni nächsten Jahres „eine oder mehrere dauerhafte und der Öffentlichkeit leicht zugängliche“ Anlaufstellen für Anzeigen einrichten.

Unterlassungen aufspüren

Zu den wichtigsten Neuerungen gehört ein Verfahren, mögliche Unterlassungen von Verantwortlichen aufzuspüren. Für entsprechende Voruntersuchungen gegen Bischöfe erhalten die Metropolitan-Erzbischöfe eine besondere Rolle. In Österreich sind das der Wiener Erzbischof Kardinal Christoph Schönborn und der Salzburger Erzbischof Franz Lackner. Um Verfahren zu beschleunigen, muss der Vatikan binnen 30 Tagen über den Stand der Voruntersuchungen informiert werden.

Außerdem werden alle Kleriker und Angehörigen von Ordensgemeinschaften auch rechtlich verpflichtet, Informationen über möglichen Missbrauch oder eventuelle Unterlassungen beim Kirchenoberen zu melden. Das gilt künftig nicht mehr nur im Fall minderjähriger und schutzbefohlener Opfer, sondern auch, wenn Ordensfrauen sowie abhängige volljährige Seminaristen oder Ordensnovizen und -novizinnen betroffen sind sowie im Fall von Kinderpornografie.

Unberührt bleiben eine Meldepflicht aufgrund staatlicher Gesetze und bestehende Kooperationen zwischen Kirche und Behörden. Bisher geltende kirchliche Strafen werden nicht verschärft. Das Beichtgeheimnis bleibt von den neuen Normen unberührt, aber das bisher für Missbrauchsverfahren generell geltende „päpstliche Geheimnis“ wird in einem zentralen Punkt aufgehoben. In dem neuen Gesetz heißt es dazu: „Wer eine Meldung erstattet, dem kann kein Schweigegebot hinsichtlich des Inhalts auferlegt werden.“

Folge des Antimissbrauchsgipfels

Die katholische Kirche steckt seit Jahren wegen Missbrauchsskandalen in vielen Ländern der Welt in einer ihrer schwersten Krisen. Der Papst steht stark unter Druck, seinen Worten von einer „Null Toleranz“-Politik auch Taten folgen zu lassen.

Motu proprio

Gibt der Papst auf eigene Initiative hin einen Erlass heraus, ist im katholischen Kirchenrecht von einem „Motu proprio“ die Rede - zu deutsch: „aus eigenem Antrieb“. Der Erlass behandelt in der Regel didaktische, administrative und kirchenrechtliche Fragen. Der Papst signiert das Dokument persönlich, um damit sein besonderes Interesse am Thema zu bekunden.

Das nun veröffentlichte „Motu proprio“ ist eine Folge des Antimissbrauchsgipfels, zu dem der Papst Ende Februar die Vorsitzenden aller Bischofskonferenzen in den Vatikan geladen hatte. Danach war kritisiert worden, dass der Papst keine umfassenden Schritte im Kampf gegen den Missbrauch von Kindern unternommen habe. Zuletzt stellte Franziskus einzig für den kleinen Vatikanstaat - in dem kaum Kinder leben - entsprechende Regeln auf.

Betreuung der Opfer

„Vos estis lux mundi“ legt außerdem fest, dass die Opfer zusammen mit ihren Familien mit Würde und Respekt behandelt werden und dass ihnen eine angemessene medizinische, therapeutische und psychologische Betreuung zuteilwerden soll.

Die neuen Vorschriften hinsichtlich des einzuführenden Meldesystems führen allerdings nicht weiter aus, worin diese „Systeme“ bestehen, um so den einzelnen Diözesen die Auswahl wirksamer Methoden zu überlassen, die sich aufgrund verschiedener Kulturen und örtlicher Gegebenheiten unterscheiden können. Missbrauchsopfer bzw. Anzeigende müssten jedenfalls sicher sein können, dass ihre Anzeigen mit höchster Seriosität behandelt werden, heißt es.

