Brisanter Film: Missbrauch und Schuld der Kirche
„Grace a Dieu“ - „Gelobt sei Gott! Die meisten Fälle sind schon verjährt“, so der Stoßseufzer des Lyoner Erzbischofs Philippe Barbarin während einer Pressekonferenz. Er meinte damit den vielfachen Kindesmissbrauch durch den Priester Bernard Preynat. „Grace a Dieu“ heißt auch der Film Ozons („8 Frauen“, „Swimming Pool“), der dem Geflecht aus Wegschauen, Verdrängen und Beschönigen nachspürt. Der Film läuft ab Freitag in österreichischen Kinos.
30 Jahre dauerte es, bis eines der Opfer die Kraft fand, sich mit dem Missbrauch durch Pater Preynat auseinanderzusetzen. „Erinnern Sie sich, was Sie mir angetan haben?“, fragt er in einer eindringlichen Szene den alten Priester. Dieser antwortet selbstmitleidig: „Das ist ein Schatten über meinem Leben. Seither musste ich damit leben.“ Eine Entschuldigung kann sich der Täter nicht abringen, es gibt nur ein gemeinsam gebetetes Vaterunser.
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Drei Opfer im Mittelpunkt
Drei Männer stehen im Mittelpunkt der Geschichte, der fromme, beruflich erfolgreiche Familienvater Alexandre, der hemdsärmelige Francois, der sich der Vergangenheitsbewältigung mit Verve stellt, und der seelisch wie körperlich labile Emmanuel - sie alle wurden von Preynat missbraucht.
Alexandres Anklage bringt erst einmal nichts, denn sein Fall ist verjährt. „Die Wunde wird mit Gottes Hilfe heilen, wenn wir nicht kratzen“, bekommt er seitens der Diözese zu hören. Auch ein Gespräch mit Kardinal Barbarin bleibt folgenlos. Auf der Suche nach nicht verjährten Fällen wird bald klar: Es gibt viele Opfer, immerhin war der pädophile Pfarrer für die örtlichen Pfadfinder zuständig. Und es wird zunehmend klar, dass die Kirche seit vielen Jahren von den Vorwürfen gegen den Pater wusste: Dieser hatte seine Schuld nie abgestritten.
Suche nach Wahrheit als Störfaktor
Dennoch heißt es seitens der Kirche: „Pater Preynat wird immer Priester bleiben.“ Eines der Opfer formuliert sein Unbehagen in einem Brief an den Papst: „Meine Suche nach Wahrheit scheint zu stören.“ Die Betroffenen - alle Männer - organisieren sich in einem Verein. Gemeinsam suchen und finden sie viele weitere Opfer, und schließlich ist einer darunter, dessen Fall noch nicht verjährt ist.
Regisseur Ozon inszeniert in dem mit dem „Großen Preis der Jury“ bei der diesjährigen Berlinale ausgezeichneten Drama häufig Kinder in katholischen Kontexten: Sie schmücken den Christbaum, singen in der Messe, beten, ministrieren und gehen an bunten Kirchenfenstern vorbei. Auch die Kirchenmänner werden bildlich in die Nähe von Kindern bzw. kindlich konnotierter Gegenstände gerückt.
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Eine besonders beklemmende Einstellung zeigt Kinder, die aus der Bibel vorlesen - mit ihnen am Tisch sitzt der pädophile Pfarrer. Die Bibelstelle ist Mk 10,13–16: „Lasst die Kinder zu mir kommen“. Die missbrauchten Kinder von damals sieht man in kurzen Flashbacks, die den Missbrauch andeuten - ein Bub wartet vor dem Büro des Priesters; er weiß schon, was ihm gleich geschehen wird. Ein anderer muss auf einem Pfadfinderlager dem Täter ins Gebüsch folgen, zum „Beten“.
Viele angerissene Nebenhandlungen
Einige Längen kann man dem Film nicht absprechen; bei einer Laufzeit von über zwei Stunden hätte man auf die eine oder andere angerissene Nebengeschichte verzichten können. Dass auch einige Familienangehörige (anderweitig) missbraucht wurden, wollte er noch unterbringen, aber keiner dieser Fälle wird richtig auserzählt. Ozon ist sichtlich bemüht, jedes Pathos zu vermeiden - das lässt „Gelobt sei Gott“ fast dokumentarisch und ein wenig statisch wirken. Der sehr sparsame Einsatz von Musik trägt erheblich dazu bei. Ein wenig hakt es auch bei der Erzählstruktur: Eine der Hauptfiguren wird erst spät eingeführt, einige der Dialog- und Gruppenszenen wären etwas straffer wohl noch eindringlicher geworden.
Stark sind die Szenen, in denen Opfer und Täter aufeinandertreffen. Wie die Kirchenmänner die gewährten Aussprachen mit den Opfern mit Glaubensausdruck übergießen, Vorwürfe und Argumente mit Beten, Singen und Segnungen einzuebnen suchen - in diesen Szenen wird deutlich, welchen Anteil religiöse Zeremonien an Machtstrukturen haben. Nach dem unangenehmen Gespräch schlüpfen alle ganz automatisch wieder in ihre Rollen, die Hierarchien sind wiederhergestellt.
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„Sex war tabu“
Die Reaktionen der betroffenen Familien sind nachvollziehbar dargestellt, sie reichen von Leugnen und sogar Aggression bis hin zu Verständnis, Engagement und tiefen Schuldgefühlen. Teil des Dramas ist die Unfähigkeit der Eltern, ihre Kinder zu beschützen, statt den Schein zu wahren. Neben der übermächtigen Autorität der Kirchenmänner spielen auch Probleme von Eltern, mit Kindern über Sex und Missbrauch zu sprechen, eine große Rolle. Wie der gequälte Emmanuel es formuliert: „Sex war tabu. Und es war in der Kirche.“
Das Gerichtsverfahren gegen Preynat läuft noch. Die katholische Kirche hat ihn bereits auf ihre Art bestraft: Er wurde aus dem Klerikerstand entlassen und ist nun kein Priester mehr. Kardinal Barbarin wurde wegen Nichtanzeige zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt, er hat Berufung eingelegt. Die Frist für Verjährung sexueller Gewalt an Minderjährigen wurde verlängert: Opfer haben jetzt 30 statt 20 Jahre nach ihrer Volljährigkeit Zeit für eine Anzeige.
Johanna Grillmayer, religion.ORF.at