Wien: Gedenktafel für Innitzer-Hilfe enthüllt

Kardinal Christoph Schönborn, der ukrainische griechisch-katholische Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk und der Wiener Rabbiner Schlomo Hofmeister haben eine Gedenktafel für Kardinal Innitzers Engagement in der ukrainischen Hungersnot „Holodomor“ enthüllt.

Die Gedenktafel für Kardinal Theodor Innitzer (1875-1955) wurde am Dienstagnachmittag im Wiener Erzbischöflichen Palais enthüllt. Mit der Tafel wird an die Verdienste des Kardinals in den frühen 1930er-Jahren erinnert, als dieser als einer von wenigen westlichen Persönlichkeiten gegen die Hungerkatastrophe in der damals sowjetischen Ukraine protestierte und Hilfsmaßnahmen in die Wege leitete.

Der US-Historiker Timothy D. Snyder lieferte dabei beim Festakt das Begleitmotto: „Die Wahrheit überlebt nicht von alleine. Die Wahrheit braucht Menschen, die sie aussprechen.“ Die Hungerkatastrophe der Jahre 1932/33 in der Ukraine - auch „Holodomor“ genannt - wurde von den Sowjets absichtlich herbeigeführt, um die wohlhabenden ukrainischen Großbauern - Kulaken bezeichnet - zu schwächen und zum Eintritt in die Kolchosen und Sowchosen zu zwingen.

Bevölkerung absichtlich ausgehungert

Nach Schätzungen forderten die Repressionen der Sowjets allein in der Ukraine zwischen sechs und zehn Millionen Opfer. Das Massensterben fand vor allem in den ländlichen Gebieten statt, wo den Bauern zuerst alle Nahrungsmittel sowie das Saatgut weggenommen und sie dann in ihren Dörfern festgehalten wurden.

Allein im Juni 1933, am Höhepunkt des Holodomors, verhungerten mehr als 870.000 Menschen, erinnerte Kardinal Schönborn.: „Jede Minute starben also 20 Menschen, jede Stunde 1.168 Menschen, jeden Tag 28.023 Menschen.“

„Holodomor nach wie vor tiefe Wunde“

Vor der Enthüllung der Gedenktafel fand im „Club 4“ am Stephansplatz eine Tagung statt, die sich mit den Ereignissen von damals befasste. Der Holodomor sei nach wie vor eine tiefe offene Wunde im Bewusstsein des ukrainischen Volkes, betonte dabei Großerzbischof Schewtschuk in seinen Grußworten. Er sprach von rund acht Millionen Opfern. Solange die Opfer todgeschwiegen würden, gehe das Sterben weiter, so der Großerzbischof und weiter: „Wir müssen uns an diese Verbrechen erinnern, damit so etwas nie wieder geschieht.“

Gemeinderabbiner Schlomo Hofmeister, der ukrainische griechisch-katholische Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk und Kardinal Christoph Schönborn

kathpress/Paul Wuthe

V. l.: Der Wiener Rabbiner Schlomo Hofmeister, der ukrainische griechisch-katholische Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk und Kardinal Christoph Schönborn bei der Enthüllung der Gedenktafel

Kardinal Innitzer appellierte erstmals am 20. August 1933 an die Weltöffentlichkeit, Hilfe für die Hungernden in die Wege zu leiten. Er rief in Folge eine internationale und interkonfessionelle Hilfsaktion für die Hungeropfer ins Leben. So versammelten sich etwa am 16. Oktober 1933 Repräsentanten der katholischen, orthodoxen und evangelischen Kirche sowie der Israelitischen Kultusgemeinde auf Einladung Innitzers im Wiener Erzbischöflichen Palais, um Hilfsmaßnahmen zu besprechen.

Internationale Vernetzung

Am 16. und 17. Dezember 1933 fand im Erzbischöflichen Palais eine internationale Konferenz der Vertreter aller Organisationen statt, die an der Hilfeleistung für die in der Sowjetunion verhungernden Menschen beteiligt waren.

Der Kardinal stützte sich in seiner Initiative auf Augenzeugenberichte, die u.a. der damalige griechisch-katholische Metropolit von Lemberg (Lwiw), Andreas Scheptytzkyj, gesammelt hatte. Lemberg gehörte damals zu Polen, aber der Metropolit hatte gute Verbindungen über die Grenze in die Sowjetukraine und wurde vor allem auch von Flüchtlingen aus der Ukraine informiert.

Hofmeister: „Mutiges Zeichen“

Innitzer war mit seiner Initiative weitgehend allein und stand zwischen allen Fronten: Auf der einen Seite wies die Sowjetregierung in Moskau alle Behauptungen von der Notlage und dem Hunger im Land als „freie Erfindung und Lüge der Agenten des Auslandes“ zurück. Auf der anderen Seite fürchtete die westliche Welt Unannehmlichkeiten und Handelshemmnisse mit der UdSSR und blieb aus diesem Grund untätig.

