CoV: Spitalsseelsorger in ethischem Dilemma

Gerade in Krisenzeiten benötigen viele gläubige Menschen den Trost und Zuspruch ihrer Glaubensgemeinschaft. Und gerade in Zeiten der Coronavirus-Krise ist das nur sehr eingeschränkt möglich. Ein ethisches Dilemma.

Neben leeren Kirchen und ins Internet verlegten Gottesdiensten betrifft das auch eine der persönlichsten Formen der geistlichen Betreuung: die Seelsorge. Diese findet gewöhnlich in einem intimen Rahmen statt - besonders in Krankheitsfällen ist das derzeit heikel. Gute Seelsorge zeichnet sich durch Nähe und persönliche Anteilnahme aus. Doch wie geht das mit den notwendigen Maßnahmen des „Social Distancing“ zusammen?

Von einem „echten ethischen Dilemma“ sprach Seelsorger Arno Preis, der die evangelische Pfarrstelle im Wiener AKH betreut, im Gespräch mit religion.ORF.at. „Man weiß genau, was nötig wäre, kann das aber nicht tun.“ Besuche mache er unter Einhaltung genauer hygienischer Maßnahmen: Wenn er im Spital ankomme, ziehe er sich komplett um - die Kleidung bleibt im AKH. „Ich trage eine Maske und Handschuhe und halte natürlich den vorgeschriebenen Abstand ein“, so Preis. Er arbeitet unter anderen viel mit krebskranken Menschen und begleitet auch Angehörige. Besuche dürfen derzeit nicht stattfinden. „Die Situation ist sehr schwierig“, so Preis.

Nicht alle können Videotelefonie

Telefon und Videotelefonie würden zur Nachsorge eingesetzt, etwa psychiatrische Patientinnen und Patienten würden gerne darauf zurückgreifen. Aber das ist nicht für alle Kranken eine Option: „Patienten können oft aus körperlicher Schwäche nicht telefonieren“, so Preis. Erschwert werde die Arbeit, weil derzeit Ehrenamtliche zu Hause bleiben müssten.

Die evangelische Diakonin und klinische Seelsorgerin Katharina Schoene arbeitet derzeit wie so viele im Homeoffice. Via Videotelefonie und Anrufe hält sie den Kontakt zu den Menschen, die seelsorgerische Betreuung brauchen, so gut es geht aufrecht, sagte sie zu religion.ORF.at Und der Bedarf ist groß, nicht nur bei Patientinnen und Patienten, sondern auch beim Personal, das wesentlich mehr herausgefordert ist als sonst. Vieles bleibe an den Pflegekräften hängen, „weil sie jetzt die einzigen Ansprechpartner sind“. Schoene bietet etwa Gespräche und gemeinsame Gebete via Zoom an, sechs bis sieben solche Begleitungen pro Tag.

Die evangelische Diakonin und klinische Seelsorgerin Katharina Schöne

Laloki Studio&Design

Seelsorgerin Katharina Schoene sorgt sich unter anderen um demenzkranke Menschen

Zunehmend Konflikte und Aggressionen

„Wichtig ist, dass die Menschen sich gesehen fühlen.“ Sie nehme zunehmend Konflikte und Aggressionen wahr, sagte Schoene. „Man lehnt sich auf“, gegen die notwendigen, aber gerade im medizinischen Bereich so schwer einzuhaltenden Vorschriften. Gleichzeitig erlebe sie auch Kranke, „die die Chance erkennen, jetzt mehr in sich hineinzugehen“. Besonders schwierig sei die Lage demenzkranker Menschen, die sich derzeit überhaupt nicht auskennen würden. Viele würden nicht verstehen, warum nun keine vertrauten Personen mehr kommen. Bei älteren Menschen kämen durch die Einschränkungen auch „Erinnerungen Richtung Krieg“ wieder hoch, erzählte Schoene.