Die durchgängige Meldepflicht gilt nur für Kleriker und Ordensleute, die Laien werden aber ermutigt, sich auch dieses Systems zu bedienen, um Missbrauchs- und Belästigungsfälle der zuständigen kirchlichen Behörde zu melden.

Schutz für Anzeigende und Opfer

Bedeutsam sind auch jene Paragrafen, die dem Schutz derer gewidmet sind, die sich melden, um Anzeige zu erstatten. Diejenigen, die Informationen über Missbrauchsfälle beibringen, dürfen dem Schreiben zufolge wegen ihrer Anzeige nicht zu Opfern von „Beeinträchtigungen, Vergeltung oder Diskriminierungen“ werden.

Das Motu „proprio“ regelt relativ detailliert die Ermittlungen gegen Bischöfe, Kardinäle, Ordensobere und all jene, die in irgendeiner Weise und auch nur vorübergehend die Leitung einer Diözese oder einer anderen Teilkirche innehaben. Die Vorschriften sind nicht nur dann einzuhalten, wenn gegen diese Personen wegen direkt von ihnen verübten sexuellen Missbrauchs ermittelt wird, sondern auch dann, wenn ihnen vorgeworfen wird, Missbrauchsfälle, von denen sie erfahren haben und gegen die sie hätten vorgehen sollen, „gedeckt“ zu haben oder nicht gegen sie vorgegangen zu sein.

Zügiges Vorgehen nötig

Bedeutsam ist die Neuerung, die die Beteiligung des jeweiligen Metropoliten in die Voruntersuchung betrifft. Der Metropolit erhält vom Heiligen Stuhl den Auftrag zu ermitteln, sofern es sich bei der angezeigten Person um einen Bischof handelt. Wer mit der Ermittlung beauftragt ist, übermittelt dem Heiligen Stuhl nach 30 Tagen einen „Bericht über den Stand der Ermittlungen“, die „innerhalb von 90 Tagen abgeschlossen sein müssen“.

Damit werden garantierte Verfahrenszeiten vorgeschrieben, und zum ersten Mal wird verlangt, dass die betroffenen vatikanischen Behörden (Dikasterien) zügig vorgehen. Verlängerungen „aus gerechtfertigten Gründen“ sind möglich. Betreffen die Anschuldigungen den Metropoliten oder ist der Metropolitansitz vakant, dann ist der dienstälteste Suffraganbischof zuständig.

Die Regeln des „Motu proprio“ sehen auch vor, dass sich der Metropolit bei der Durchführung der Ermittlungen der Hilfe „qualifizierter Personen“ bedienen kann. Bischofskonferenzen und Diözesen können Listen qualifizierter Personen erstellen, die zur Mitarbeit bereit sind. Die letzte Verantwortung für die Ermittlungen bleibt freilich dem Metropoliten anvertraut.

Unschuldsvermutung und Abschluss

Betont wird in dem Dokument auch das Prinzip der Unschuldsvermutung der Person, gegen die ermittelt wird und die dann über die Ermittlung informiert wird, wenn das seitens des zuständigen Dikasteriums verlangt wird. Tatsächlich muss die Beschuldigung obligatorisch erst bei Eröffnung eines formellen Verfahrens notifiziert werden, das kann in der Phase der Voruntersuchung noch unterlassen werden, sofern es für ratsam erscheint.

Nach Abschluss der Ermittlungen übermittelt der Metropolit die Ergebnisse an das zuständige vatikanische Dikasterium. Das zuständige Dikasterium verfährt dann „nach Maßgabe des Rechts entsprechend dem, was für den spezifischen Fall vorgesehen ist“, es handelt also auf der Grundlage bereits existierender kanonischer Rechtsvorschriften. Auf der Grundlage der Ergebnisse der Voruntersuchung kann der Heilige Stuhl unverzüglich vorbeugende und restriktive Maßnahmen gegen die Person beschließen, gegen die ermittelt wird.

religion.ORF.at/dpa/KAP

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