Gent: Die Abenteuer des Lammes Gottes

Die Geschichte des Genter Altars ist eine der abenteuerlichsten der gesamten Kunstgeschichte. Von den Van-Eyck-Brüdern im 15. Jahrhundert geschaffen, wurde er versteckt, zerteilt, verkauft und von den Nazis ins Salzkammergut verschleppt.

Die US-Armee rettete das Kunstwerk am Ende des Zweiten Weltkriegs. Nach umfassender Restaurierung kehrt ein bedeutender Teil, die Anbetung des Lammes, in die Genter St.-Bavo-Kathedrale zurück. Tafel für Tafel restaurierte dafür ein Expertenteam des Königlichen Instituts für Denkmalschutz (KIK-IRPA) die Bilder seit 2012.

Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus Restauration, Kunstgeschichte und Chemie kratzten überschüssigen Lack, Tusche und Wachs ab und reparierten so Zentimeter für Zentimeter. Was sich unter den Schichten verbarg, ist eine farbenprächtige, dreidimensional anmutende, bis ins kleinste Detail gemalte Interpretation der Anbetung des Lammes Gottes aus der Offenbarung des Johannes.

Detailansicht des restaurierten Genter Altars

Saint-Bavo’s Cathedral Ghent © Lukasweb.be-Art in Flanders vzw, photo KIK-IRPA

Der Genter Altar

Zwar sind die Restauratorinnen und Restauratoren noch nicht mit dem gesamten Altar fertig, doch ist mit der Anbetung des Lammes der wichtigste Schritt getan. Schließlich ist das Lamm das Zentrum des Flügelaltars, der „Star“, wie Chefrestauratorin Helene Dubois im Museum der schönen Künste Gent (MSK) am Dienstag bei der Präsentation treffend formulierte. Im Christentum symbolisiert das Lamm Jesus Christus, die gesamte Szene der Mitteltafeln die Seelenrettung der Menschheit.

Feinarbeit mit Mikroskop und Skalpell

Gerade dem Lamm sei immer schon viel Aufmerksamkeit geschenkt worden, sagte Kunsthistoriker Bart Fransen gegenüber ORF.at. So hätten die Menschen über Jahrhunderte unterschiedliche Auffassungen gehabt, wie das Lamm Gottes auszusehen habe, und übermalten es ihren Vorstellungen entsprechend. Nach einem Restaurierungsprozess in den 1950er Jahren etwa, bei dem man schon eine Schicht abgekratzt hatte, hatte das Lamm Gottes deshalb kurze Zeit vier statt zwei Ohren, da ein Restaurator der Vergangenheit einfach die Position der Ohren verändert hatte.

„Manche wollten dem Lamm den Ausdruck eines Tieres verleihen“, so Fransen weiter: „Doch das war nicht das, was Van Eyck im 15. Jahrhundert malte. Er hat dem Lamm ein menschlicheres Antlitz gegeben.“ Also stellten die Expertinnen und Experten in den vergangenen Jahren die ursprüngliche Darstellung wieder her. Dafür arbeiteten sie mit Skalpell, UV-Licht und Mikroskop und entfernten diverse Übermalungen aus rund fünf Jahrhunderten.

Detailansicht des restaurierten Genter Altars

Saint-Bavo’s Cathedral Ghent © Lukasweb.be-Art in Flanders vzw, photo KIK-IRPA

Das Lamm Gottes vor und nach der Restauration

„Eine hochkomplexe Aufgabe“, wie Hilde De Clercq, Direktorin des KIK-IRPA, schilderte: Jeder zu tiefe Kratzer hätte einen Schaden in Millionenhöhe anrichten und eines der wertvollsten Kunstwerke des Spätmittelalters zerstören können. Doch sei alles gutgegangen, so De Clercq, nur fünf Prozent der originalen Farbe habe man nicht retten können.

„Werk kann nicht aus einer Hand stammen“

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universitäten von Gent und Antwerpen fanden heraus, dass in etwa die Hälfte der mittleren Tafeln des Genter Altars übermalt wurde. Das sei durchaus auch zum Schutz des Kunstwerkes geschehen, so die Forscherinnen und Forscher, indem man etwa eine Lackschicht und Wachs über das Original verteilt habe. Selbst Jan Van Eyck, der den Altar 1432 fertiggestellt hatte, übermalte Altartafeln seines älteren Bruders Hubert Van Eyck der bereits 1426 mit dem Werk begonnen hatte.

Detailansicht des restaurierten Genter Altars

Saint-Bavo’s Cathedral Ghent © Lukasweb.be-Art in Flanders vzw, photo KIK-IRPA

Arbeit mit Skalpell, UV-Licht und Mikroskop

Fransen erklärte, dass der Genter Altar ein „Work in progress“ gewesen sei, das nicht bloß auf Jan Van Eyck zurückgehe – wenn auch ihm heute mehr Ruhm zukomme. „Wir wissen, dass das Werk nicht aus einer Hand stammen kann“, so Fransen. Darauf weise unter anderem eine authentische Inschrift auf den Außenflügeln des Altars hin. Und da Jan Van Eyck nachweislich viel reiste, „musste er eine Werkstatt gehabt haben, in der nicht nur seine Familie, sondern auch andere Assistenten gearbeitet haben“, so Fransen weiter.

Das Geld dafür habe er jedenfalls mit Sicherheit gehabt, schließlich sei der Genter Altar ein Auftragswerk des wohlhabenden Kaufmanns Joos Vijd gewesen.

Irrfahrt durch die Geschichte

Doch nicht nur in seinen diversen Phasen der Übermalung und Restaurierung offenbart der Genter Altar eine lange Geschichte. Während des niederländischen Bildersturms wurde der Altar versteckt und erst nach der Rekatholisierung Flanderns Ende des 16. Jahrhunderts wieder hervorgeholt. Im späten 18. Jahrhundert mussten jene Tafeln, die Adam und Eva abbilden, entfernt werden – angeblich deshalb, weil der Habsburger-Kaiser Joseph II. deren Nacktheit als anstößig empfand.

Während der Revolutionskriege wurden die Mittelteile dann auf Geheiß Napoleons nach Paris verschleppt und im Musee Napoleon, dem heutigen Louvre, ausgestellt. Die Flügeltüren konnten rechtzeitig versteckt werden, wurden später aber verkauft. Nach der Schlacht von Waterloo wurden die Mitteltafeln der Stadt Gent zurückgegeben.

Bergungsort im Salzbergwerk Altaussee

Jedoch wartete dort schon das nächste Drama: ein Brand in der Kathedrale. Zwar konnten die Mitteltafeln gerettet werden, sie wurden jedoch stark beschädigt. Die Tafel mit der Anbetung des Lammes brach horizontal entzwei. Später gelangten einige Tafeln für Ausstellungen nach Berlin. Im Vertrag von Versailles wurde Deutschland aber verpflichtet, die Tafeln an Belgien zurückzugeben. Belgien vereinigte sie danach wieder als Hochaltar in der St.-Bavos-Kathedrale. Doch kam es zu einem Diebstahl, die Bildtafel mit den Gerechten Richtern ist bis heute eine Kopie.

Der Genter Altar während der Bergung aus dem Salzbergwerk Altaussee, 1945

Public Domain

Der Genter Altar während der Bergung aus dem Salzbergwerk Altaussee, 1945

Über Umwege verschleppten die Nazis 1944 Teile des Altars in das Salzbergwerk bei Altaussee, in dem massenhaft NS-Raubkunst deponiert wurde. Viele der gestohlenen Kunstwerke wollte Adolf Hitler im geplanten „Führermuseum“ in Linz ausstellen, wozu es aber nie kommen sollte. Zu Kriegsende, im April 1945, kam es schließlich zu einem Wettlauf gegen die Zeit. Einerseits war die Rote Armee im Anmarsch, um Kunstschätze nach Russland zu überführen. Andererseits wollte Hitler die Kunstwerke lieber vernichtet sehen als in den Händen der Sowjets.

Altartafeln als Jausenbretter benutzt

In einem ausgeklügelten Plan konnten die Bergmänner die Vernichtung der Kunstschätze im Stollen vereiteln. Zeitzeugin Eva Frodl-Kraft, die damals als Fotografin dabei war, erzählte vor einigen Jahren in einem Interview von den hektischen Bemühungen: „Die haben sich natürlich weniger um die Kunstwerke gesorgt“, so die 2011 verstorbene Kunsthistorikerin: „Denn wenn der Berg zugesprengt worden wäre, hätten sie ja ihren Job verloren.“

So schafften die Bergleute die Kisten mit Sprengstoff wieder hinaus, die der Gauleiter schon in den Stollen hatte bringen lassen. Danach sprengten sie nur den Eingang des Stollens, die Kunstwerke blieben im Großen und Ganzen unversehrt. Mehr als 8.000 Kunstschätze, darunter die Tafeln des Genter Altars, konnten deshalb von der Monuments, Fine Arts, and Archives Section der US-Armee geborgen werden. Darauf basiert auch der Hollywood-Film „Monuments Men“. Ein Teil der Tafeln wurde jedoch erst Wochen später gefunden, da die Bergleute sie benutzt hatten, um ihre Jause darauf zu schneiden.

Ausstellungshinweise

„Van Eyck. Eine optische Revolution“, MSK Gent, 1.2. bis 30.4.2020

„Die Rückkehr des Lammes. Die zentrale Tafel kehrt nach Hause“, St.-Bavo-Kathedrale, ab 24.1.2020

Van-Eyck-Jahr in Gent

Seither arbeiten Länder, Städte und Institute zusammen, die Bildtafeln des Genter Altars wieder sicher und restauriert in der St.-Bavos-Kathedrale zu vereinen. Die letzte Phase der Restaurationsarbeiten dürfte sich aus Kostengründen allerdings noch bis nach 2020 hinziehen, wie das MSK bekanntgab. Doch sollen Besucherinnen und Besucher schon wie bisher die Arbeiten live durch eine Glaswand im Museum beobachten können.

Ab 24. Jänner sind die fertig restaurierten Tafeln – darunter die Anbetung des Lammes – also wieder in der St.-Bavos-Kathedrale zu sehen. Von 1. Februar bis 30. April zeigt das MSK Gent dann eine Sonderausstellung zum Van-Eyck-Themenjahr. Im Zuge dessen gibt es zahlreiche, auch zeitgenössisch inspirierte Kunstwerke zu Van Eyck in der ganzen Stadt zu bewundern.

Christina Vogler, für religion.ORF.at, aus Gent

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