Kardnal Innitzer sei damals mit seiner interkonfessionellen und interreligiösen Initiative seiner Zeit weit voraus gewesen, sagte Gemeinderabbiner Hofmeister beim Festakt. Ganz im Sinne des damaligen Kardinals gelte es, sich nicht von der Politik bzw. Populismus zu fürchten, sondern ein mutiges Zeichen zu setzen.

Der ukrainische Botschafter in Österreich, Alexander Scherba beschrieb mit berührenden persönlichen Worten, wie der Holodomor auch in seiner eigenen Familie Todesopfer gefordert hatte. Die Welt schaute zu, so Scherba, „aber nicht alle“.

Unvergleichliche Hungersnot

Der an der Universität Yale und am Wiener „Institut für die Wissenschaften vom Menschen“ (IWM) lehrende Historiker Timothy D. Snyder hielt den Festvortrag. Snyder hat sich in seinem Werk „Bloodlands“ mit der dramatischen Geschichte Osteuropas in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auseinandergesetzt.

Hungersnöte hatte es in der Sowjetunion in verschiedenen Republiken immer wieder gegeben, doch keine sei mit dem Holodomor vergleichbar, wo das millionenfache Sterben absichtlich und für politische Zwecke herbeigeführt wurde, so Snyder. Dazu kam, dass die Grenzen sowohl in die Nachbarstaaten als auch in die sowjetischen Nachbarrepubliken geschlossen wurden, sodass sich nur wenig Ukrainer dorthin hätten retten können.

Historiker: Westen unternahm so gut wie nichts

Die Sowjetunion habe mit allen Mitteln versucht, keine Informationen über den Massenmord nach außen dringen zu lassen. Trotzdem sei es beklemmend, dass der Westen so gut wie nichts unternommen habe, denn so Snyder: Zu viele hätten trotz allem davon gewusst, aber nichts dagegen getan.

So hätten zahlreiche westliche Diplomaten und damit auch ihre Regierungen über das Ausmaß der Katastrophe mehr oder weniger Bescheid gewusst. Und auch unter den westlichen Journalisten in Moskau habe man von der Katastrophe Kenntnis gehabt. Doch nur ein einziger westlicher Journalist, der Waliser Gareth Richard Vaughan Jones, habe darüber im Westen unter seinem eigenen Namen publiziert. Er wurde 1935 ermordet.

Geflüchtete bemühten sich um Hilfe

Vor allem über Flüchtlinge habe die ukrainische griechisch-katholische Kirche in Polen über den Holodomor erfahren, und dann hätten sich ukrainische Aktivisten landauf und landab darum bemüht, den Westen zu politischen und humanitären Hilfsmaßnahmen zu bewegen. Doch weder bei einzelnen Regierungen noch bei Organisationen wie dem Völkerbund war ihnen viel Erfolg beschieden gewesen. Die einzige Ausnahme sei Kardinal Innitzer gewesen, so der US-Historiker.

Snyder: "Es waren nur ganz ganz wenige, die den Mut hatten, das auszusprechen, was sie wussten. Dazu zählten Innitzer und der britische Journalist Jones. Doch wer könne sagen, ob nicht der Unterschied zwischen wenigen einzelnen und niemandem nicht doch einen bedeutsamen Unterschied ausgemacht hätten.

Wahrheit muss ausgesprochen werden

Denn zumindest hatten die Sowjets nach dem Holodomor nie mehr absichtlich eine ähnliche politisch motivierte Hungersnot hervorgerufen. Und Snyder schloss mit dem Appell: „Die Wahrheit überlebt nicht von alleine. Die Wahrheit braucht Menschen, die sie aussprechen.“

Kardinal Schönborn begrüßte zu dem Festakt zahlreiche Vertreter der Kirchen in Österreich; so den orthodoxen Metropoliten Arsenios (Kardamkis), den serbisch-orthodoxen Bischof Andrej (Cilerdzic), den armenisch-apostolischen Bischof Tiran Petrosyan, den lutherischen Superintendenten Matthias Geist und den Wiener Weihbischof Franz Scharl.

Vatikan-Kritik 1938

Kardinal Theodor Innitzer wurde einige Jahre später (1938) scharf vom Vatikan kritisiert, als er sich für den „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland ausgesprochen hatte. Auch dass er dafür seine Feierlichhe Erklärung mit „Heil Hitler“ unterzeichnete, brachte ihm Unverständnis ein. Innitzer hatte sich durch seine Signale das Wohlwollen des Nazi-Regimes erhofft. Seine Rechnung ging nicht auf.

religion.ORF.at/KAP