Ressource ohne Gefährdung

Auf dem Gebiet der Erzdiözese Wien sind Seelsorgerinnen und Seelsorger in etwa 70 Einrichtungen in Wien und Niederösterreich Nord/Süd präsent. Die 280 haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leisten im Jahr ca. 500.000 Besuche, pro Woche knapp 10.000, so der Leiter des Krankenhausseelsorge der Erzdiözese Wien, Christoph Schmitz. „Die Krankenhausseelsorge steht derzeit in der Spannung, sich einerseits als Ressource zur Verfügung zu stellen, andererseits aber auch keine unnötige Gefährdung sein zu wollen. In einigen Krankenhäusern ist ein Zugang für uns nicht möglich“, so Schmitz, gegenüber religion.ORF.at. „Da sind wir telefonisch erreichbar.“

An anderen Standorten sei man mit jeweils ein bis zwei Personen vor Ort, die gezielte Besuche bei einzelnen Patientinnen und Patienten machten und sich bemühten, das Krankenhauspersonal zu entlasten. Man befinde sich in Abstimmung mit dem Personal bzw. der Leitung der Einrichtung, so Schmitz. Bei Kontakten mit Kranken sei „selbstverständlich“ mindestens eine FFP1-Maske erforderlich, gegebenenfalls auch zusätzliche Schutzkleidung, besonders im Intensivbereich sowie bei infizierten Personen, sofern ein Zugang überhaupt möglich ist.

Seelsorglicher Zuspruch sehr bedeutsam

Man müsse „leider damit rechnen, dass in den nächsten Wochen vermehrt Menschen an dieser Krankheit versterben. In dieser letzten Zeit kann eine rituelle Begleitung und seelsorglicher Zuspruch sehr bedeutsam werden. Ich möchte aber auch die Menschen nicht vergessen, die an anderen Krankheiten leiden und sie nicht überleben.“ Von den „normalen Krebskranken“ etwa spreche momentan nur niemand, so Schmitz.

Hilfe finde auch in Form der Unterstützung des extrem geforderten medizinischen Personals statt. Das könne durch Anrufe, Briefe und kurze Entlastungsgespräche vor Ort passieren, aber auch ein kleines Paket mit Muffins, mit einem Gebet und Gruß von der Seelsorge auf die Stationen gebracht, könne helfen. „Das Wichtigste scheint mir, nicht alleingelassen zu sein. Deswegen leiden die Menschen auch so unter dem (natürlich notwendigen) Besuchsverbot. Neben den Krankenhäusern denke ich hier besonders auch an die älteren, pflegebedürftigen Menschen in den Pflegeheimen, die dazu auch noch zu einer besonderen Risikogruppe gehören.“

Islamische Seelsorge in fünf Sprachen

Um Seelsorger und Kranke gleichermaßen vor einer Ansteckung zu schützen, habe die Leitung der Islamischen Spitalsseelsorge am 12. März verkündet, keine Initiativbesuche in den Spitälern abzuhalten, teilte die Pressesprecherin der Islamischen Glaubensgemeinschaft Österreich (IGGÖ), Valerie Mussa, auf Anfrage mit. Es seien „lediglich dann Besuche zu tätigen, wenn sie dezidiert bei Notfällen angefordert werden (...) und auch die Freitagsgebete in den Spitalsmoscheen auszusetzen“.

Krankenhaus

ORF.at/Birgit Hajek

Das medizinische Personal bedarf auch der Unterstützung und Hilfe

Seitens der IGGÖ wurde eine telefonische Seelsorge eingerichtet. Rund zehn Ehrenamtliche sind derzeit zum Dienst eingeteilt. Die Seelsorge erfolgt in fünf Sprachen: Deutsch, Türkisch, Bosnisch, Arabisch, Englisch. Bei Bedarf sind auch Ehrenamtliche mit weiteren Sprachkenntnissen abrufbereit.

