Theologin: Krise deckt gesellschaftliche Schieflagen auf

Ähnlich wie die hoch ansteckenden Krankheiten Pest, Cholera oder Syphilis deckt die Cornonavirus-Pandemie laut der Pastoraltheologin Regina Polak Schwachstellen, Ungerechtigkeiten und Werte der Gesellschaften auf.

Die Corona-Krise bringe sowohl die Stärken als auch die Schwächen der Menschen und ihrer Systeme ans Licht, attestierte die Wiener Theologin in der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung „Die Furche“. Die Chancen sehe sie darin, nun gemachte Erkenntnisse zu „globalen, gesellschaftlichen und menschlichen Schieflagen“ anzuerkennen und „den geschenkten Raum der Mitgestaltung“ zu nutzen, erklärte Polak. Nur so könne eine „Post-Corona“-Welt zum Lernort für ein besseres Leben werden.

Schon seit Beginn der globalen Corona-Pandemie seien Zukunftsprognosen für die Zeit nach der Corona-Krise entworfen worden, meinte Polak. Als Bespiele nannte sie u.a. den deutschen Futurologen Matthias Horx, der eine „zutiefst unpolitische ‚Regnose‘ (ein Rückblick aus der Zukunft; Anm.) für Bobos und andere Mittelschichtsangehörige“ prognostizierte.

Pastoraltheoplogin Regina Polak

kathbild.at/Franz Josef Rupprecht

Die Wiener Pastoraltheologin Regina Polak hält das Lernen aus der Krise für zukunftsweisend

Anders der italienische Philosoph Giorgio Agamben, der eine gesellschaftliche Dystopie entwarf. Der österreichische Journalist und Theologe Rudolf Mitlöhner hält laut Polak wiederum „die Vorstellung, dass sich alles ändern wird, für irritierend und aller Erfahrung widersprechend“. Daneben gebe es noch sozialdarwinistische Visionen und globale Utopien, die via Sozialer Medien verbreitet würden.

„Kampf der Ideen“

Aus der christlichen Perspektive könnten zwar all die genannten „Zukünfte“ eintreten, „aber keine einzige mit Notwendigkeit“, stellte Polak in ihrem Gastkommentar klar. Die Zukunft sei offen und „ein von Gott her geschenkter Raum der Mitgestaltung“. Zudem gebe es Einflüsse aus Kultur, Politik, Geschichte und Psychologie, die ebenfalls die Zukunftsdebatten prägen. Keine der Szenarien sei daher ein „Naturgesetz“, betonte die Wiener Theologin.

Welche „Post-Corona“-Welt kommen werde, hänge maßgeblich davon ab, „welche Deutungen sich in den medialen, gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Diskursen durchsetzen“. „Es kommt also ein Kampf um die Hegemonie der Ideen auf uns zu, in dem insbesondere politisch Verantwortlichen eine Schlüsselrolle zukommt.“

Christliches „Post-Corona“

Aus christlicher Sicht biete die Reflexion über „Post-Corona“ die Möglichkeit, sich zu erinnern, dass „alle Entscheidungen über die Zukunft ethische“ seien. Jeder Einzelne müsse Entscheidungen treffen, die zwar vom jeweiligen Kontext geprägt, aber selbst zu verantworten seien, erläuterte die Wissenschaftlerin.

Auch politisch Verantwortliche seien gefordert, die moralische Neutralisierung ethischer Fragen - die sogenannte „Adiaphorisierung“ - zu beenden. Politik ist laut der Associate Professorin für Praktische Theologie mehr als „ideologiefreies Krisenmanagement“: Sie sei auch dazu imstande, Debatten der Sozialethik und der politischen Ethik zu entfachen.

Handeln und Neues lernen

Die Pandemie und die damit verbundene Krise könne in der katholischen Theologie auch als „Zeichen der Zeit“ betrachtet werden, so Polaks Sichtweise. Die grassierende Corona-Erkrankung sei ein geschichtliches Ereignis, welches das Bewusstsein von Menschen verändere, diese aus der Sicht des Glaubens vor eine ethische Entscheidung stellt und zum Handeln auffordere.

Die Chance liege nun darin, dass Menschen aus der „katastrophalen Situation“ Neues lernen, in ihrer Menschlichkeit wachsen und Gottes Zuwendung erfahren. Dies setze aber auch eine ethische Reflexion und Ursachenanalyse voraus, betonte die Theologin. Denn: „Von selbst gereicht kein Ereignis zum Segen.“

religion.ORF.at/KAP

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