Familienbilder von Liebe und Gewalt
Was als Thema erst etwas konservativ klingt, entpuppt sich als vielfältiger Blick auf alles, was Familie früher war, heute ist und sein kann. Oder, wie es Direktorin Johanna Schwanberg bei der Presseführung am Donnerstag formulierte: „Familie ist ein Thema, das alle angeht.“
Wie schon in früheren Ausstellungen bezieht die Schau „Family Matters“ viel Spannung aus der Gegenüberstellung historischer und moderner Kunstwerke. Dabei kommen unterschiedlichste Medien wie Videokunst, Plastik, Grafik, Fotografie und Malerei zum Einsatz. Blickfang gleich am Anfang ist eine Videoarbeit des belgischen Künstlers Hans Op de Beeck, die eine gestresste Kleinfamilie auf die Betrachtenden zueilen lässt: Mutter, Vater und zwei Kinder, alle schon für Büro, Schule und Kindergarten zurechtgemacht, im Kampf gegen die Uhr und gefangen im täglichen Hamsterrad. Ihr gegenübergestellt ist Carl Spitzwegs berühmter „Sonntagsspaziergang“ in seiner ganzen ironischen Beschaulichkeit.
Gegenüberstellung betont Kontraste
Im nächsten Raum wird der Kontrast von Vergangenheit und Gegenwart auf die Spitze getrieben: Einer Sammlung historischer Familiendarstellungen aus mehreren Epochen vom Kremser Schmidt bis Georg Friedrich Waldmüller - darunter auch einige der Heiligen Familie - hängt einer Zusammenstellung moderner Familienporträts der deutschen Fotokünstlerin Katharina Mayer gegenüber.
Belvedere, Wien
Hier fallen neben Kontrasten auch Ähnlichkeiten auf: Das Motiv der Patchworkfamilie taucht hier wie da auf (Stichwort: Josef, der „soziale Vater“ von Jesus), ebenso die „normale“ Familie mit Mutter, Vater und mehreren Kindern; eine „Regenbogenfamilie“ wie Mayers zwei schon etwas ältere Väter mit ihren drei Adoptivkindern findet man nur auf der einen Seite.
Die Gegenüberstellungen werfen Fragen auf: Was hat sich verändert - und für wen? Hat sich auf dem Weg zur Familie der Gegenwart alles verändert, oder gibt es Konstanten? Ist vielleicht neben dem positiven Wandel zu mehr Gleichberechtigung und Offenheit auch Gutes auf der Strecke geblieben?
Schauplatz verschiedenster Emotionen
„Familie als Schauplatz der verschiedensten Emotionen“, wie es in einem Pressetext zur Ausstellung heißt, ist Thema der übrigen Räume. Hier finden sich auch die düsteren Seiten von Familie, die, wie Kuratorin Schwanberg sagte, gar nicht so häufig in der Kunst zu finden sind: Gewalt, Missbrauch, Streit, Mord, Tod. Familie als Ort der Geborgenheit und Vertrautheit - und als Alptraum aus Enge, Konflikten und Übergriffen. Dass diesen „inneren Verhältnissen des Mikrokosmos Familie“ nicht viel mehr Raum gewidmet wird, ist erstaunlich.
Maria Lassnig Stiftung
Eindrucksvoll bringt etwa Maria Lassnig mit dem Bild „Obsorge“ einen typischen Konflikt unserer Tage auf den Punkt: das zähe Ringen ums Scheidungskind. Arbeiten der in London lebenden Französin Iris Legendre, die auf alten Fotografien einzelne Mitglieder einer Familie mit Steinen, Nadeln und Nägeln malträtiert hat, weisen auf innerfamiliäres Mobbing und Ausgeschlossensein hin.
Iris Legendre
Liebevolle Väter als Mangelware
Dass „Family Matters“ einen sehr hohen Anteil weiblicher Kunst zeigt, habe auch damit zu tun, dass sich Frauen eher damit beschäftigen, so Schwanberg. Auch war es nicht einfach, ältere Darstellungen liebevoller Väter zu finden.
Ausstellungshinweis
„Family Matters“, 4. Oktober 2019 bis 30. August 2020, Dom Museum Wien, Stephansplatz 6, 1010 Wien, mittwochs bis sonntags von 10.00 bis 18.00 Uhr, donnerstags von 10.00 bis 20.00 Uhr, montags und dienstags geschlossen.
Die sehr intimen Fotos der amerikanisch-israelischen Fotografin Elinor Carucci verhandeln Intimität und Wärme, aber auch das Zermürbende an der Elternschaft im Alltag. Dass anstrengende Kinder kein neues Phänomen sind, kann man an der Wand gegenüber auf einigen kleinen Gemälden aus dem 19. Jahrhundert sehen, etwa in der Darstellung des schlafenden Künstlers, dessen kleine Kinder derweil das begonnene Bild „fertig malen“.
ORF.at/Johanna Grillmayer
Die Madonna und die Großmutter
Beherrscht wird dieser mittlere Teil der Schau durch eine Achse, die zwei Plastiken unterschiedlichster Art dominieren: die Thernberger Madonna von 1320 mit ihrem munteren Kleinkind und ein Werk des Australiers Sam Jinks. Die anrührende, hyperrealistische Plastik mit dem Namen „Woman and child“ scheint eine Großmutter mit einem Neugeborenen zu zeigen, erinnert aber auch daran, wie stark sich das Alter von Müttern in den westlichen Gesellschaften in nur kurzer Zeit verschoben hat.
Einige feministische Arbeiten heben besonders das zwiespältige Verhältnis zwischen Erwerbs- und Familienarbeit hervor. Hier ist der Grat zwischen Glück und Frustration hoch, wie die Videoarbeit „Stroller II (2008)“ von Carola Dertnig zeigt, in der eine junge Mutter am Versuch, mit dem Kinderwagen durch eine U-Bahn-Absperrung zu kommen, scheitert. Fast witzig wirkt Judith Samens Darstellung einer brotschneidenden Mutter mit Kind (1997), die ihr nacktes Baby unter den Arm geklemmt hält. Schaut man genauer hin, kann man sich auch eine ganz andere Konstellation der Versatzstücke Tisch, Messer und Säugling vorstellen.
ORF.at/Johanna Grillmayer
Ironie und Horror
Ein surrealer Kommentar zum Status der (Klein-)Familie sind die zwischen Ironie und Horror schwankenden Fotoarbeiten der polnischen Künstlerin Weronika Gesicka: Sie verändert kleine Details in idyllischen Familienfotos im Stil der 1950er Jahre, die alles infrage stellen, wofür posiert wurde. Das deformierende Potenzial von Familie kommt hier besonders deutlich zum Ausdruck. Laut Kuratoren „reflektiert sie (...), wie sich durch feine Verschiebungen neue Blicke auf tradierte Bilder und Vorstellungen ergeben“.
Weronika Gesick/Jednostka Gallery
Eigene Bestände und Leihgaben
Die Ausstellung beschäftigt sich weitgehend mit dem europäischen Raum und steht in einer westlichen Bildtradition. Etwa ein Drittel machen Werke aus den Beständen des Dom Museums und aus der Sammlung Otto Mauer Contemporary aus. Dazu kommen Leihgaben aus nationalen und internationalen Sammlungen, Museen, Stiften und Galerien und auch einige Ankäufe.
Direktorin Schwanberg betonte, wie wichtig ihr und ihrem Team ein offener Zugang gewesen sei. Das merkt man „Family Matters“ an. Das Dom Museum Wien möchte ganz klar mehr sein als eine Einrichtung der Erzdiözese. Das Vorbeten katholischer Familienwerte ist ihre Sache nicht.
Johanna Grillmayer, religion.ORF.at