Die Krankenhaus-/Krankenseelsorge erfolge aktuell ausschließlich über Telefongespräche und Videotelefonie, es würden keine Visiten mehr in Krankenhäusern gemacht. „Telefonische Anfragen kommen in dieser Zeit gehäuft, die Sorgen der Menschen sind natürlich enorm, viele sind sehr einsam und/oder verängstigt, können auch keine Besuche von Angehörigen empfangen. Das ist für Kranke wie für Angehörige gleichermaßen belastend“, so Mussa.

Tirol: Besuche in voller Schutzbekleidung

„Nach wie vor werden wir angefragt für Notfallseelsorge, Begleitung in Krisensituationen, für Sterbebegleitung, beim Abschiednehmen“, so Hildegard Anegg, Leiterin der Krankenhausseelsorge der Diözese Innsbruck. Das bedinge auch die Begleitung von Covid-19-Patienten auf Intensivstationen, „dies natürlich mit voller Schutzbekleidung und mit Unterstützung der ÄrztInnen und des Pflegepersonals“.

„Dass wir auch in Zeiten des Coronavirus unseren seelsorgenden Beitrag leisten können“, das sei „der unermüdlich vorbereitenden Organisation seitens der Leitungen der Krankenhäuser zu danken“, so Anegg gegenüber religion.ORF.at. Die von Anfang an auf allen Ebenen kommunizierten notwendigen Maßnahmen „schaffen eine Gleichzeitigkeit der Information, Vertrauen in die Institution, Identifikation im Sinne eines ‚interprofessionellen Wir-Gefühls‘“.

Allerdings gibt es, wie in Wien, seit zwei Wochen keine Besuche von Ehrenamtlichen auf den Stationen, "und auch unsere initiativen Besuche, die ‚nachgehende Seelsorge‘ ist derzeit nicht möglich. Nach wie vor aufrecht sei die Rufbereitschaft in allen Krankenhäusern des Landes: „Die Seelsorge ist 24 Stunden rufbereit.“ Seelsorge sei auch bei ethischen Überlegungen der Krankenhäuser angefragt.

Spiritualität übers Handy teilen

Jetzt sei Einfallsreichtum gefragt, so Anegg: „Die tirol-klinken hat uns die Übertragung eines ökumenischen Gottesdienstes ermöglicht, der von allen Patienten auf allen Stationen angesehen werden kann.“ Für Ostern ist auf demselben Weg ein Ostergottesdienst geplant. „Täglich gestaltet eine oder einer unserer Seelsorger einen kurzen Impuls als ein Hoffnungswort für den Tag“ - dieser werde über einen Messenger-Dienst zur Verfügung gestellt, „sodass jede und jeder die eigene Spiritualität mit andern übers Handy teilen kann“.

Spirituell gesehen erlebe man derzeit „von der großen Sehnsucht, etwas von der Nähe Gotte zu spüren, bis hin zur Infragestellung der religiösen Botschaften“, berichtete die Seelsorgerin. Häufig seien Einsamkeit und die Angst vor der Zukunft Themen, „auch das Ertragen der belastenden Gegenwart ist rundum zu spüren“.

Krankenhausseelsorge stehe „für die Hoffnung, dass aus Leidvollem Heilvolles entstehen kann – auch wenn das nicht immer die vollständige Genesung ist“, so der Wiener Seelsorger Schmitz. „Ich denke, dass viele Erfahrungen, die wir jetzt machen, noch sehr wichtig sein werden, wie wir unser Leben in Zukunft gestalten. Die kranken und arbeitenden Menschen in den Krankenhäusern sind noch viel stärker gefordert als wir, sich dem zu stellen, was das Leben ihnen derzeit zumutet. Vor dieser enormen Energieleistung, dem Mut und Engagement habe ich tiefe Achtung und Dankbarkeit. Sie zeigen uns, welches Potenzial in einem Menschen steckt und wo aber auch die Grenzen sind.“

Johanna Grillmayer, religion.ORF.at

Links: